Jeder Raucher sollte eine Messung der Lungenfunktion erhalten. Das empfiehlt die DGP. Warum eigentlich?
Können wir uns die Unterversorgung mit Rehabilitation und Tabakkontrolle weiterhin leisten? Die rhetorische Frage stammt nicht von uns, sondern von den Programmverantwortlichen für ein klinisches Symposium beim diesjährigen DGP-Kongress. Über den Teil mit der pneumologischen Reha haben wir zuvor berichtet. Kommen wir jetzt zur Tabakkontrolle.
Sollte jeder Raucher eine Messung der Lungenfunktion erhalten?
Wenn Sie bei der Antwort auf diese Frage zögern, kennen Sie die Empfehlungen der DGP im Rahmen der “Klug entscheiden“-Initiative nicht. Oder Sie trauen ihnen nicht. Denn die erste von insgesamt fünf Positivempfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin lautet:
Unter den vielen Möglichkeiten, im pneumologischen Praxisalltag eine kluge Entscheidung zu treffen, steht aus Sicht der Experten die Messung der Lungenfunktion (Lufu) bei jedem Raucher an erster Stelle. Offenbar eine klare Angelegenheit. Aber … warum eigentlich?
Diese Frage stellte der Kardiologe, Tabakentwöhnungsexperte und Medizin-Didaktiker Prof. Tobias Raupach (Göttingen, London) zu Beginn seines Vortrags in den Raum. Die Antwort: Weil Rauchen als der wesentliche Risikofaktor die Entstehung einer COPD gilt. Das klingt sehr banal, bekommt aber dadurch Gewicht, dass eine früh entdeckte COPD sehr viel Unheil abwenden kann.
Auf welche Weise Rauchen eine COPD auslösen kann, ist bekannt. Die Inhaltsstoffe im Tabakrauch führen über oxidativen Stress zu Inflammationsprozessen und befördern damit eine chronisch obstruktive Lungenerkrankung. Wegen erhöhter Metaboliten-Konzentrationen sind Frauen von der Schadwirkung durch das Rauchen stärker gefährdet als Männer.
Gut ein Drittel der starken Raucher weist eine eingeschränkte Einsekundenkapazität (FEV1) auf. Die verminderte FEV1 erhöht das Lungenkrebsrisiko, ist ein Prädiktor für zahlreiche, u.a. kardiovaskuläre Erkrankungen, und ist mit einer erhöhten Mortalität assoziiert. Über alle Altersgruppen hinweg sind 73% der COPD-Todesfälle nach WHO-Schätzungen dem Tabakkonsum zuzuschreiben.
Ob eine Therapie bei pathologischem Lufu-Befund auch für asymptomatische Raucher indiziert ist, bleibt vorerst eine offene Frage. Den Patienten anhand der Messwerte mit seinem Lungenalter zu konfrontieren, könnte immerhin die Akzeptanz der Tabakentwöhnung begünstigen. Einen Beleg dafür gibt es aus einer (einzigen) gut gemachten Studie. Ansonsten ist die Evidenz für den Nutzen, den biomedizinische Tests zur Risikoabschätzung zugunsten eines Rauchstopps beitragen, bisher gering.
Ausbaufähig ist offenbar auch noch die Wissensvermittlung im Studium. Studenten im sechsten klinischen Semester wurden zu einer Kasuistik gefragt: Welche weiterführende Untersuchung ist zur Sicherung der Verdachtsdiagnose nach erhobener Anamnese von “Raucherhusten“, zunehmender Luftnot und abnehmender körperlicher Belastbarkeit durchzuführen? Nur knapp 60 Prozent hielten die Messung der Lungenfunktion für angebracht.
Stellt sich angesichts der Positiv-Empfehlung noch die Frage: Besteht bezüglich der Lufu-Messung bei Rauchern denn eine Unterversorgung? Raupach hat “führende Pneumologen“ dazu angeschrieben. Antwort: “keine Ahnung“! Versorgungsforschung tut also Not, etwa die Auswertung von KBV-Daten zur hausärztlichen Lufu-Abrechnung.
Auf jeden Fall ausreichend evidenzbasiert ist – darauf wies auch Raupach in Übereinstimmung mit seinen Vorrednern hin – die Wirksamkeit der pneumologischen Rehabilitation. Vor allem in den ersten drei Monaten nach einer akuten Exazerbation (auch der ersten) senkt sie die Mortalität drastisch. Auch die Rehospitalisierungsrate wird durch diese Maßnahme reduziert. Die höchsten Evidenzgrade gibt es für die positiven Auswirkungen der Reha auf die Lebensqualität der Patienten und auf die körperliche Leistungsfähigkeit im 6-Minuten-Gehtest.
Nochmal zurück zur Ausgangsfrage: Sollte wirklich bei jedem Raucher eine Lufu durchgeführt werden? Hier gibt es, wie gesagt, einen Evidenzmangel. Raupach verwies auf Aussagen amerikanischer Autoren, die einen idealen Zeitpunkt (“sweet spot“) für die routinemäßige Spirometrie bei asymptomatischen Rauchern postulieren. Also einen, an dem die Lufu den größten Nutzen bringt. Der könnte bei Personen mit milder bis moderater Einschränkung der Lungenfunktion und erhöhtem Karzinomrisiko gegeben sein, für die alternativ ein CT in Frage kommt.
Das größte Nutzenpotenzial des Lufu-Screenings besteht zweifellos in einer erhöhten Rauchstopp-Rate. Schließlich ist die Tabakentwöhnung das bislang einzige Therapieverfahren, mit dem die Progression von einer milden zur moderaten COPD nachgewiesenermaßen gemindert werden kann. Und so lautet die zweite der fünf Positiv-Empfehlungen der DGP:
Referenz:
Choosen wisely: Evidenzbasiert – aber nicht konsequent umgesetzt: Können wir uns die Unterversorgung mit Rehabilitation und Tabakkontrolle weiterhin leisten? Klinisches Symposium beim 58. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DGP). Stuttgart, 23. März 2017.