Manche Sprüche gehen einem nie aus dem Kopf: "Gib Opi niemals Opium, denn Opium bringt Opi um." Aufgeschnappt in der lange zurückliegenden Schulzeit. Der etwas aus dem Rahmen fallende Beitrag eines Mitschülers im Deutschunterricht der 9. Klasse war damals ein Lacherfolg. Und der Bezug zum heutigen Blog-Beitrag? Es geht um den Einsatz von Opioiden bei älteren COPD-Patienten.
Der scheint ziemlich verbreitet zu sein. Sicher nicht nur in Kanada, aber eine aktuelle Studie1 von dort hat kürzlich zur Vorsicht gemahnt: Unter Patienten, denen erstmals ein Opioid verordnet worden war, fand sich ein statistisch erhöhtes Risiko für kardiovaskulär bedingte Todesfälle.
In die retrospektive Kohortenstudie wurden über 130.000 zuhause und über 14.000 im Heim lebende COPD-Patienten aus der kanadischen Provinz Ontario einbezogen, die alle älter als 65 Jahre waren. Die Versorgungsdaten, die aus mehreren Datenbanken bezogen wurden, stammen aus den Jahren 2008 bis 2013. In diesem Zeitraum erhielten 60% (zuhause lebend) bzw. 67% (Heimbewohner) der Patienten erstmalig ein Opioid verschrieben.
Der statistische Vergleich zwischen Opioid-Nutzern und Nicht-Nutzern ergibt ein differenziertes Bild: Ohne Berücksichtigung der Art der Opioide korrelierte deren Erstverordnung bei zuhause lebenden Patienten mit einer um 16% reduzierten Rate an Besuchen in der Notaufnahme und Krankenhauseinweisungen. Dafür stieg die kardiovaskulär bedingte Mortalität bei den Heimbewohnern um mehr als das Doppelte an (Hazard Ratio = 2,15).
Bei der Anwendung stärkerer Opioid-Präparate, wie Morphin oder Fentanyl, ohne Kombination mit Aspirin oder Paracetamol war die KHK-bezogene Sterblichkeit auch bei den selbständig lebenden COPD-Patienten mit 83% deutlich erhöht. Und die Häufigkeit von Notfallambulanz-Besuchen und Hospitalisationen fiel in diesem Fall nicht niedriger, sondern um 38% höher aus.
Die Wissenschaftler um den Erstautor Dr. Nicholas Vozoris vom St. Michael's Hospital in Toronto haben bereits einige ähnlich gelagerte Arbeiten veröffentlicht. Im vergangenen Jahr beschrieben sie u.a. die negativen atemwegsbezogenen Auswirkungen des Therapiestarts mit Opioiden bei älteren COPD-Patienten2. Besonders die potenteren Opioid-Mittel waren mit einem erhöhten Risiko für Exazerbationen, Notfallambulanz-Besuche, Hospitalisationen, Pneumonien und Todesfälle assoziiert.
In einem Beitrag zur aktuellen Studie auf der Krankenhaus-Website äußert sich Vozoris folgendermaßen: „Frühere Untersuchungen haben gezeigt, dass etwa 70% der älteren COPD-Patienten Opioide anwenden. Das ist eine unglaublich hohe Rate an erstmaligem Gebrauch in einer Population, die auf Narkotika potenziell empfindlicher reagiert.“
Aber belegen die geschilderten Studienergebnissen überhaupt eine Kausalität? Nein, das tun sie nicht. Das betont in einem Kommentar3 auch der Intensiv- und Palliativmediziner Dr. James Downar aus Toronto, der nicht an der Studie beteiligt war. Opioide werden häufig genutzt, um die belastende Kurzatmigkeit und andere sich verschlimmernde Beschwerden von COPD-Patienten zu lindern. Deshalb ist es auch gut möglich, dass Pneumonien oder Todesfälle nach dem Beginn einer Opioid-Therapie nicht auf die Substanzen, sondern auf die Krankheitsprogression zurückzuführen sind.
