Letzten Monat lag der Fokus auf HIV. Wir haben Single-Tablet-Regime, Kombinationstherapie und Immuncheckpointinhibitor in der Therapie kennengelernt. Dieser Beitrag ist dem Immunrekonstitutionssyndrom gewidmet.
Per definitionem ist das IRIS eine klinische Verschlechterung der Symptome bzw. eine überschießende inflammatorische Reaktion bei einer opportunistischen Infektion nach Beginn einer hochaktiven antiretroviralen Therapie (HAART). Es darf keine andere Erklärung (Therapieversagen, medikamentöse Nebenwirkungen oder Non-Compliance der Therapie) nachweisbar sein. Durch die antiretrovirale Therapie wird die Immunfunktion wiederhergestellt. Die ausgeprägte pathogenspezifische Immunreaktion zeigt sich oft direkt nach HAART-Beginn. Das IRIS kann neben seinem Hauptvorkommen bei HIV-Infektion auch bei anderen Krankheitsbildern, denen eine zelluläre Immundefizienz zugrunde liegt, vorkommen.1
Doch von welchen molekularen Angriffen durch das HI-Virus muss sich das Immunsystem erholen?
Eine DNA-Schädigung führt normalerweise dazu, dass der Zellzyklus der betroffenen Zelle in der G2-Phase (2. Abschnitt der Interphase) stehenbleibt. Dies geschieht durch die Hemmung von CDK1 (Cyclin-abhängige Kinase 1). Durch das Tumorsuppressorprotein p53 wird dann die Apoptose eingeleitet. Liegt keine DNA-Schädigung vor, so dient die G2-Phase einer intensiven Proteinsynthese als Vorbereitung für die darauffolgende Mitose.2,3,4
Das Immunsystem des befallenen Wirtsorganismus wird durch das HI-Virus geschwächt. Das Virus stört die Produktion der Proteinkinase ATR (ATM and Rad3 related protein). Dadurch werden geschädigte Zellen nicht mehr daran gehindert, sich weiter zu teilen. Verantwortlich hierfür ist das virale Protein R. 2,3,4
Eine Infektion mit dem HI-Virus blockiert die zelluläre Proliferation während der G2-Phase. Das virale Protein R (VPR) dient dem Import des HI-Virus und ist die Voraussetzung für die Virusreplikation in den Makrophagen bzw. anderen sich nichtteilenden Zellen. VPR führt zu einer Abschwächung des Immunsystems, indem es einen G2-Arrest/Apoptose in sich teilenden Zellen einleitet. Das Resultat ist u. a. eine Reduktion der CD4+ Zellen und somit freie Bahn für opportunistische Infektionen. 2,3,4
Wird eine antivirale Therapie eingeleitet, so kann sich das Immunsystem wieder erholen. Besteht zu Beginn der antiviralen Therapie eine latente Infektion, so zeigt sich die Rekonstitution des Immunsystems durch eine ungewöhnliche Immunantwort mit besonders starker inflammatorischer Komponente. Ein gutes Beispiel hierfür ist eine Infektion mit dem humanen Cytomegalievirus.
Eine Infektion mit dem humanen Cytomegalievirus verläuft bei immunkompetenten Menschen in fast 99% der Fälle ohne jegliche bzw. mit äußerst geringer Krankheitssymptomatik. Bei noch nicht medikamentös therapierten HIV-Patienten kann das Virus in 30% der Fälle durch eine CMV-Retinitis zu einer Erblindung führen.5
Die Voraussetzung für eine CMV-assoziierte Erkrankung ist eine niedrige CD4-Zellzahl. Doch es gibt auch viele Gegenbeispiele. Im Jahr 2005 wurde von einer Patientin berichtet, die nach Beginn der HAART rezidivierende CMV-Infektionen aufwies, obwohl die CD4-Zellzahl über 500 Zellen/μl lag. Die Forschungsgruppe nahm an, dass der Grund hierfür war, dass die Immunrekonstitution lediglich partiell stattgefunden hat.5,6
Der Begriff "unmasking" sagt es ja schon: Eine subklinische Infektion wird durch die Wiederherstellung des Immunsystems nach HAART-Beginn demaskiert.
Die Einführung der HAART hat dazu geführt, dass immer weniger Patienten an einer opportunistischen Erkrankung versterben. Einige Patienten reagieren nach Therapiebeginn nach Wiederherstellung des Immunsystems mit einer überschießenden Immunantwort mit paradoxer Verschlechterung der klinischen Symptomatik. Das Auftreten eines Immunrekonstitutionssyndroms bedeutet in diesen Fällen nicht, dass die HAART nicht greift. Die Therapie ist effektiv, nur das Immunsystem reagiert über.7
Im Jahr 2011 wurde ein Artikel veröffentlicht, der sich mit dem "unmasking IRIS" auseinandersetzt. Insgesamt wurden 5 Patienten am Sultan Qaboos University Hospital mit IRIS nach HAART-Beginn genauer untersucht.7
Ein junger HIV-Patient hatte unter einer CD4-Zellzahl von 58 Zellen/mm3 eine Cryptococcus neoformans Meningitis erlitten. Zu Therapiebeginn fiel eine HIV-1 Viruslast von 110,000 RNA-Kopien/ml auf. Er erhielt zuerst eine Therapie mit Amphotericin B, dann mit Flucanozol und später als Pneumocystis-Pneumonie-Prophylaxe eine Therapie mit Cotrimoxazol. Die HAART wurde anfänglich aufgrund von Non-Compliance gestoppt. 4 Jahre später wurde die HAART jedoch wieder begonnen, da seine CD4-Zellzahl erschreckend niedrig war (35 Zellen/ mm3). Die Viruslast war mittlerweile auf 159.000 RNA-Kopien/ml gestiegen. 7 Wochen nach HAART-Beginn stellte er sich mit Fieber und einer immer weiter zunehmenden Schwellung der Ellenbogen- und Kniegelenke vor. In der Szintigraphie (Tc99m-MDP) und in der Magnetresonanztomographie zeigte sich eine Osteomyelitis der Gelenke. Verantwortlich hierfür war eine Infektion mit non-Mycobacterium avium complex (non-MAC). Die HIV-1 Viruslast lag zu dem Zeitpunkt bei 3.350 RNA-Kopien/ml und die CD4-Zellzahl bei 185 Zellen/ mm3. Nach einer Ergänzung der HAART mit einer Therapie mit Ciprofloxacin und Clarithromycin erholte sich der Patient wieder vollständig.7
Bei diesem Beispiel zeigt sich sehr schön, welche die Grundvoraussetzungen für ein IRIS sind: Das IRIS kommt vor allem bei Patienten mit einer niedrigen CD4-Zellzahl und einer hohen HIV-Virämie zu Therapiebeginn vor. Die Initiierung einer antiretroviralen Therapie kann bei diesem Patientenkollektiv mit einem Immunrekonstitutionssyndrom einhergehen. Der Therapiebeginn mit HAART führte bei dem Patienten zu einer Demaskierung einer okkulten opportunistischen Infektion. Die paradoxe Symptomverschlechterung nach HAART-Beginn ist typisch für das IRIS. Nächstes Mal geht es weiter mit einigen interessanten Fällen des "unmasking IRIS".
Referenzen: