Kein allzu seltenes Ereignis: Hinter den Symptomen einer akuten Exazerbation kann eine Lungenembolie stecken…
Herr Meier ist 59 Jahre, übergewichtig, Beamter und wegen einer COPD in ärztlicher Behandlung. Plötzlich verschlechtert sich sein Zustand dramatisch. Der Patient entwickelt Beinödeme, eine ausgeprägte Bronchospastik und eine Hyperkapnie. Schließlich muss er zur Beatmung auf Intensiv. Das EKG ist unauffällig, der Röntgen-Thorax sieht nach Lungenstauung aus. Die übliche Exazerbationstherapie führt zu keiner Besserung. Was tun?
Die Computertomographie hilft weiter. Hier kommen ein reitender Thrombus am Abgang der großen Pulmonalarterien nach beiden Seiten sowie multiple Segmentarterienembolien zum Vorschein. Es handelt sich also nicht um eine akute Exazerbation der COPD, sondern um eine Lungenembolie.
Haben Sie so einen Fall auch schon selbst erlebt? Allzu unwahrscheinlich ist das nicht. Die Kasuistik präsentierte Prof. Heinrich Worth (Fürth) kürzlich beim DGP-Kongress in Dresden1. Sein Vortragstitel: "Lungenembolie als Differenzialdiagnose der COPD Exazerbation". Die Botschaft: Das Wichtigste bei einer Lungenembolie ist, überhaupt daran zu denken.
Die Fehlinterpretation der Symptomatik als AECOPD (akute COPD-Exazerbation) könnte laut Worth einer der Gründe dafür sein, dass eine akute Lungenembolie bei über 40 % der Patienten nicht diagnostiziert wird. Der Literatur zufolge ist andererseits bei fast jeder dritten COPD-Exazerbation die auslösende Ursache unklar.
Wie es sich mit den Prävalenzen tatsächlich verhält, ist angesichts stark divergierender Studienergebnisse fraglich. Der Ex-Präsident der DGP berichtete von einer französischen Studie, in der knapp 200 Patienten zur ätiologischen Abklärung von Exazerbationen per Spiral-CT und Beinvenensonographie untersucht wurden. Bei jedem vierten von ihnen fand sich eine Lungenembolie. Das ist sehr viel, allerdings war die Hälfte der Studienteilnehmer zusätzlich von einer malignen Erkrankung betroffen, wodurch sich automatisch das Thromboembolierisiko erhöht.
In einer anderen von Worth zitierten Studie lag die Lungenembolie-Rate nur bei 6 %. Vor einem Jahr wurde eine holländische Metaanalyse im Fachjournal Chest publiziert, die sieben Studien zum Thema auswertete2. Die Autoren ermittelten unter den Patienten mit ungeklärter AECOPD eine gepoolte Lungenembolie-Prävalenz in Höhe von 16 %.
Man sollte die Möglichkeit einer Lungenembolie also auf jeden Fall im Hinterkopf haben, wenn sich einem ein Patient mit atemabhängigem Thoraxschmerz präsentiert. Ein pathognomonisches Symptom der Lungenembolie gibt es bekanntermaßen nicht. Rund die Hälfte der Patienten klagt über Dyspnoe und ein Drittel über den Pleuraschmerz. Husten, Fieber oder auch Anzeichen einer tiefen Beinvenenthrombose können sich hinzugesellen.
Anamnestisch wichtig ist die Frage nach einer vorausgegangenen Immobilisation oder OP in den vergangenen zwei Monaten. Die mangelnde Bewegung ist der häufigste Grund für eine Lungenembolie bei COPD-Patienten, die deshalb auch bei exazerbationsbedingter Immobilisierung eine Thromboseprophylaxe erhalten sollten.
