Gerade COPD-Patienten schützt die Grippeimpfung nicht nur vor schwer verlaufenden Exazerbationen, sondern auch vor einem (zweiten) Herzinfarkt oder Schlaganfall.
"Ich habe mich einmal impfen lassen und danach war ich wochenlang krank." Den Satz kriegt man in der Praxis immer mal wieder zu hören. Vielleicht antworten Sie dann auch: "An der Impfung kann es schon mal nicht liegen." Denn abgesehen von einer attenuierten Lebendvakzine zur intranasalen Applikation für 2- bis 17-Jährige handelt es sich beim hierzulande verfügbaren Grippeimpfstoff ausschließlich um Spalt- bzw. Totimpfstoffprodukte.
"Es ranken sich viele Mythen um die Impfung, insbesondere in Deutschland. In anderen Ländern ist man nicht so skeptisch" bemerkte dazu im Webcast Prof. Mathias Pletz vom Universitätsklinikum Jena (siehe Teil 1 des Beitrags). Auf die Frage eines Kollegen nach der Häufigkeit lokaler Impfkomplikationen antwortete der Impfexperte: "Die Influenzaimpfung ist eine der sehr gut verträglichen. Bei der adjuvantierten Vakzine kann es mal zu Lokalreaktionen kommen, aber bei weitem nicht so stark wie bei der Tetanusvakzine."
Die nicht wasserlösliche, ölige Adjuvanskomponente Squalen etwa begünstigt durch den Abtransport über die Lymphe eine schnellere Antigen-Präsentation in Lymphknoten. Damit sind "ein bisschen mehr Nebenwirkungen" verbunden, dafür sind die entsprechenden Impfstoffe auch geriatrisch geeignet. In der Lebendvakzine, die als Nasenspray bei Kindern zum Einsatz kommt, sind die attenuierten Viren nur bei Temperaturen bis 30 Grad replikationsfähig. Sie können also eventuell eine Rhinitis auslösen, aber keine Bronchitis.
Verläuft eine bakterielle Infektion grundsätzlich schwerer als eine virale? Auf diese Frage aus dem ärztlichen Auditorium antwortete Pletz: "Wahrscheinlich ja, gerade mit gramnegativen Bakterien." Davon sind in der Regel vor allem Patienten mit sehr schwerer COPD und Bronchiektasen betroffen, die für solche Infektionen deutlich vulnerabler sind. Aber auch akute Exazerbationen, die im Rahmen einer Influenza auftreten, verlaufen häufig schwer.
Die Nutzung der seit zwei Jahren verfügbaren und kostenfreien STIKO-App empfindet Pletz "persönlich als sehr hilfreich". Sie hält immer die aktuellen Empfehlungen bereit und hilft einem, anamnestisch mit wenigen Fragen zur individuellen Impfempfehlung zu gelangen. Dem können wir prinzipiell beipflichten, leider gibt es gerade ein paar technische Schwierigkeiten, wie im News-Bereich der App auch mitgeteilt wird (interessant ist, nebenbei bemerkt, das nach technischen, inhaltlichen und ideologischen Gesichtspunkten polarisierte Bewertungsbild im Google Play Store …).
Pletz wies auch auf "gute Daten" hin, die eine reduzierte Sterblichkeit unter älteren Erwachsenen zeigen, wenn Kinder durchgängig gegen Influenza geimpft sind. Der Grund: Kinder verbreiten das Virus länger und intensiver. Eine generelle Impfempfehlung für Kinder gibt es in Deutschland nur wo?
Richtig: in Sachsen. Anders als die SIKO empfiehlt die STIKO bei Kindern wie auch bei unter 60 Jahre alten Erwachsenen nur eine Indikationsimpfung bei erhöhtem Risiko. Pletz erinnerte daran, dass es sich bei den Empfehlungen der STIKO nach deren eigener Auffassung um Minimalempfehlungen handelt. So sind "auf Basis der existierenden Impfstoff-Zulassungen weitere 'Impfindikationen' möglich", folglich "hindert auch eine fehlende STIKO-Empfehlung den Arzt nicht an einer begründeten Impfung."
