Mit dem heutigen Beitrag möchten wir mal kurz die Pneumologen und die Diabetologen zusammenbringen, die Hausärzte sind ja sowieso mit von der Partie. Es ist nicht nur bekannt, dass zwischen COPD und Diabetes eine auffallende Komorbidität besteht. Es wurde auch schon gezeigt, dass inhalative Kortikosteroide (ICS) im Rahmen der COPD-Therapie systemisch absorbiert werden.
Allerdings sind die zu beobachtenden Nebenwirkungen im Allgemeinen so gering, dass ihnen – anders als bei systemisch applizierten Steroiden – meist keine größere Beachtung zuteil wird. Sollte hier umgedacht werden? Kann die ICS-Anwendung möglicherweise einen Typ-2-Diabetes verschlechtern oder sogar auslösen?
Es sind bereits einige Studien erschienen, die diese Fragen mit "ja" beantworten. Vor kurzem ist eine historische Kohortenstudie1 aus dem Vereinigten Königreich hinzugekommen, die die negativen Auswirkungen der ICS-Therapie auf die Diabetes-Kontrolle bei COPD-Patienten belegt. Dabei wird auch die schon früher berichtete Dosisabhängigkeit des schädlichen Effekts bestätigt: Mit der Höhe der kumulativen ICS-Dosis wächst auch das Risiko der Diabetes-Verschlechterung.
Die Wissenschaftler selektierten aus zwei britischen Datenbanken der hausärztlichen Versorgung jeweils 682 gematchte Patienten mit COPD und Typ-2-Diabetes im Alter ab 40 Jahren. Die eine Kohorte hatte zwischen 2008 und 2012 ICS verordnet bekommen, die andere nicht. Als primärer Endpunkt wurde in einem 12- bis 18-monatigen Ergebniszeitraum die Veränderung des HbA1c-Werts gegenüber dem Ausgangsniveau ermittelt.
In der Gesamtkohorte mit ICS-Therapie stiegen die HbA1c-Werte um 16% signifikant stärker an als in der Vergleichskohorte ohne Kortison-Sprays. Bei Patienten mit mildem bis moderatem COPD betrug die Differenz sogar 25%. In der ICS-Gruppe gab es zudem mehr diabetesbedingte Praxisbesuche beim Hausarzt und mehr Verordnungen von Glukosestreifen.
Eine Dosisabhängigkeit wurde dabei auch beobachtet: Betrug die kumulative ICS-Dosis mehr als 250 mg statt höchstens 125 mg, war die Wahrscheinlichkeit für erhöhte bzw. über dem Zielbereich liegende HbA1c-Werte und/oder eine zusätzliche antidiabetische Medikation größer.
Bereits 2009 hat eine prospektive Kohortenstudie2 (n = 1.698) in den USA ergeben, dass die Kortikoid-Inhalation bei diabetischen Lungenpatienten pro 100 µg zusätzliche ICS-Dosis mit einem Blutzuckeranstieg um 1,82 mg/dl assoziiert war. Bei stoffwechselgesunden Patienten bestand dieser Zusammenhang nicht, während er bei Patienten mit antiglykämischer Medikation noch höher ausfiel (Erhöhung der Serumglukose um 2,65 mg/dl).
In einer kanadischen Kohortenstudie3 aus dem Jahr 2010 fand sich ein dosisabhängiger Zusammenhang sowohl für die Manifestation als auch für die Progression einer Diabetes-Erkrankung. Für beides war das Risiko unter inhalativen Steroiden um 34% erhöht. Im Hochdosisbereich (Fluticason-Äquivalentdosen von 1.000 µg und mehr pro Tag) betrug der Risikoanstieg 64%. Fast 400.000 Patienten mit Atemwegserkrankungen waren über 5,5 Jahre hinweg beobachtet worden. Über 30.000 von ihnen entwickelten während des Follow-ups die Zuckerkrankheit.
In einer australischen Studie4, die 2013 publiziert wurde, kam es oberhalb von 83% der definierten Tagesdosis an inhalierten und systemischen Steroiden zu einem Risikoanstieg um 94% für eine diabetesbedingte Krankenhauseinweisung. Bei niedrigeren Dosierungen wurde bei den Diabetes-Patienten mit COPD kein erhöhtes Risiko durch die Steroid-Therapie festgestellt. Interessant ist der Blick auf die Studienpopulation: Von gut 18.200 Diabetes-Patienten litten 5,9% an einer COPD. Zwei Drittel von ihnen (67%) wurden innerhalb der ersten 12 Monate nach Aufnahme in die Studie Kortikosteroide verschrieben.
Damit kommen wir zum heutigen Fazit für die Praxis: Die Evidenz zu potenziellen Auswirkungen einer ICS-Therapie bei diabetischen und nicht-diabetischen COPD-Patienten ist zwar durchwachsen. Gerade bei den Studien mit größeren Patientenzahlen geht die Tendenz aber klar in Richtung einer potenziellen Beeinflussung des Zuckerstoffwechsels.
Nicht nur systemische, sondern auch inhalative Steroide sollten deshalb differenziert und mit Bedacht verordnet werden. Die mitunter vernachlässigte Differenzialdiagnose Asthma/COPD ist vor diesem Hintergrund besonders wichtig. Und so oder so empfiehlt sich eine regelmäßige Prüfung des Blutzuckers.
COPD, metabolische Störungen wie Typ-2-Diabetes und auch kardiovaskuläre sowie neurodegenerative Erkrankungen haben einen gemeinsamen Nenner: die chronische systemische Inflammation. Mit einer verengten Sicht als Organ- oder Systemspezialist kommt man hier nicht weit (genug).
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