ICS bei COPD: die Macht der Gewohnheit

Weniger ist mehr: So lautet heute die Devise für die ICS-Verordnung bei COPD. Sie muss aber noch in der Praxis ankommen …

Weniger ist mehr: So lautet heute die Devise für die ICS-Verordnung bei COPD. Sie muss aber noch in der Praxis ankommen …

Beim Fußball liegt die Wahrheit auf dem Platz, in der medizinischen Versorgung findet man sie u. a. in den Verordnungszahlen. Eine aktuelle Analyse1 befasst sich mit den deutschen Verordnungsdaten bei Asthma und COPD in der Dekade von 2007 bis 2017. Im ersten Teil unseres Beitrags ging es ums Asthma, jetzt folgt die COPD.  

Dazu gleich mal ein Zitat: "Für die COPD belegen die Verordnungszahlen leider, dass die wissenschaftlichen Erkenntnisse der letzten 10–20 Jahre viel zu wenig Berücksichtigung gefunden haben. ICS sollten bei der COPD deutlich zurückhaltender und kritischer zum Einsatz kommen."

Für und Wider von ICS bei COPD: ein Dauerthema

Das Für und Wider von ICS bei COPD ist ein Dauerthema. Bereits im zweiten Beitrag unseres Blogs hatten wir uns vor Jahren mit den damals aktuellen Studien beschäftigt. Mittlerweile gilt ja die leitlinien- und evidenzbasierte Devise: weniger ist mehr. Der Einsatz der inhalativen Steroide ist bei der COPD "zu einem seltenen Kann geworden", wie es der Allgemein- und Sportmediziner Dr. Thomas Hausen (Essen) formuliert.

Schauen wir uns also die Verordnungszahlen von Hausärzten, Internisten und Pneumologen aus einem "statistisch relevanten" Datenpool (IMS VIP®) an:

Verordnungshäufigkeit (%) der wichtigsten Therapeutika bei COPD1

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Man sieht eine deutliche Zunahme bei den langwirksamen Bronchodilatatoren, die als "positiver Richtungshinweis" gewertet werden kann. Der gleichzeitig zu erwartende bzw. zu erhoffende Rückgang bei den ICS-Verordnungen ist allerdings nur schwach ausgeprägt, ihr Anteil lag vor zwei Jahren immer noch bei rund 30%. Das ist zu viel und passt mit der (auch schon damaligen) Erkenntnis- und Empfehlungslage nicht zusammen. Interessant ist der LABA/ICS-Gipfel im Jahr 2013. Gegenüber 2007 hat die Verordnung von LABA/ICS-Kombipräparaten letztlich nur um 0,8% und die Verordnung von ICS-Monopräparaten um 3,4% abgenommen. Ein zarter Trend in die richtige Richtung – als Beleg für die von Experten geforderte Kehrtwende?

In Belgien erhalten laut Marktforschungsdaten bis zu 70% der COPD-Patienten ICS, üblicherweise als Fixkombi mit LABA. Die Macht der Gewohnheit scheint stärker zu sein als die aktuelle wissenschaftliche Evidenz, schreiben die Autoren eines im vergangenen Jahr publizierten Papers. Der Titel: "Die Übertherapie mit inhalativen Kortikosteroiden bei COPD: fünf Fragen zur Beendigung in der täglichen Praxis". 2

Triple-Therapie: unabhänging vom Exazerbationsrisiko  (weiter-) verordnet?

Und wie steht es um die Triple-Therapie? Wie würden Sie aus eigener Erfahrung das Verordnungsaufkommen einschätzen? Hausen beruft sich auf "mündliche Informationen", denen zufolge in Deutschland ein Drittel aller COPD-Patienten eine freie oder fixe Triple-Therapie erhalten soll (und in Holland ein Viertel). Das wäre sehr viel, würde aber mit der Analyse3 von Daten aus der britischen Primärversorgung (32%) zusammenpassen. Hausen macht mit diesem statistischen Faktor folgende Modellrechnung auf:

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Zur Ermittlung der jeweiligen Zahl an COPD-Patienten (ICD J42-J44) auf Basis einer 1.000-Scheine-Praxis greift Hausen auf die Liste der häufigsten 100 Diagnosen der KV-Nordrhein (4/2017) und auf zwei Werte für den Anteil an Patienten mit Exazerbationen zurück.

