Liebe Kolleginnen und Kollegen,
wir hoffen, dass Sie gut und gesund im neuen Jahr angekommen sind. Bevor wir uns dessen Ereignissen zuwenden, werfen wir noch einen Blick auf eine Neuigkeit aus dem vergangenen Jahr. Am 16. November 2016 – zum Welt-COPD-Tag – sind nämlich die neuen GOLD-Empfehlungen für die Diagnostik und Therapie der COPD der Öffentlichkeit vorgestellt worden. Die Global Initiative for Chronic Obstructive Lung Disease (GOLD) bietet das Update ihres Strategie-Papiers („GOLD 2017 Report“) zum kostenfreien Download hier auf ihrer Website an. Wer die Kurzfassung („At-A-Glance“) bevorzugt, kann sie mit diesem PDF-Link herunterladen.
Bereits im September war im Rahmen des ESR-Kongresses in London laut über mögliche Neuerungen im GOLD-Update nachgedacht worden. Mit dem Marburger Pneumologen Prof. Claus Vogelmeier war auch ein Deutscher unter den maßgeblichen Autoren des neuen Konsensus-Berichts vertreten, und das sogar als Vorsitzender des GOLD Science Committees.
Die letzte größere Revision des GOLD-Reports erfolgte 2011. In den Jahren 2013-2016 wurden jeweils Aktualisierungen bezüglich der wissenschaftlichen Literatur vorgenommen, während die zentralen Paradigmen unverändert blieben. Das ist diesmal anders: Mit dem jetzigen Update gibt es einige grundlegende Änderungen – abgesehen von der Überarbeitung der sage und schreibe mehr als 1.000 zitierten Literaturstellen.
Neue Definition der COPD
Die paradigmatischen Neuerungen beginnen schon im Kapitel 1 bei der Definition der Erkrankung. Zusätzlich zur persistierenden Atemflussbehinderung wird nun auch auf die Persistenz der Symptome abgehoben. Die Entzündung ist dagegen aus der Definition herausgefallen, stattdessen ist von „Auffälligkeiten von Atemwegen und/oder Alveolen“ („airway and/or alveolar abnormalities“) die Rede. Hintergrund ist die Erkenntnis, dass zum einen außer den Bronchien auch das Lungenparenchym betroffen ist und zum anderen neben der Inflammation auch andere Ursachen eine COPD bedingen können. Auf Partikel oder Gase als Erkrankungsursache wird nach wie vor hingewiesen, allerdings mit der Einschränkung „typischerweise“ („usually“). Denn Menschen können auch eine COPD entwickeln, ohne dass sie solchen Noxen ausgesetzt sind.
Die Fokussierung auf die Symptome sollte auch in der Praxis beherzigt werden. In einem Video zum GOLD-Update betont Vogelmeier, dass die Patienten die Symptome nicht immer richtig erleben oder nicht richtig schildern. „Deshalb ist es an uns, danach aktiv zu fragen“, so Vogelmeier.
Um eine COPD zu diagnostizieren, müssen Sie allerdings weiterhin eine bronchiale Obstruktion nachweisen. Symptomatische Patienten wie die bekannten und ausgiebig diskutierten Raucher, die formal eine normale Lungenfunktion aufweisen, werden in der neuen Definition nicht berücksichtigt. Hier ist noch unklar, um welches Krankheitsbild es sich tatsächlich handelt (eine COPD-Vorstufe, eine spezielle Form des Asthma bronchiale, eine chronische Bronchitis oder noch etwas anderes?).
Es bleibt also festzuhalten: Keine Diagnose ohne Spirometrie. Wenn ein Patient entsprechende Symptome und Risikofaktoren aufweist, dann ist die Lungenfunktion zu überprüfen.
Vereinfachtes ABCD-Schema: Lungenfunktion fällt heraus
Eine weitere praxisnahe Veränderung betrifft das bekannte ABCD-Schema, das 2011 eingeführt worden ist. Diese Vierfeldertafel ist aus der Zusammenschau von Symptomatik, Exazerbationshistorie und Atemflusseinschränkung entstanden. Für das COPD-Management und die individualisierte Therapie bedeutete es einen strategischen Fortschritt, die Patienten nicht mehr nur nach ihrer Lungenfunktion bzw. den Spirometrie-Ergebnissen zu klassifizieren.
Für die Prognose der Mortalität und anderer Outcomes brachte das neue Schema allerdings keine Vorteile. Vielmehr hat die zweidimensionale Darstellung der drei Kenngrößen mit einer X- und zwei Y-Achsen unter den Ärzten für Verwirrung gesorgt.
Die überarbeitete Version soll jetzt Klarheit schaffen: Die Klassifizierung der Patienten erfolgt wie gehabt, jetzt aber getrennt nach Einschränkung der Lungenfunktion (Grad 1-4) und Symptomen bzw. Exazerbationshistorie (Kategorien A-D). Für die medikamentöse Behandlung spielt nun ausschließlich A-D eine Rolle, während der Spirometrie-Befund neben der Diagnosestellung u.a. für andere Therapiemaßnahmen (z.B. Lungenvolumenreduktion oder -transplantation) von Bedeutung ist und bleibt.
Pharmakotherapie-Empfehlung erweitert auf vorbehandelte Patienten
Bei der Therapie stehen wie bisher zwei Ziele im Vordergrund:
Dass es hierfür sowohl medikamentöse als auch nichtmedikamentöse Maßnahmen gibt, die am besten miteinander kombiniert werden sollten, dürfte klar sein.
Auch die pharmakologischen Therapieempfehlungen der GOLD-Experten warten mit diversen Änderungen auf. Galten sie bisher nur für die Initialtherapie, umfassen sie jetzt mit Blick auf den Praxisalltag auch COPD-Patienten, die vorbehandelt sind. Für jedes der Felder A-D werden nun eigene Therapie-Algorithmen und Eskalationskonzepte sowie eine Deeskalation-Strategie empfohlen, die das Absetzen von inhalativen Glukokortikoiden (ICS) betrifft. Die therapeutischen Algorithmen leiten sich aus der bestehenden Evidenz ab, gehen aber – um der Praxisrelevanz willen – auch über sie hinaus, wie Vogelmeier zugibt: „Wir haben hier etwas riskiert.“
Wie zu erwarten, wurde die Rolle der dualen Bronchodilatation gestärkt. Sie kommt in den Feldern B-D und damit für einen Großteil der Patienten in Frage. ICS-Kombinationen sind als Step-up-Therapien für Patienten mit schwerer Erkrankung und Exazerbationen weiterhin eine bedeutsame Option. Die Blut-Eosinophilen-Zahl könnte hier als Biomarker eine Rolle spielen. Für eine konkrete Empfehlung reicht die bisherige Evidenz allerdings noch nicht aus.
Auf die Inhalationstechnik kommt es an!
Ziemlich evident und nun auch im GOLD-Report prominent hervorgehoben ist dafür die Bedeutung der Inhalationstechnik! Wir haben es in diesem Blog schon thematisiert: Die Patienten müssen mit ihren Geräten umgehen können. Für Sie als Behandler und Verschreiber bedeutet das: instruieren, kontrollieren und sich gerade bei scheinbaren „Therapie-Versagern“ immer wieder vergewissern, dass der Inhalator korrekt benutzt wird.
Auch die nicht-medikamentösen Maßnahmen sind von entscheidender Bedeutung. Zu den wichtigsten und bekanntesten zählen:
Es gibt allerdings noch weitaus mehr nicht-medikamentöse Maßnahmen (z.B. Palliationskonzepte, End-of-Life-Strategien), denen im neuen GOLD-Dokument ein großer Raum zugestanden wird. Auf sie und auf andere wichtige (GOLD-) Themen wie interventionelle Maßnahmen, Exazerbationen und Entlass-Management werden wir in künftigen Blog-Beiträgen noch eingehen.
Die ins Deutsche übersetzten GOLD-Schemata zum ABCD-Beurteilungstool und zur Pharmakotherapie-Empfehlung finden Sie (nach Anmeldung oder DocCheck-Login) auf pneumowissen.de unter „COPD / GOLD GOLD-Update 2017“).
20 Jahre GOLD – Was ist Ihre Meinung?
Noch ein Wort zu den GOLD-Empfehlungen: Sie stellen zwar genau genommen keine Leitlinien dar, sind aber mittlerweile der Inbegriff des weltweiten Experten-Standards, wenn es um die COPD geht. Sie haben damit auch maßgeblichen Einfluss auf das – deutlich weniger aktive – nationale Leitliniengeschehen. Die neue DGP-Leitlinie (Koordination: Prof. Vogelmeier) ist laut Ankündigung auf dem AWMF-Portal übrigens auf den 31.01.2017 terminiert – also sehr bald. Wir werden natürlich zeitnah darüber berichten …
Die GOLD Initiative feiert in diesem Jahr übrigens ihren 20. Geburtstag. Sie wurde 1997 in Kooperation mit dem National Heart, Lung, and Blood Institute der National Institutes of Health (NIH) der USA ins Leben gerufen.
Und dazu ist auch Ihre Meinung gefragt. Wie relevant sind die GOLD-Empfehlungen für Sie? Sind Sie mit ihnen wirklich vertraut? Setzen Sie sie in Ihrer Praxis um? Was daran finden Sie für Ihre tägliche Arbeit hilfreich und was nicht? Über Kommentare freuen wir uns – und sicher auch die mitlesenden Kollegen.
Referenzen: