Die Lungenfibrose ist eine schwere, progrediente Erkrankung und gilt bisher als unumkehrbar. Heidelberger Wissenschaftler haben einen molekularen Therapieansatz entdeckt, der das möglicherweise ändern könnte.
Kennen Sie RAGE? Wir meinen jetzt keinen Wutanfall, sondern ein körpereigenes Protein, dessen Akronym für "receptor for advanced glycation endproducts" steht. Bei der Glykation oder Glykierung reagieren Proteine, Lipide oder Nukleinsäuren mit Kohlenhydraten – im Gegensatz zur Glykosilierung ohne Enzym-Beteiligung. Exogen geschieht das normalerweise, wenn Eiweiße bei hohen Temperaturen mit Zuckern verarbeitet werden. Die Reaktionsprodukte werden Advanced Glycation Endproducts (AGEs) genannt und finden in der Lebensmittelindustrie als Geschmacksverstärker, Farbstoffe oder Aufhübscher Verwendung.
Das ist einer der Gründe, warum von einem (zu) häufigen Verzehr von Fertiglebensmitteln abgeraten wird, genau wie bei Gebratenem oder Gegrilltem. Denn hier sind im Unterschied zu unverarbeiteten Nahrungsmitteln hohe AGE-Konzentrationen möglich, mit deren Neutralisation bzw. Entsorgung der Körper auf Dauer überfordert sein kann. So lässt sich ungewollt schon mal einem höheren Lebensalter vorgreifen, in dem sich diese Situation generell entwickelt.
Jetzt fragen Sie sich vielleicht: Schön und gut, aber was hat das mit der Pneumologie zu tun? Die Antwort kommt aus Heidelberg, von einer Forschergruppe um den Endokrinologen Prof. Peter Nawroth. Sie hat gerade eine recht bemerkenswerte Arbeit1 zu RAGE im Fachjournal Nucleic Acids Research publiziert.
Bisher ist dieser Rezeptor in der medizinischen Forschung vor allem negativ besetzt, nämlich im Rahmen der endogenen Glykation. Bei einer langfristigen Anreicherung von AGEs können Zellen und Gewebe geschädigt werden, vor allem bei erhöhten Blutzuckerwerten. War da nicht was? … Ja, richtig: Der für Diabetologen und vor allem deren Patienten so wichtige HbA1c-Anteil am Hämoglobin beruht auf der Glykation des roten Blutfarbstoffs. Chronische Entzündungen, Diabetes Typ II und seine Folgeschäden, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Alzheimer, Krebs und noch andere Alterserkrankungen – an allem wird der endogenen Glykation und dem AGE-Rezeptor eine Mittäterschaft zugeschrieben.
Der Tatort liegt dabei vor allem auf den Oberflächen von Gewebe- Immunzellen. Anders sieht es im Zellkern aus: Hier ist das Protein offenbar an der fehlerfreien Reparatur schwerer DNA-Schäden beteiligt. Das haben die Wissenschaftler vom Universitätsklinikum Heidelberg und vom Deutschen Zentrum für Diabetesforschung herausgefunden – und entdeckt, dass sich diese Funktion von RAGE möglicherweise therapeutisch nutzen lässt: etwa zur Behandlung der Lungenfibrose.
Mit ihrer Arbeit liefern die Forscher nicht nur wichtige Erkenntnisse über den molekularen Zusammenhang zwischen RAGE-vermittelter DNA-Reparatur, Zellalterung und Fibrose. Im Mausmodell zeigten sich auch überraschende Heileffekte. Mäuse, die aufgrund eines genetischen Defekts kein RAGE bilden können, entwickeln u.a. eine Lungenfibrose als Ausdruck der besonderen Anfälligkeit dieses Organs für umweltinduzierte Gewebeschäden. Nach einer Behandlung mit dem Protein via Virentransport in das Zielorgan kam es zu einer fast vollständigen Ausheilung der ausgeprägten Vernarbungen mit teilweiser Wiederherstellung der Funktionsfähigkeit.