Ergebnis der Modellrechnung: Die Zahl der mit einer Triple-Therapie versorgten Patienten übertrifft die erwartbare Zahl an Patienten mit Exazerbationen. ICS sollten aber nur dann (weiter) verordnet werden, wenn Exazerbationen trotz ausreichender einfacher oder dualer Bronchodilatation fortbestehen. Deeskalation sieht anders aus. Eine unzureichende, "manchmal für überflüssig gehaltene" Differenzialdiagnostik könnte einer der Gründe für die übertriebene ICS-Verordnung sein.

COSYCONET-Analyse: ICS bei zwei Drittel der COPD-Patienten

In einer letztes Jahr im Deutschen Ärzteblatt veröffentlichten Analyse4 von Daten der multizentrischen COPD-Kohortenstudie COSYCONET heißt es: "Ein zentrales Ergebnis ist vor allem die Beobachtung, dass zwei Drittel der deutschen COPD-Patienten ein ICS erhielten, das aber in etwa der Hälfte der Fälle nach dem neuesten Stand der internationalen Therapieempfehlungen nicht indiziert war."

In die nationale COSYCONET-Kohorte wurden 2.741 Patienten aufgenommen (GOLD-Schweregrade I–IV: 8%, 35%, 32%, 9%; 16% ohne Zuordnung bzw. frühere GOLD-Kategorie 0). Die Rekrutierung (Visite 1) erfolgte bundesweit von September 2010 bis Dezember 2013 über 29 Studienzentren nach vorgegebenen Ein- bzw. Ausschlusskriterien in enger Zusammenarbeit mit niedergelassenen Pneumologen aus der Umgebung. Die Datenerhebung zweier Folgevisiten fand in den Jahren 2014 und 2015 statt. Zu jeder Visite sollten die Patienten sämtliche eingenommenen Medikamente mitbringen. Die Patienten wurden gemäß der über CAT und modifizierten MRC-Score erfassten Symptomatik und der nach GOLD kategorisierten Exzerbationen den Gruppen A–D zugeordnet.

Andere Studie, andere Zahlen …

Das COSYCONET-Verordnungsbild sieht so aus: LAMA/LABA: 67,6%; ICS: 65,8%; Theophyllin: 11,7%; OCS: 12,6%. Entgegen den Empfehlungen wurden 66% der Patienten mit niedriger Exazerbationsrate (Gruppen A und B) mit ICS behandelt, während diejenigen mit hoher Exazerbationsrate (Gruppen C und D) häufig nicht die empfohlene LAMA- bzw. LAMA/LABA-Therapie erhielten. Von den vielen weiteren Zahlen weisen wir nur noch auf diejenigen zur Triple-Therapie hin und zitieren:

Wir halten fest: Der Anteil der ICS-Verordnungen lag vor ein paar Jahren bei einem Drittel, der Anteil der damit behandelten COPD-Patienten bei zwei Drittel. Wie auch immer diese Zahlen aus ganz verschiedenen Studienansätzen und Datenquellen zusammenpassen: Die ICS-Verordnung sollte immer kritisch hinterfragt und ggf. weiter nach unten geschraubt werden.

Referenzen:
1. Hausen T. Die Verordnungen bei Asthma und COPD in Deutschland für die Jahre 2007, 2010, 2013, 2015 – 2017. Pneumologie 2019;73(06):340-6
2. Cataldo D et al. Overuse of inhaled corticosteroids in COPD: five questions for withdrawal in daily practice. Int J Chron Obstruct Pulmon Dis 2018;13:2089-99
3. Brusselle G et al. The inevitable drift to triple therapy in COPD: an analysis of prescribing pathways in the UK. Int J Chron Obstruct Pulmon Dis 2015;10:2207-17
4. Graf J et al. Medikamentöse Therapie der COPD. Analyse der leitliniengerechten Verordnung in einer großen nationalen Kohorte (COSYCONET). Dtsch Arztebl Int 2018;115:599-605

Abkürzungen:
CAT = COPD Assessment Test
GOLD = Global Initiative for Chronic Obstructive Lung Disease
ICS = inhalative Kortikosteroide
LABA = langwirksames Beta-2-Sympathomimetikum (long acting beta-2 agonist)
LAMA  langwirksame Anticholinergika
OCS = orale Kortikosteroide