Mit dem kürzlich gefällten Urteil des Bundesverwaltungsgerichts zu möglichen Fahrverboten geht es dem Diesel an den Kragen. Ist das aus pneumologischer Sicht begrüßenswert?
Heute widmen auch wir uns mal dem Blockbuster-Thema, das ganz Auto-Deutschland in Atem hält und das gegenwärtig auch den "Aktuelles"-Bereich der DGP-Website dominiert. Es geht um den Diesel, das in ihm enthaltene Stickstoffdioxid (NO2) und die abgasverpestete Luft, vor allem in den urbanen Ballungsräumen.
Das Bundesverwaltungsgericht hat mit seinen beiden Urteilen vom 27. Februar den Weg für Diesel-Fahrverbote freigemacht. "Lungenärzte begrüßen Gerichtsurteil" ist die Pressemitteilung der DGP vom selben Tag betitelt. Ob dazu wohl auch alle Kolleginnen und Kollegen zu zählen sind, die ein Dieselfahrzeug in der Garage stehen haben? Der ärztlich legitimierte Gebrauch des Diesel-PKWs dürfte wohl unter Ausnahmeregelungen fallen, wie es für Handwerker im Urteil beispielhaft erwähnt wird. Dort wird auch die zu beachtende Verhältnismäßigkeit der administrativen Luftreinhaltemaßnahmen angemahnt.
Ein verhältnismäßiger und verantwortlicher Umgang mit Studien, Zahlen und Botschaften wäre in Zeiten der "Fake News"-Debatte sehr wünschenswert. Die Diesel-Geschichte scheint, so wie sie rüberkommt, in erster Linie eine politische zu sein. Das Umweltbundesamt (UBA), das dem Umweltbundesministerium unterstellt ist, hatte die Zahl von 6.000 Stickstoffdioxid-Toten im Jahr 2014 noch vor der Entscheidung der Bundesverwaltungsrichter rausgehauen und die offizielle Vorstellung der entsprechenden Studie1 (PDF-Link) für Anfang März angekündigt.
Am vergangenen Donnerstag wurde das 172 Seiten umfassende Werk nun auf einer Pressekonferenz als erste "kleinräumige Schätzung der Folgen einer Stickstoffdioxid-Langzeitexposition für Deutschland" präsentiert. Dem Straßenverkehr wird ein Anteil von 72% an der NO2-Belastung zugeschrieben, wobei der größte Teil von Dieselmotoren stammt. UBA-Präsidentin Maria Krautzburger fordert deshalb "intelligente Mobilitätskonzepte, die den Individualverkehr ersetzen" könnten.
Übrigens: Auch rund 439.000 Asthma-Erkrankungen und damit 14% aller Fälle im Jahr 2012 wurden mit der NO2-Exposition in Verbindung gebracht. Dem UBA zufolge sind die Ergebnisse der Studie "sehr konservativ" berechnet und tendenziell "eher zu niedrig", da beispielsweise bei der Schätzung der Langzeiteffekte nur Endpunkte mit "starker Evidenz" berücksichtigt wurden.
Allerdings wurden einige Fakten in der medialen Darstellung mehr oder weniger ausgeblendet: Zum einen sind die Zahlen für vorzeitige Todesfälle, verlorene Lebensjahre und gesundheitliche Beeinträchtigung (Disability-Adjusted Life Years = DALYs) seit 2008 rückläufig. Zum anderen stellt das mit 41.100 vorzeitigen Todesfällen bezifferte Risiko durch Feinstaub eine deutlich größere Gefahr dar – die prinzipiell von allen (auch elektrisch betriebenen) Autos ausgeht, vor allem aber von solchen mit Benzinmotoren. Vom Rauchen (100.000 vorzeitige Todesfälle) ganz zu schweigen.
In der EU gilt für die Außenluft ein NO2-Grenzwert von 40 µg/m³. Seine Relevanz ist allerdings unklar. Einerseits ist als Grenzwert am Arbeitsplatz mit 950 µg/m³ ein wesentlich höherer Wert festgelegt. Andererseits gibt es Studienbelege für negative gesundheitliche Langzeiteffekte auch unterhalb der bestehenden Grenzwerte.
Klar ist: NO2 kann zu einer Überempfindlichkeit der Bronchien führen und damit die Gefahr für die Entwicklung von chronischen und allergischen Atemwegserkrankungen erhöhen. Asthmatiker und Patienten mit chronischer Bronchitis gelten neben Herzkranken und Kindern als Risikogruppen für kurz- und langfristige Folgeschäden durch die NO2-Belastung.
Für (politisch motivierte) Panikmache sollten diese Erkenntnisse aber nicht missbraucht werden, denn dann könnte der Schuss nach hinten losgehen. Das zeigt das überdurchschnittliche Quantum an ärztlichen Leserreaktionen im Netz. Kommentare wie "offensichtlich politisch gesteuerte Volksverdummung" oder "ideologische Hetzjagd" liegen dabei – nicht gerade verwunderlich – im Trend.
Immerhin äußerte sich Dr. Joachim Heinrich vom Institut für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin am Klinikum der Universität München bei einer DGP-Pressekonferenz letzte Woche relativierend kritisch: "Ist eine Person an einer Herz-Kreislauf-Erkrankung gestorben, kann dies nicht eindeutig etwa auf eine Belastung mit Stickstoffdioxid zurückgeführt werden."
Wohl wahr. Noch deutlicher waren schon vor Wochen die via dpa kolportierten Worte des Präsidenten der Deutschen Gesellschaft für Arbeits- und Umweltmedizin, Prof. Hans Drexler: "Durch Berechnungen von Stickoxid auf Tote zu schließen, ist wissenschaftlich unseriös."
Dennoch hat die DGP natürlich Recht, wenn sie die Kommunen dazu auffordert, sich für eine saubere Stadtluft einzusetzen. Zum Spektrum der Möglichkeiten zählt neben etwaigen Diesel-Fahrverboten und der Förderung des öffentlichen Nahverkehrs auch der technologische Fortschritt: "Technisch sind die Abgasprobleme der Dieseltechnologie inzwischen gänzlich gelöst", wird Prof. Thomas Koch vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT) im Deutschen Ärzteblatt zitiert. "Wenn alle Diesel-Autofahrer ein EURO-6d-TEMP-Dieselfahrzeug der neuesten Generation hätten, schrumpfte der Beitrag des Dieselverkehrs an der NO2-Konzentration am Neckartor unmittelbar an der Straße auf etwa 3 µg/m3 Luft". Das wäre schon mal was. An der Feinstaubentwicklung lässt sich damit aber leider nicht drehen …
Referenzen:
1. Schneider V et al. Quantifizierung von umweltbedingten Kranheitslasten aufgrund der Stickstoffdioxid-Exposition in Deutschland. Umweltbundesamt 2018.
Abkürzungen:
dpa = Deutsche Presse-Agentur
DGP = Deutsche Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin