Erhöhtes COPD-Risiko schon in der Kindheit gebahnt

Die kindheitlichen Einflüsse auf spätere Erkrankungen der Atemwege finden beim kommenden DGP-Kongress besondere Berücksichtigung. Ansatzpunkte für die COPD-Prävention liefert eine australische Langzeitstudie.

Die kindheitlichen Einflüsse auf spätere Erkrankungen der Atemwege finden beim kommenden DGP-Kongress besondere Berücksichtigung. Ansatzpunkte für die COPD-Prävention liefert eine australische Langzeitstudie.

Google Maps kennen Sie, nicht wahr? Ein ziemlich praktisches, noch dazu kostenloses und  für jeden mit Netzverbindung verfügbares Navigationssystem. Für geografische Orte und die Routen, über die man zu ihnen gelangen kann. Und wie ist es mit dem menschlichen Körper – gibt es für den auch schon ein Google Maps?

Zellatlas der alternden Lunge: "eine Art Google Maps"

Noch nicht, es wird aber – natürlich – bereits daran gearbeitet. Der Name des Projekts: Human Cell Atlas (HCA). "Dabei handelt es sich um eine Art Google Maps des menschlichen Körpers, bei dem alle Zellen und Gewebe zu verschiedenen Zeitpunkten kartiert werden sollen, um eine Referenzdatenbank zur Entwicklung personalisierter Medizin zu schaffen", heißt es in einer Hintergrundinformation des Helmholtz Zentrums München, einem Partner im Deutschen Zentrum für Lungenforschung (DZL).

In einer als Vorreiterprojekt dienenden Studie wurde dort gerade ein Zellatlas der alternden Lunge im Mausmodell beschrieben und in Nature Communications publiziert1. Die  Wissenschaftler wendeten single cell transcriptomics und eine proteomische Massenspektrometrie-Methode an, um Veränderungen in 30 verschiedenen Zelltypen der Lunge zu messen. Wen es genauer interessiert, kann sich das Prinzip des Lung Aging Atlas in einer übersichtlichen Darstellung anschauen. Für die wissenschaftliche Community haben Dr. Herbert Schiller vom Institut für Lungenbiologie und Prof. Fabian Theis vom Institut für Computational Biology zudem ein interaktives und nutzerfreundliches Webtool für den freien Datenzugang gebastelt.

Altersbedingter Verlust an Synchronität und Konstanz der Genaktivität

Um besser im Detail zu verstehen, warum mit zunehmendem Alter die Lungenfunktion ab- und die Anfälligkeit für Atemwegserkrankungen zunimmt, wurde der pulmonale Alterungsprozess auf der Einzelzellebene untersucht und mit Hilfe künstlicher Intelligenz ausgewertet. Ergebnis: Mit zunehmendem Alter verliert die Genaktivität in den Lungenzellen an Synchronität und Konstanz. Die Epigenetik verändert sich in jeder Zelle individuell und neben der Aktivität intrazellulärer Stoffwechselwege verändert sich auch die extrazelluläre Matrix.

"Diese Karte wird ein neues Zeitalter einläuten in der Biologie und Medizin und unser Verständnis von Krankheiten und deren Behandlung revolutionieren", verheißt der dänische Wissenschaftler Dr. Pascal Timshel in diesem Science-Slam-artigen Vortrag über den Human Cell Atlas. Mal schauen, ob es dann irgendwann auch so eine Art Google Maps für die pneumologische Praxis gibt.

DGP/GPP-Kongress: kindheitliche Einflüsse auf die Lungengesundheit im Fokus

Was es auf jeden Fall schon jetzt gibt, ist die Erkenntnis, dass viele Lungenkrankheiten ihre Wurzeln in der Kindheit haben. Damit machen wir einen Schwenk zum 60. DGP-Kongress, der nächste Woche in München stattfinden wird und das zum zweiten Mal in Kooperation mit der Gesellschaft für Pädiatrische Pneumologie (GPP).  "Wir internistischen Pneumologen lernen zunehmend, die frühe Entwicklung der Lunge für spätere Erkrankungen mit zu berücksichtigen", wird Prof. Jürgen Behr (LMU München) von der Ärzte Zeitung zitiert.

Behr teilt sich die Kongresspräsidentschaft mit der Kinderärztin und Epidemiologin Prof. Erika von Mutius, die neben der Asthma- und Allergieambulanz an der LMU auch das Institut für Asthma- und Allergieprävention am Helmholtz Zentrum München leitet. Sie hat bekanntlich die Hygiene-Hypothese, nach der das Immunsystem im frühen Kindesalter ein Training zum Schutz vor Asthma und Allergien braucht, maßgeblich mitgeprägt.

Einerseits beeinflussen genetische Prädispositionen und diverse Umwelteinflüsse später die Krankheitsverläufe im Erwachsenenalter. Andererseits können medizinische Entwicklungen in der adulten Pneumologie auch für die pädiatrische von Interesse sein. Der Austausch zwischen beiden Fachgruppen ist essenziell und ein Kongress, der beide Perspektiven – die pädiatrische und die internistische – bietet und diesen Austausch fördert, eine sinnvolle Angelegenheit. Nicht nur, wenn es um die Transition von chronisch lungenkranken Jugendlichen ins Erwachsenenalter geht.

Australische Langzeitstudie identifiziert Trajektorien und Risikofaktoren

Vor knapp einem Jahr erschien eine australische Langzeitstudie2, die sich mit Lungenfunktionsverläufen und ihren Determinanten von der ersten bis zur sechsten Lebensdekade beschäftigte. Als Datenquelle diente die Bevölkerungsstudie TAHS (Tasmanian Longitudinal Health Study), die bereits 1968 startete. Die Lungenfunktion (präbronchodilatatorische FEV1-Werte) wurde im Alter von 7, 13, 18, 45, 50 und 53 Jahren gemessen. Zu Studienbeginn erhielten die Eltern einen Fragebogen, am Studienende wurden die Teilnehmer selbst bezüglich potenzieller Faktoren befragt.

Die Wissenschaftler identifizierten 6 Verlaufsgruppen bzw. Trajektorien ("Flugbahnen") hinsichtlich der Lungenfunktion:

  1. frühzeitig unterdurchschnittlich, beschleunigte Abnahme (4% der Teilnehmer);
  2. dauerhaft niedrig (6%);
  3. unterdurchschnittlich (32%);
  4. frühzeitig niedrig, beschleunigte Zunahme, normale Abnahme (8%);
  5. durchschnittlich (39%);
  6. dauerhaft hoch (12%).

In den ersten drei Trajektorien bzw. Gruppen fanden sich 75% aller COPD-Erkrankungen. In Gruppe 1 war fast jeder Zweite im Alter von 53 Jahren ein COPD-Patient, in Gruppe 2 war es mehr als jeder Achte (13%). Das Risiko (Odds Ratio) war in der ersten Gruppe 35fach erhöht, in der zweiten fast 10fach und in der dritten fast 4fach.

Lungenfunktion schon lange vor Rauchbeginn vermindert

In jeder dieser drei Gruppen war die Lungenfunktion bereits im zarten Alter von 7 Jahren vermindert – also lange bevor die Betroffenen die erste Zigarette in die Hand nahmen. Bemerkenswert ist auch, dass sich in den übrigen drei Trajektorien viele aktive oder frühere Raucher fanden, aber nur wenige COPD-Fälle auftraten.

Schlussfolgerung: In der Kindheit gibt es Faktoren, die sich über eine Schädigung der Lungenfunktion auf das spätere COPD-Risiko auswirken. In den drei Trajektorien traten folgende Prädiktoren im frühen Lebensalter häufiger auf: Asthma, Bronchitis, Pneumonie, allergische Rhinitis, Ekzeme, elterliches Asthma und mütterliches Rauchen. Der Anteil der Mütter, die rauchten, war höher als in den anderen Trajektorien, in denen es im späteren Leben selten zu einer COPD kam. In der ersten Gruppe verschärften das eigene Rauchen und eine aktive Asthma-Erkrankung den negativen Effekt von Passivrauchen und Asthma in der Kindheit. 

Ansatzpunkte für die COPD-Prävention

Auch wenn die epidemiologische Studie keinen Evidenzbeleg dafür liefern kann, erscheint die Annahme der Autoren durchaus gerechtfertigt, dass die Häufigkeit der COPD durch folgende Maßnahmen in der Kindheit gesenkt werden könnte:

Referenzen:
1. Angelidis I et al. An atlas of the aging lung mapped by single cell transcriptomics and deep tissue proteomics. Nature Communications 2019. doi:10.1038/s41467-019-08831-9
2. Bui D et al. Childhood predictors of lung function trajectories and future COPD risk: a prospective cohort study from the first to the sixth decade of life. Lancet Respir Med 2018;6(7):535-44. doi:10.1016/S2213-2600(18)30100-0

Abkürzungen:
DGP = Deutsche Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin e.V.
FEV1 = forciertes exspiratorisches Volumen in einer Sekunde (Einsekundenkapazität)