Neben anderen Publikationen kam eine schwedische Registerstudie4 im Jahr 2014 zum Schluss: Niedrig dosierte Opioide sind nicht mit einem erhöhten Hospitalisations- und Mortalitätsrisiko assoziiert. Die Autoren vermuteten folglich, dass es sich bei dieser Schmerzmedikation um eine sichere Option zur Symptomlinderung bei schwerer Atemwegserkrankung handelt.
Vozoris führt dagegen bekannte Effekte der Opioide ins Feld, die potenziell die Konzentration von Sauerstoff im Blut erniedrigen und jene von Kohlendioxid erhöhen können – mit negativen Auswirkungen auf das Herz. Eine Opioid-getriggerte erhöhte Konzentration von Entzündungsfaktoren in den Blutgefäßen könnte zudem Verstopfungen und damit einen Herzinfarkt verursachen. Außerdem verweist der Pneumologe darauf, dass mit dem schmerzlindernden Effekt der Opioide auch die Warnfunktion der Brustschmerzen vor einem kardialen Ereignis gemindert oder beseitigt werde. "Ohne diese Warnung kommt die ärztliche Hilfe möglicherweise zu spät", so Vozoris.
Beim deutschen Empfehlungswerk der DGP5, das von 2007 stammt und möglicherweise noch in diesem Jahr eine Neuauflage erlebt, heißt es:
"Der Einsatz von Morphin kann bei schwerer Dyspnoe zur Linderung beitragen. Wegen bedeutsamer unerwünschter Effekte (u.a. Atemdepression) sollte der Einsatz auf wenige besonders beeinträchtigte Patienten mit schwerer Atemnot und Hyperventilation beschränkt und unter stationären Bedingungen eingeleitet werden (Evidenzgrad C)."
Und im GOLD-Update 2017 heißt es in Tabelle 4.7: "Niedrig dosierte langwirksame orale oder parenterale Opioide können zur Behandlung einer Dyspnoe bei COPD-Patienten mit schwerer Erkrankung erwogen werden (Evidenzgrad B)."
Ein klassischer Fall für die individuelle Nutzen-Risiko-Abwägung. Aus der Praxis weiß man: Die Patienten sind für alles dankbar, was ihnen den Umgang mit ihrer Atemnot erleichtert. Deshalb sollte die Opioid-Option den Patienten nicht grundsätzlich verweigert werden, auch nicht wegen mangelnder ärztlicher Kompetenz bzw. Erfahrung damit.
Andererseits ist die Anregung zum Nachdenken von Vozoris wohl auch nicht verkehrt : "Ich hoffe, die Leistungserbringer werden vorsichtiger beim Verschreiben von Opioiden für COPD-Patienten sein und die Patienten werden auf die Risiken aufmerksam gemacht, so dass sie die potenziellen Nebenwirkungen wachsamer im Blick behalten können."
Referenzen: 1. Vozoris NT et al. Adverse cardiac events associated with incident opioid drug use among older adults with COPD. Eur J Clin Pharmacol 2017. doi: 10.1007/s00228-017-2278-3. [Epub ahead of print]
2.Vozoris NT et al. Incident opioid drug use and adverse respiratory outcomes among older adults with COPD. Eur Respir J 2016;48(3):683-93.
3. Downar J et al. Opioids in COPD: a cause of death or a marker of illness severity? Eur Respir J 2016;48(5):1521-2.
4. Ekström MP et al. Safety of benzodiazepines and opioids in very severe respiratory disease: national prospective study. BMJ. 2014 Jan 30;348:g445. doi: 10.1136/bmj.g445.
5. Vogelmeier C et al. Leitlinie der Deutschen Atemwegsliga und der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin zur Diagnostik und Therapie von Patienten mit chronisch obstruktiver Bronchitis und Lungenemphysem (COPD). Pneumologie 2007;61;e1-40.
6. Global Initiative for Chronic Obstructive Lung Disease (GOLD). GOLD 2017 Global Strategy for the Diagnosis, Management and Prevention of COPD. (http://goldcopd.org; Zugriff am 05.01.2017)