Wie viele Ihrer Patienten nehmen ihre Asthma- oder COPD-Medikamente so wie verordnet ein? Wie viele von ihnen verzichten auf die Inhalation, weil sie sowieso nicht klappt? Was tun Sie, um die Einnahmetreue zu unterstützen? Das sind Fragen von zentraler Bedeutung für eine erfolgreiche medizinische Behandlung.
"Es gibt immer mehr Anhaltspunkte, dass wegen der alarmierend geringen Einnahmetreue verbesserte Compliance-Maßnahmen einen größeren Benefit für die Gesundheit der Bevölkerung bringen als eine Verbesserung der medizinischen Therapie."
Diese bemerkenswerte Aussage der Autoren eines kanadischen Cochrane Reviews1 ist zwar nicht neu. Sie dürfte aber auch heute noch ähnlich relevant sein wie vor 15 Jahren. Denn es gibt in der akutellen Literatur einige Anhaltspunkte dafür, dass sich die Compliance der Patienten in weiten Teilen nicht grundlegend gegenüber früher verbessert hat.
Ein besseres Medikationsmanagement tut deshalb Not. Das ist nicht nur eine pauschale Floskel, die für die statistisch erfassbare Breite gilt und damit vor allem für die "anderen Kollegen". Auch für diejenigen, die schon – gefühlt – optimal verordnen, gibt es immer noch etwas zu verbessern. Und sei es die Abstimmung und Koordination mit den anderen Versorgern des jeweiligen Patienten, über Fach-, Sektor- und Berufsgrenzen (v.a. bis zum Apotheker) hinweg.
Hier kommt der bundeseinheitliche Medikationsplan ins Spiel, den die Kassenärztliche Bundesvereinigung entwickelt hat. Die Einführung eines solchen Plans wurde vom Bundestag mit dem E-Health-Gesetz beschlossen. Seit dem 1. Oktober 2016 haben nun gesetzlich Krankenversicherte "Anspruch auf Erstellung und Aushändigung eines Medikationsplans in Papierform durch einen an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Arzt" (Paragraf 31a Sozialgesetzbuch V). Ab 2018 soll der Medikationsplan dann – für den Patienten freiwillig – auch auf der elektronischen Gesundheitskarte gespeichert werden können. Mal sehen, ob das klappt.
Der Anspruch gilt bei gleichzeitiger Anwendung von mindestens drei systemisch wirkenden Medikamenten, die dauerhaft, das heißt für einen Zeitraum von mindestens 28 Tagen, verordnet werden. Nach rbb-Angaben2 sind das ungefähr 20 Millionen Menschen in Deutschland. Der Medikationsplan soll nach dem Wunsch des Gesetzgebers standardisiert sein und neben sämtlichen verschreibungspflichtigen Arzneimitteln auch – soweit relevant – Selbstmedikation und Medizinprodukte enthalten, wie etwa Inhalatoren. Aufgeführt werden u.a. der Wirkstoff, die Dosierung, der Einnahmegrund und sonstige Hinweise zur Einnahme.
Medikationspläne gab es vorher schon. Was lief bisher nicht gut und warum erscheint die Vereinheitlichung in diesem Fall tatsächlich sinnvoll?
Professor Wolf-Dieter Ludwig, dem Vorsitzenden der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft, zufolge verfügt bisher nur ein Viertel der Patienten, die mehr als drei Präparate anwenden, über einen Medikationsplan3. Bei den hausärztlich betreuten chronisch kranken Patienten mit mehr als fünf Medikamenten liegt der Prozentsatz mit 75-80% zwar deutlich höher, aber auch noch nicht im optimalen Bereich.
Der Allgemeinmediziner und Sachverständigenrats-Vorsitzende Professor Ferdinand Gerlach (Frankfurt) berichtete kürzlich von einer eigenen kleinen Studie in 18 Hausarztpraxen4. Die 169 einbezogenen Patienten waren durchschnittlich 74 Jahre alt und hatten im Durchschnitt acht Medikamente verschrieben bekommen. In 96% der Fälle stimmte allerdings die tatsächliche Einnahmesituation nicht mit der Medikation überein, die dem Hausarzt bekannt war.
Häufig zu beobachtende Verschreibungsfehler sind Gerlach zufolge:
Mindestens die Hälfte dieser Fehler ist nach Meinung des Experten eigentlich vermeidbar. Dazu kommen dann noch die patientenseitigen Probleme:
Es kann zudem schon mal sein, dass ein Patient kurzerhand auf die Pillen des Ehepartners zurückgreift. Auch wenn Patienten einen Medikationsplan haben, führen sie ihn nur selten mit sich. Auf dem Weg zum Notdienst oder ins Krankenhaus ist er dann auch fast nie dabei. Von einer Aktualisierung aus patientenseitigem Antrieb ganz zu schweigen.
Die Erhebung der Selbstmedikation ist für den Arzt meist ein kniffliges Unterfangen. Stichwort "Brown-Bag-Review": Der Patient bringt alle seine Medikamente in einer Tüte mit in die Praxis. Für die Prüfung der erfassten Präparate auf Kontraindikationen und Wechselwirkungen gibt es übrigens eine Software, über die laut Gerlach aber derzeit nur wenige Praxen verfügen.
Apropos Software: Die bisher in Arzneimittelinformationssystemen verfügbaren Medikationspläne weisen unterschiedliche Formate und Inhalte auf. Das erschwert allen Beteiligten die Bearbeitung im Routinebetrieb. Nachteilig ist zudem, dass sie nur am Entstehungsort digital zu aktualisieren sind. Weitere Probleme betreffen die softwaregestützte Interaktionsprüfung und eine fehlende Reminderfunktion3.
Beim Muster-Medikationsplan der KBV wird auf die Papierversion ein Barcode gedruckt. Originalton KBV5: "Er enthält die Information des Plans in digitaler Form und ermöglicht, dass dieser unabhängig von der jeweiligen Praxis- oder Apothekensoftware per Scanner eingelesen und aktualisiert werden kann. Auf diesem Weg ist eine unkompliziertere Aktualisierung in Praxen, Apotheken und auch in Krankenhäusern möglich."
Eine optimistische Prognose. Aber eine, für die zu arbeiten sich tatsächlich lohnt. Nicht gerade finanziell, sondern medizinisch und menschlich. Mehr dazu im zweiten Teil des Beitrags.
Referenzen: