Asthma oder COPD? Frühzeitige Maximalbehandlung oder schrittweise Stufentherapie? Anders als in der Welt der klinischen Studien passen die Patienten in der Praxis desöfteren nicht ins gewünschte Schema. Ein Fallbeispiel.
"Die Praxis ist häufig anders" – denken Sie das auch manchmal, wenn die Experten der Klinikwelt Studienergebnisse und daraus abgeleitete Evidenzempfehlungen präsentieren? Vermutlich sprach der Aschaffenburger Lungenfacharzt Dr. Mathias Rolke mit diesem Statement beim DGP-Kongress in Stuttgart zahlreichen Kollegen aus der Seele. In seiner Falldarstellung berichtete er von einem Patienten, der eben nicht so recht ins Asthma-versus-COPD-Schema passen wollte
Wir knüpfen damit an den vorigen Beitrag zu schwerem Asthma in der Praxis: Biologika vor Prednisolon und das referierte Asthma-/COPD-Symposium mit Präsentationen im Klinik-Praxis-Modus an, dessen zweite Hälfte sich dem Stellenwert von Kombinationstherapien in der COPD widmete, und zwar mit der Fragestellung: "Mono – Dual – Triple – Quadrupel … Brauchen wir immer mehr?"
Wenn heute in der COPD von einer Dual-Therapie die Rede ist, dann ist damit nach State of the Art die LABA/LAMA-Kombination gemeint. PD Dr. Henrik Watz von der LungenClinic Grosshansdorf ging nochmal kurz die Daten der bekannten Studien (FLAME, WISDOM etc. – hier im Überblick) durch. Klare Evidenz für eine verbesserte Reduktion von akuten COPD-Verschlechterungen gibt es demnach für (Abkürzungsliste ((bitte verlinken))):
Für den Nutzen der Triple-Therapie LAMA/LABA/ICS fehlen bisher prospektive Studien. Erkennbar ist aber, dass eine Gruppe von Patienten mit mehreren Exazerbationen pro Jahr und erhöhten Eosinophilie-Werten von über 300/µl und erst recht über 400/µl von einer zusätzlichen Behandlung mit ICS profitiert.
Wir sparen uns die weiteren Details und kommen gleich zum abschließenden und wenig überraschenden Fazit von Watz: "Zur Verhinderung von Exazerbationen brauchen wir
Ja, also auch Quadrupel-Therapie, wenn es sein muss. So steht es auch in der GOLD-Empfehlung. Nach Leitlinienmeinung sollten zunächst inhalative Steroide verordnet werden, bevor der PDE-4-Hemmer zum Einsatz kommt. Gute Studien fehlen in diesem Kontext aber, so Watz.
Eine gute Überleitung zum niedergelassenen Kollegen Rolke, der mit der Güte selbst guter klinischer Studien aus der Sicht des Praktikers so seine Probleme hat. Denn die nach dem wissenschaftlichen Gold-Standard produzierten Ergebnisse stammen von Teilnehmern, die vordefinierten Ein- und Ausschlusskriterien entsprechen und sich an das Studienprotokoll halten. Ein Studienzeitraum von einem Jahr gilt dabei schon als sehr lang.
In der Praxis sieht es dagegen häufig so aus:
Und selbst bei bestehender Compliance haben die Patienten (wie alle anderen Menschen auch) so ihre Schwächen … "Empathie und Zeit und Geduld für die Patienten sind am wichtigsten", so Rolke.
Den vorgestellten Kasuistik-Patienten behandelt der niedergelassene Pneumologe bereits seit neun Jahren. Der 50-jährige Wirtschaftsingenieur, der häufig ins Ausland reisen muss, kam mit Atemnot beim Treppensteigen und ganzjährigem Husten mit wenig Auswurf, aber ohne Dyspnoe-Anfälle in die Praxis.