In der RIETE-Studie3 betrug die Mortalität bei Lungenembolie in den ersten drei Monaten bei Patienten ohne COPD 7,6 % und mit COPD 10,8 %. Dabei beeinflusste die Schwere der Atemwegsobstruktion die Überlebenswahrscheinlichkeit. Zur schlechteren Prognose bei der Kombination aus COPD und Lungenembolie trug auch ein erhöhtes Risiko für Blutungen und Embolie-Rezidiv bei.
Zum Pharmakomanagement gab es von Worth nichts Neues zu hören: Die erforderliche bzw. angemessene Antikoagulationsdauer bei COPD-Patienten mit Lungenembolie ist gegenwärtig unklar. Der Stellenwert der NOAKs (neue orale bzw. Nicht-Vitamin-K-Antikoagulanzien) ist in diesem Kontext bisher noch nicht ausreichend untersucht.
In puncto Diagnostik der Lungenembolie gibt es übrigens nicht nur Probleme mit einer Unter-, sondern auch mit einer Überversorgung – soweit es etwa die sofortige CT-Pulmonalisangiographie (CTPA) bei Notaufnahme-Patienten mit akuter Atemnot und Schmerzen in der Brust betrifft. Darauf hat gerade die DGP in einer Pressemitteilung hingewiesen, in der sie Bezug auf eine aktuelle JAMA-Publikation4 nimmt. Demnach "reichen acht einfache Kriterien aus, um den Anfangsverdacht einer Lungenembolie zu erhärten bzw. auszuschließen".
Nur wenn eines der folgenden PERC-Kriterien (pulmonary embolism rule-out) zutrifft, erscheint die Wahrscheinlich eine Lungenembolie gegeben und eine CTPA gerechtfertigt:
Der amtierende DGP-Präsident Prof. Klaus Rabe (Grosshansdorf) wird folgendermaßen zitiert: "Eine französische Studie hat aufgezeigt, dass sich die Anzahl an CTPAs halbieren lässt, wenn man diese Kriterien heranzieht, ohne dass dabei schwere Lungenembolien übersehen werden." Weniger CPTAs bedeuten weniger Kosten und weniger Strahlenbelastung für die Patienten. Es handelt sich um eine von 10 Empfehlungen der DGP im Rahmen der DGIM-Initiative "Klug entscheiden".
Das letzte Wort bekommt in diesem Beitrag allerdings Herr Worth. Denn zur Lungenembolie-Abklärung bei COPD-Patienten bleibt das Spiral-CT die derzeit beste diagnostische Option, auch wenn "im Zuge einer Grippewelle nicht jeder Patient mit Exazerbation eine CT erhalten kann". Die Ventilations-Perfusions-Szintigraphie und der D-Dimer-Test sind weniger hilfreich: Auch im Falle einer COPD ohne Lungenembolie oder einer Virusinfektion können sie ein positives Resultat produzieren.
Und beim bekannten Wells-Score ist die Botschaft von oben (an die Lungenembolie denken!) zu beachten, schließlich enthält er als ein Kriterium den Punkt „andere Diagnosen als Lungenembolie unwahrscheinlich“. Worth: "Wenn man in diesem Moment eher an die COPD-Exazerbation denkt, kommt man womöglich zu einem Resultat, das die Wahrscheinlichkeit für eine Lungenembolie im Score gering erscheinen lässt."
Referenzen:
1. Pneumologie im Prisma der … Angiologie. Präsidentensymposium beim 59. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DGP). Dresden, 15. März 2018.
2. Aleva FE et al. Prevalence and Localization of Pulmonary Embolism in Unexplained Acute Exacerbations of COPD: A Systematic Review and Meta-analysis. Chest 2017;151(3):544-54.
3. Bertoletti L et al. Clinical presentation and outcome of venous thromboembolism in COPD. Eur Respir J 2012;39(4):862-8.
4. Freund Y et al. Effect of the Pulmonary Embolism Rule-Out Criteria on Subsequent Thromboembolic Events Among Low-Risk Emergency Department Patients. JAMA 2018;319(6):559-66.