Wie schädlich ist die E-Zigarette aus pneumologischer Sicht? Die Frage ist sehr relevant und hoch umstritten. Während das konventionelle Rauchen unter Jugendlichen rückläufig ist, erfreut sich das elektrische "Dampfen" wachsender Beliebtheit. Ist das gut so und für wen – und für wen nicht?
Wer sich mit dem Thema näher beschäftigt, stellt fest: Einer ausgewogenen und differenzierten Bewertung stehen ideologische Positionen, starke Emotionen und handfeste Interessen entgegen. Es geht um etablierte (Versorgungs-) Angebote und natürlich um viel Geld.
Über die langfristigen Gesundheitsschäden ist trotz aller Publikationsflut bislang noch wenig bekannt. Eine amerikanische Querschnittstudie zu dieser Thematik wurde Ende letzten Jahres im American Journal of Respiratory and Critical Care Medicine publiziert. Es handelt sich um ein Fallbeispiel, wie – ob absichtlich oder nicht – Fake News im Medizinbetrieb entstehen und kolportiert werden.
Ausgangspunkt für die Wissenschaftler war, dass sich im E-Zigaretten-Aerosol Bestandteile mit "bekannter pulmonaler Toxiztität" befinden. Deshalb wollten sie die Zusammenhänge zwischen dem Konsum elektrischer Zigaretten und chronischer Bronchitis sowie Giemen in einer adoleszenten Population untersuchen.
Im Rahmen der schon länger laufenden Southern California Children's Health Study erhielten 2.086 Jugendliche der elften und zwölften Klasse im Jahr 2014 Fragebögen. Das Durchschnittsalter der Befragten betrug 17,3 Jahre. Die Selbstauskunft bezog sich vor allem auf den Gebrauch von E-Zigaretten und das Auftreten von Symptomen einer chronischen Bronchitis und von Giemen im Vorjahreszeitraum.
Gefragt wurde nach "täglichem Husten über 3 aufeinanderfolgende Monate, Verschleimung oder Auswurf unabhängig von einer Erkältung oder Bronchitis in den vorangegangenen 12 Monaten". Abgefragt wurden auch der Konsum anderer Tabakprodukte wie Zigaretten, Zigarren, Pfeife oder Shisha und Atemwegsbelastungen in der häuslichen Umgebung – etwa durch rauchende Eltern.
Fast jeder vierte Jugendliche (n = 501; 24 %) gab an, E-Zigaretten konsumiert zu haben. Bei knapp 10 % war das innerhalb der letzten 30 Tage der Fall. Von diesen aktuellen E-Rauchern dampfte etwas mehr als die Hälfte nur an 1-2 Tagen pro Monat. Die Mehrheit der Jugendlichen mit E-Zigaretten-Erfahrung hatte vorher schon normale Zigaretten geraucht. Nahezu ein Fünftel der Befragten (n = 368; 19 %) beobachtete bei sich bronchitische Symptome, 255 (12 %) ein Giemen.
Für das "Risiko bronchitischer Symptome" berechneten die Wissenschaftler eine Odds Ratio (OR) von 1,85 bei den ehemaligen und von 2,02 bei den gegenwärtigen Nutzern von E-Zigaretten. Das Risiko stieg dabei in Abhängigkeit von der Frequenz des E-Zigaretten-Konsums in den vergangenen 30 Tagen: OR 1,66 bei einem Gebrauch an 1-2 Tagen und OR 2,58 bei häufigerem Konsum, jeweils im Vergleich zu Nie-Nutzern.
Eine Adjustierung hinsichtlich potenzieller Störfaktoren wie der Gesamtzahl gerauchter Zigaretten und der Exposition als Passivraucher schwächte die statistischen Assoziationen ab. Für das Giemen ging die Signifikanz des beobachteten Effekts dadurch verloren.
Die Schlussfolgerung der Autoren: Adoleszente E-Zigaretten-Konsumenten hatten häufiger chronische bronchitische Symptome. Es besteht weiterer Forschungsbedarf, um die Langzeiteffekte von E-Zigaretten auf die Atemwegsgesundheit zu eruieren.
Unsere Frage lautet: Was nehmen Sie aus dieser Studie (bzw. dieser Zusammenfassung) mit?
In Publikums-, aber auch Fachmedien wurde die Studie anschließend als Beweis der Gefährlichkeit der E-Zigarette mit verdoppeltem Bronchitis-Risiko unter Jugendlichen referiert. Auch die American Thoracic Society, eine der größten medizinischen Fachgesellschaften der Welt, konstatierte in einer Pressemitteilung:
Die Studie fand heraus, dass im Vergleich zu jenen, die nie E-Zigaretten konsumierten, das Risiko für respiratorische Symptome
Richtig?
