Die im Sommer erschienene Leitlinie der ERS (European Respiratory Society) gibt einige Empfehlungen.
Inhalative Kortikosteroide (ICS) in Kombination mit Bronchodilatatoren können die Anzahl der Exazerbationen bei einem Teil der COPD‑Patienten senken. Studien deuten jedoch darauf hin, dass ICS oft auch in Konstellationen zum Einsatz kommen, für die nie ein Nutzen nachgewiesen wurde. Die Verfügbarkeit von kombinierten langwirksamen Bronchodilatatoren und die zunehmende Anerkenntnis der potenziellen Nebenwirkungen von ICS haben zu einer Neubewertung ihrer Rolle geführt.1
Das aktuellste GOLD‑Dokument differenziert zwischen Initial- und Folgetherapie. Bis auf eine kleine Subgruppe von Patienten wird darin für alle COPD‑Kranken eine Therapie mit langwirksamen Bronchodilatatoren – und nicht mit ICS-haltigen Therapien – als Initialtherapie empfohlen.1 Dennoch erhalten bis zu 70% der Patienten ohne häufige Exazerbationen in der Anamnese ICS als Initialtherapie, selbst nach Ausschluss eines gleichzeitig bestehenden Asthmas.2,3 Es ist daher wichtig, zu überlegen, welche Patienten möglicherweise keine ICS benötigen.
Eine duale Bronchodilatation mit einem langwirksamen Beta-2-Sympathomimetikum (LABA) und einem langwirksamen Anticholinergikum (LAMA) verbessert die Lungenfunktion und Symptome im Vergleich zu einer ICS/ LABA-Kombination. Weniger klar ist die Datenlage dazu, welches besser zum Schutz vor Exazerbationen ist.4
Die Empfehlungen beziehen sich ausdrücklich nicht auf Patienten mit Asthma, diese waren von den für die Leitlinie berücksichtigten Studien ausgeschlossen.
Für COPD‑Patienten mit anamnestisch häufigen Exazerbationen, aber < 300 Eosinophilen/ µl kann aufgrund mangelnder Evidenz keine Empfehlung abgegeben werden.
Nach dem Absetzen von ICS sollten die Lungenfunktion, Exazerbationshäufigkeit und Symptome überwacht werden. Manche Patienten können sich auf jedwede Veränderung in der Therapie hin verschlechtern, einschließlich des Absetzens von ICS. Eine kontinuierliche Überwachung ist daher angezeigt.
Ein Hemmnis bezüglich der Beendigung einer ICS-Therapie stellt die Sorge dar, dass Patienten eine Zunahme von Symptomen oder Exazerbationen, eine Verschlechterung der Lungenfunktion oder eine Nebenniereninsuffizienz durch abruptes Absetzen erleiden könnten.
Die verfügbare Evidenz spricht dafür, dass diese Bedenken größtenteils unbegründet sind, wenn die Patienten keine häufigen Exazerbationen oder ≥300 Eosinophilen/ µl haben. In dieser Population hatte das Weglassen von ICS keinen signifikanten Effekt auf die Exazerbationshäufigkeit und die Experten stufen die geringen Unterschiede hinsichtlich Lungenfunktion und Lebensqualität als klinisch nicht relevant ein.
Beobachtungsstudien deuten auf einen erheblichen Rückgang von Komplikationen, wie Pneumonien, nach Absetzen von ICS hin, wenngleich etliche Benefits, wie etwa ein reduziertes Frakturrisiko, erst auf lange Sicht evident werden dürften.
Des Weiteren ergab die Sichtung der Datenlage durch das Leitlinien-Komitee keine bedeutsamen Unterschiede hinsichtlich eines plötzlichen versus schrittweisen Absetzens von ICS. Alle Studien, außer 'WISDOM', setzten ICS schlagartig ab und es wurden keine plötzlichen Verschlimmerungen oder Nebenniereninsuffizienz berichtet, weswegen die Autoren ein schrittweises Vorgehen in der Mehrheit der Fälle für unnötig halten.
Im Gegensatz dazu kam es bei Patienten mit erhöhten Eosinophilen zu einer nicht mehr akzeptablen Zunahme der Exazerbationen. Die starke Empfehlung zur Beibehaltung von ICS bei diesen Patienten gründet zwar nur auf zwei Studien, wird aber zusätzlich durch umfangreiche Evidenz gestützt, aus der hervorgeht, dass die Eosinophilen-Zahlen zu einem gewissen Grade das Ausmaß der eosinophilen Atemwegsinflammation widerspiegeln und prädiktiv für das Ansprechen auf ICS sind.4
Es gibt keine ausreichende Studienlage dazu, ob Pneumonien, Bronchiektasen, eine mykobakterielle Erkrankung und andere Begleiterkrankungen die Outcomes nach Absetzen von ICS beeinflussen. Die Leitlinien-Autoren schließen damit, dass die behandelnden Ärzte solche Faktoren mit in ihre Entscheidung, wie sie die Empfehlungen umsetzen wollen, einfließen lassen könnten. Auch das Ansprechen auf ICS in der Vorgeschichte und die Exazerbationshäufigkeit vor Beginn einer ICS-Therapie könnten hierbei relevant sein. In den für die Leitlinie ausgewerteten Studien war Letzteres nicht berücksichtigt.
Das Experten-Team gibt auch zu bedenken, dass es – obgleich sie von einem Absetzen von ICS bei Patienten mit Zeichen für eine eosinophile Entzündung abraten – durchaus klinische Daten gibt, die darauf hindeuten, dass bei sorgfältig ausgewählten Patienten mit ≥300 Eosinophilen/ µl dennoch ein Absetzen von ICS ohne eine signifikante Zunahme von Exazerbationen möglich ist.5
Leitlinien sollten nur als Richtschnur neben der klinischen Beurteilung dienen. Die bedingte Empfehlung bedeutet, dass die Behandler das individuelle Nutzen-/ Risikoverhältnis und die Patientensicht auch mit einbeziehen.
Referenzen:
1. Singh, D. et al. Global Strategy for the Diagnosis, Management, and Prevention of Chronic Obstructive Lung Disease: the GOLD science committee report 2019. European Respiratory Journal 53, (2019).
2. Chalmers, J. D., Tebboth, A., Gayle, A., Ternouth, A. & Ramscar, N. Determinants of initial inhaled corticosteroid use in patients with GOLD A/B COPD: a retrospective study of UK general practice. npj Primary Care Respiratory Medicine 27, 1–8 (2017).
3. Barrecheguren, M. et al. Treatment patterns in COPD patients newly diagnosed in primary care. A population-based study. Respiratory Medicine 111, 47–53 (2016).
4. Chalmers, J. D. et al. Withdrawal of inhaled corticosteroids in COPD: a European Respiratory Society guideline. European Respiratory Journal 55, (2020).
5. Oshagbemi, O. A. et al. Blood Eosinophil Counts, Withdrawal of Inhaled Corticosteroids and Risk of COPD Exacerbations and Mortality in the Clinical Practice Research Datalink (CPRD). COPD: Journal of Chronic Obstructive Pulmonary Disease 16, 152–159 (2019).