Die ersten Kassenärztlichen Vereinigungen haben mit Beginn des Jahres den Medikationskatalog der KBV offiziell eingeführt. Fällt damit die Asthma-Behandlung in den "Standard von vor mehr als 30 Jahren" zurück, so dass wieder mit nächtlichen Asthmaanfällen und Notfalleinsätzen wie früher zu rechnen ist, wie ein Kollege im Internet befürchtet?
Originalton KBV: "Der Katalog bildet die Grundlage für die ärztlichen Verordnungen und ist eine Weiterentwicklung des Konzeptes der Leitsubstanzen. Er listet Leit- und Reservewirkstoffe vorrangig für die Indikationen der Grundversorgung auf. Damit wird eine einheitliche, kassenübergreifende, leitliniengerechte und patientenorientierte Versorgung sichergestellt."
"Leitliniengerecht" und "patientenorientiert" – glauben Sie das auch? Die Deutsche Atemwegsliga glaubt es nicht: "Obwohl die Zuordnung der Asthma- und COPD -Medikamente nicht willkürlich ist, sondern evidenzbasiert erfolgte, wurden für die Behandlung der Patienten wesentliche, ebenfalls mit Evidenz belegte therapeutische Praktiken und Prinzipien – vor allem eine Schweregrad orientierte Stufentherapie – nicht hinreichend berücksichtigt."1
GINA und GOLD sind heute die weltweit anerkannten und am häufigsten genutzten Behandlungsempfehlungen für Asthma und COPD. Sie setzen immer stärker auf ein maßgeschneidertes, am individuellen Phänotyp und den Präferenzen des Patienten ausgerichtetes Therapieregime. Personalisierte Medizin im Aufwind – ermöglicht durch pharmazeutischen, technologischen und vor allem menschlichen Fortschritt.
Die deutsche Selbstverwaltung (und die dahinterstehende Politik) kontert mit "Standard", "Reserve" und "Nachrangigkeit". Sie bezieht sich bei ihrer Zuordnung der Wirkstoffe neben Leitlinien und Cochrane Reviews unter anderem auf IQWiG-Analysen und Entscheidungen des G-BA. Stichwort "Frühe Nutzenbewertung". Die an sich sinnvolle kritische Prüfung neuer Produkte wird dort zum patientenfeindlichen Fortschrittshemmnis, wo die Anerkennung eines echten Zusatznutzens an formalen Kriterien, etwa bei der Auswahl zu berücksichtigender Studien, scheitert.
Andererseits maßt sich die KBV in ihrem Medikationskatalog einen direkten Vergleich einzelner Kombinationspräparate an. Mangels direkter Vergleichsstudien ist der aber evidenzbasiert kaum möglich. Die GOLD- beziehungsweise GINA-Empfehlungen und auch die nationalen Leitlinien empfehlen deshalb keine einzelnen Wirkstoffe, sondern nur Wirkstoffgruppen. Für eine Unterscheidung der verschiedenen fixen LABA/ICS- oder LABA/LAMA-Kombinationen in "Reserve" oder "nachrangig" findet sich dort keine Rückendeckung.
Im Gegenteil: Anders als im Medikamentenkatalog der KBV werden ICS/LABA-Fixkombinationen für alle Asthma-Patienten ab GINA Therapiestufe 3 als erste Wahl beziehungsweise Standardtherapie empfohlen. Und die gerade aktualisierte GOLD- Empfehlung hebt die LAMA/LABA-Kombination als präferierte Option für Patienten hervor, die mit einem einzigen Bronchodilatator (LAMA oder LABA) nicht ausreichend eingestellt werden können.
Ganz zu schweigen von den Inhalationssystemen, die über den Faktor Adhärenz für den therapeutischen Erfolg bei Asthma und COPD mindestens so wichtig wie die Wirkstoffe selbst sind. Das GINA-Update von 2016 empfiehlt ausdrücklich, den Inhalator individuell und gemeinsam mit dem Patienten auszuwählen. Die Deutsche Atemwegsliga weist auch genau darauf hin. Man kann nur hoffen, dass Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, der machtbürokratischen Regelungs- und Nivellierungswut standhalten und weiterhin nach bestem Wissen und Gewissen verordnen: patientenorientiert, fortschrittlich und menschlich.
Hier geht es zum ersten Teil des Beitrags: Medikationskatalog für Asthma und COPD: "Anschlag auf die personalisierte Medizin"?.
Referenz:
Worth H et al.: Medikationskatalog zur Behandlung von Asthma und COPD - ein Anschlag auf die personalisierte Medizin? Stellungnahme der Deutschen Atemwegsliga. Pneumologie 2017;71(01):15-6.