Bei 185 cm Körpergröße und 90 kg Körpergewicht machte er eine sehr gepflegte Erscheinung, schaffte es nach eigener Aussage aber halt nicht, "die letzten drei Zigaretten" wegzulassen. Aufgrund einer Rhinitis mit häufiger Sinusitis übte sich der nette Patient im Dauergebrauch abschwellender Nasentropfen. Analgetika-Intoleranz, Allergie-Test, Eosinophilie: alles negativ.
Klinisch und im Röntgenbild zeigte sich ein Emphysem-Thorax. Mit FEV1 < 50% lag ein schweres Krankheitsstadium vor. Broncholyse-Test: FEV1 +12% bzw. +200 ml. Das Alpha-1-Antitrypsin war mit 151 mg/dl normal.
Mit einer Raucheranamnese von 30 Packungsjahren (Asthma-Ausschlusskriterium) bei gleichzeitiger Salbutamol-Reversibilität (COPD-Ausschlusskriterium) hätte dieser Patient in keine Studie gepasst.
Die Broncholyse fiel nicht eindeutig positiv aus, der Eindruck einer COPD überwog. Die nasale Symptomatik hätte andererseits zu einem Intrinsic Asthma passen können. Vielleicht doch ein Asthmatiker, der raucht?
Der Patient erhielt zunächst Tiotropium als Monotherapie, ein Peak-Flow-Meter und die Empfehlung zum Tabakverzicht und zur COPD-Schulung. Zur Prüfung auf Steroidsensitivität verordnete der Pneumologe zudem Prednisolon (20 mg absteigend für 10 Tage).
Beim zweiten Besuch zeigten sich erhebliche Peak-Flow-Schwankungen (> 10%) mit verschlechterten Werten am Abend, ein FEV1-Anstieg um 16% und eine deutliche Diffusionsstörung (DCLO SB: 46% Soll). Der Patient fühlte sich nach dem Steroid-Stoß subjektiv besser. Der Pneumologe entschied sich wegen der PEF-Variabilität "nach damaligem Zeitgeist" für eine ICS/LABA zusätzlich zu Tiotropium.
Nach etwa achtmonatiger Therapie war der Patient besser belastbar und fühlte sich insgesamt deutlich besser. Der positive Trend zeigte sich auch in den Lungenfunktionswerten: Die Vitalkapazität war um 700 ml, die Einsekundenkapazität um 400 ml gestiegen. Exazerbationen waren bisher nicht aufgetreten. Also alles in Butter?
Leider nicht. Denn nach zwei ruhigen Jahren trat zunächst eine leichte Exazerbation auf, der nach drei Monaten und nach einem Jahr zwei weitere akute Verschlechterungen folgten. In drei Jahren war die Einsekundenkapazität um 700 ml gefallen. Der Patient erhielt 2011, ein Jahr nach der Zulassung, Roflumilast, worunter sich die Peak-Flow-Werte stabilisierten und die Einsekundenkapazität wieder etwas zulegte.
Nach zwei weiteren ruhigen Jahren begann allerdings wieder eine Serie von zunächst milderen, dann teilweise schwereren Exazerbationen, im vergangenen Jahr sogar in der Reha (wieder, wie so oft, im Sommer). Eine Angststörung, die der Patient entwickelte, führte zur Verordnung von Opipramol.
Und der heutige Stand? Die Quadrupel-Therapie wird weiterhin fortgesetzt. Die in diesem Jahr in der Praxis eingeführte "Aufbauschulung" sieht als Schwerpunkt ein niedrigschwelliges, tägliches (!) häusliches Trainingsprogramm vor. Tatsächlich geht es dem Patienten damit besser: Er übt täglich, walkt im Park (woran vor 10 Jahren noch kein Denken war) und verfügt nun wieder über verbesserte Lufu-Werte (FEV1: 1,0 l).
Was können wir aus dieser Kasuistik lernen? Das Fazit des Niedergelassenen fällt sympathisch ehrlich und mit vielen Fragezeichen versehen aus:
Referenz:
Zielgerichtete Therapie von chronisch-obstruktiven Lungenerkrankungen – aus der Praxis für die Praxis. Industriesymposium der AstraZeneca GmbH beim 58. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DGP). Stuttgart, 23. März 2017.