Und was tut sich bei der Suche nach dem universellen Influenzaimpfstoff, dem "heiligen Gral der Impfstoffforschung"? Man versucht, in hochkonservierten Virusantigen-Regionen fündig zu werden und befindet sich dabei in Phase 2. Bis zur Marktreife wird es allerdings nach Einschätzung von Pletz, "wenn überhaupt", noch 5–10 Jahre dauern.
Neu auf dem Markt, aber noch ohne großen Marktanteil sind rekombinante Impfstoffe aus Zellkulturen, die nach Ansicht des Infektionsmediziners "qualitativ besser und deutlich schneller" produziert werden als die tri- und quadrivalenten Vakzinen. Sie würden der WHO ein schnelleres Reagieren ermöglichen.
Was meinen Sie: Kann trotz quadrivalenter Impfung (im Oktober) nach Virusmutation in derselben Saison noch eine Infektion (im Februar oder März) auftreten?
Diese Frage aus dem Kollegenkreis bejahte Pletz: Das Virus ändert sich im Lauf der Saison. Es handelt sich bei dem Geschehen um "gelebte Evolution" und die ist eben "nicht vorhersagbar". Aus einer eigenen Studie weiß der Impfexperte, dass es nach einer Impfung im Oktober passieren kann, dass im März die Antikörper-Spiegel gerade gegen Typ B nicht mehr protektiv sind. Ergo: "Ich persönlich impfe mich so Mitte/Ende November."
Zu den wichtigsten Botschaften aus der Literatur der letzten zwei Jahre zählt für Pletz die nachgewiesene Assoziation zwischen Infektionen und kardiovaskulären Komplikationen, sprich Myokardinfarkt und Schlaganfall: "Hier können Impfungen tatsächlich auch schützen! Das ist, glaube ich, ein Argument, das viele Patienten noch nie gehört haben", vermutet der Jenaer Kliniker.
Über die eine von zwei hochrangig publizierten Arbeiten zu dieser potenziell impfpräventablen Gefahr hatten wir im Februar berichtet (Grippe erhöht das Herzinfarkt-Risiko). Zwar ist die Influenza nicht nur für COPD-Patienten ein Risikofaktor für kardiovaskuläre Ereignisse, aber bei dieser Patientenklientel im Besonderen, da die COPD ihrerseits das Gripperisiko erhöht.
Es gibt zudem eine "1A-Evidenz" für die Influenzaimpfung als Sekundärprävention nach überlebtem Herzinfarkt. Laut einer aktuellen Übersichtsarbeit sieht das Schutzpotenzial in Zahlen so aus:
Ungeachtet der großen Spannbreite wegen der Schwierigkeiten mit dem saisonal richtigen Impfstoff ist die Impfung hier also genauso wichtig wie die Raucherentwöhnung – und dabei leichter an Mann und Frau zu bringen.
Allerdings nur, wenn sich der Impfstoff sachgemäß gelagert im Kühlschrank befindet. Wer die tetravalente Vakzine noch nicht bestellt hat, der wird in dieser Saison wohl auch nichts mehr kriegen. Die Restbestände sind am Dahinschmelzen, diverse Produkte schon länger ausverkauft. Das Angebot ist offenbar geringer als die nach der verheerenden letzten Grippesaison deutlich gestiegene Nachfrage.
Und auch mit der sachgerechten Lagerung scheint es bei manchen Kollegen Probleme zu geben, wie dem esanum-Beitrag "Impfstoffe richtig lagern – Temperaturmanager gesucht" zu entnehmen ist. An einer Online-Befragung zum Impfkühlschrank- und Impfstoffmanagement in der hausärztlichen Praxis nahmen 278 Ärzte teil. Nur 42% von ihnen hatte "ein umfassendes Kühlschrankmanagement in ihrer Praxis etabliert", heißt es. Zudem gab ein knappes Drittel der Befragten an, "dass schon einmal ein falscher Impfstoff geimpft wurde". Schlussfolgerung der Studienautoren: Es "besteht vor allem ein Optimierungsbedarf hinsichtlich der Temperaturdokumentation".1
Referenzen:
1. Thielmann A et al. Impfkühlschrank- und Impfstoffmanagement in Hausarztpraxen: Eine repräsentative, Web-basierte Umfrage unter Hausärzten (Keep Cool I). Gesundheitswesen 2017;79:279-85.
Abkürzungen:
SIKO = Sächsische Impfkommission
STIKO = Ständige Impfkommission