Der Kardiologe Dr. Konstantinos Farsalinos weist in seinem Blog auf die Problematik dieser Aussagen hin: Sie entsprechen nicht dem, was die Studie tatsächlich herausgefunden hat.
Die Zuordnung einer "chronischen Bronchitis" fußt in dieser Studie auf der Beantwortung von Fragen zur Symptomatik, nicht auf ärztlicher Diagnose oder eingenommenen Medikamenten. Die Pressebeiträge sprechen aber von Lungenerkrankung und Bronchitis, ohne dies näher zu differenzieren.
Von einer Verdopplung des Risikos einer chronischen Bronchitis kann keine Rede sein. Denn in dieser Querschnittstudie wurden keine Risiken ermittelt, sondern Odds Ratios. Die Quotenverhältnisse sind nicht mit relativen Risiken gleichzusetzen, auch wenn das fälschlicherweise häufig geschieht. Die Verwendung des Begriffs "Risiko" durch die Studienautoren ist irreführend, da keine Erfassung von vorheriger Exposition (E-Zigaretten-Konsum) und nachfolgendem Ergebnis (Symptome) erfolgte.
Außerdem wurden bei der Ermittlung der signifikanten OR-Werte Zigarettenrauchen und Passivrauchen nicht als Kovariate in den Regressionsmodellen berücksichtigt. Unter Hinzuziehung dieser beiden Faktoren ergab sich lediglich für ehemalige E-Raucher ein leichter Zusammenhang mit respiratorischen Symptomen, nicht aber für aktive Anwender. Der sarkastische Kommentar von Farsalinos dazu: "Glücklicherweise empfahlen die Autoren nicht, dass es für die Heranwachsenden besser sei, mit dem Gebrauch von E-Zigaretten fortzufahren anstatt damit aufzuhören."
Dass der Konsum von E-Zigaretten bei Nichtrauchern zu keiner erhöhten Inzidenz von Symptomen führte, zeigt deutlich den Zufallscharakter der beobachteten Zusammenhänge, so Farasalinos. Und weiter: "Stellen Sie sich eine Studie vor, mit der man den Zusammenhang zwischen der Anwendung von Vareniclin (der bekannte Wirkstoff zur Raucherentwöhnung) und chronischer Bronchitis ermitteln will. Alle Vareniclin-Nutzer sind aktive oder ehemalige Raucher und Rauchen ist der wichtigste Risikofaktor für chronische Bronchitis. Hielte man nun das Rauchen als Kovariate aus der Analyse fern, ergäbe sich ein 'erhöhtes Risiko' für chronische Bronchitis durch Vareniclin. Das ist offensichtlich falsch."
Farsalinos, der sich vom anfänglichen Kritiker zum "E-Zigaretten-Pionier" wandelte, verweist auf ein weiteres, "noch beeindruckenderes Problem mit dieser Studie". Darüber sind wir auch gestolpert. Nämlich eine Prävalenz der chronischen Bronchitis von 19 % in der Altersgruppe der 16- bis 18-Jährigen. Das kann nicht sein, denn in jungen Jahren ist die chronische Bronchitis – ganz im Gegensatz zur akuten – ein ziemlich seltenes Ereignis. Die rhetorische Frage Farsalinos, ob es wohl eine COPD-Epidemie unter den Heranwachsenden in Südkalifornien gibt, kann getrost mit "nein" beantwortet werden ("Do e-cigarettes cause COPD or is there a COPD epidemic in adolescents in South California?").
In seinem Studienreferat mit dem Titel "Nikotin elektronisch macht auch Bronchitis" kommentierte Prof. Hermann Füeßl kürzlich auf springermedizin.de: "Wer gedacht hatte, dass die elektronische Zigarette weniger schädlich ist als das konventionelle Rauchen, ist wohl auf dem Holzweg." Bei aller Wertschätzung für seine zahlreichen lesenswerten Beiträge: Das ist starker Tobak.
Farsalinos bekennt sich dagegen in einem Blog-Statement "eindeutig zum Einsatz von E-Zigaretten als Rauchersatz bei Rauchern, die nicht willens oder nicht in der Lage sind, mit den gegenwärtig anerkannten Medikationen das Rauchen aufzuhören. E-Zigaretten sollten nicht von Nichtrauchern konsumiert werden, da es keinen Grund gibt, sich einem unnötigen Risiko auszusetzen (auch wenn es sich um ein niedriges Risiko handeln mag)."
Und wie sehen Sie das?
Referenz:
McConnell R et al. Electronic Cigarette Use and Respiratory Symptoms in Adolescents. Am J Respir Crit Care Med. 2017;195(8):1043-9.