In einem auf einer Pressemitteilung des Uniklinikums basierenden Beitrag, den Sie hier auf esanum nachlesen können, äußert sich Nawroth dazu folgendermaßen: "Das ist insofern erstaunlich, als dass man Fibrosen bisher als unumkehrbar angesehen hat. Mit RAGE könnten wir erstmals einen möglichen Ansatzpunkt zur Heilung dieser häufigen Gewebeschäden gefunden haben." Und der Erstautor Dr. Varum Kumar hofft: "Erstmals ist möglicherweise eine molekulare Therapie zur Reparatur von Erbgut- und Zellschäden in der Lunge und damit zur Vorbeugung von Fibrosen oder Tumoren, die ebenfalls in Folge von DNA-Schäden auftreten, in greifbare Nähe gerückt."
Natürlich sind noch viele Fragen offen und bis zur therapeutischen Praxisreife wird es – wenn es denn soweit kommt – auch unter den denkbar günstigsten Umständen ein Weilchen dauern. Dennoch ist das erstmal eine spannende und hoffnungstiftende Nachricht, die da aus einem Hotspot der deutschen Medizinforschung kommt. Das Heidelberger Team glaubt jedenfalls an seinen Erfolg und hat sich die RAGE-Therapie mit viraler Genfähre schon mal patentieren lassen.
Die Anschubfinanzierung für das Projekt kam übrigens von der Dietmar Hopp Stiftung. Das darf ruhig mal lobend erwähnt werden, zumal die Liste der geförderten Projekte beeindruckend lang ist: Seit Gründung der Stiftung im Jahr 1995 hat sie "rund 600 Millionen Euro für mehr als 1.000 verschiedene Projektförderungen in den Bereichen Sport, Medizin, Soziales und Bildung zur Verfügung gestellt".
Übrigens: Auf die Rolle von RAGE und die Zusammenhänge zwischen Diabetes und der Lunge im Allgemeinen und der Lungenfibrose im Besonderen haben wir in diesem Blog schon hingewiesen (Lungenfibrose – eine unterschätzte diabetische Folgeerkrankung?). Auch hier ging es um Daten und Botschaften aus Heidelberg. Der Lungenfibrose sollte als ein Teil des diabetischen Folgekomplexes Beachtung geschenkt werden, da sie für mehr als jeden zehnten Diabetes-Patienten relevant sein könnte.
Unseren Hinweis "Hausärzte und Diabetologen sollten rechtzeitig daran denken, ihre Patienten im Zweifelsfall zur Lufu zu schicken" kommentierte ein Kollege so: "Interessant ist an dieser Stelle auch die Frage, inwieweit der Radiologe mitspielt, wenn er einen Diabetiker zum Ausschluss einer Lungenbeteiligung vor sich sitzen hat. Er ist es, der die rechtfertigende Indikation fürs HR-CT stellt. Ist die diabetische Pneumopathie schon in der Radiologie angekommen?"
Eine spannende Frage! Wir werden uns darum noch kümmern, versprochen. Hier nutzen wir den Anlass, um nochmal kurz das diesjährige Leitlinien-Update2 zur medikamentösen Therapie der idiopathischen Lungenfibrose (IPF) zu rekapitulieren (PDF-Download). Die S2k-Leitlinie ist eigentlich noch relativ frisch, sie wurde erst 2013 veröffentlicht. Hintergrund für die Neubewertung der medikamentösen Behandlungsstrategien sind zwischenzeitlich erschienene Therapiestudien. Es wird anhand der vorliegenden Evidenz insgesamt mehr ab- als zugeraten.
Folgende Medikamente werden zur Behandlung der IPF nicht empfohlen:
Folgende Medikamente werden zur Behandlung der IPF empfohlen:
aAnmerkung: "Bei den hier genannten Substanzen gibt es Hinweise aus klinischen Studien, dass IPF-Subgruppen von einer entsprechenden Therapie profitieren könnten, sodass weitere klinische Studien gerechtfertigt sind."
Referenzen:
1. Kumar V et al. Homeostatic nuclear RAGE-ATM interaction is essential for efficient DNA repair.Nucleic Acids Res 2017;45(18):10595-613. doi: 10.1093/nar/gkx705.
2. Behr J et al. S2k-Leitlinie Idiopathische Lungenfibrose – Update zur medikamentösen Therapie 2017. Pneumologie 2017;71:460-74.