Auch über die akute Pandemiewelle hinaus wird uns Corona wohl noch lange Zeit beschäftigen. Wie sieht es mit möglichen Spätfolgen für COVID-19-Patienten aus?
Laut COVID-19-Dashboard des Robert Koch-Instituts waren am 17.06.2020 in Deutschland 187.184 bestätigte Infektionen, 8.830 Todesfälle und rund 173.600 Genesene zu verzeichnen. Mal abgesehen von den Unschärfen der Zählmethode des Robert-Koch-Instituts, das feste Zeitintervalle zum Meldedatum bzw. Erkrankungsbeginn addiert (und davon ausgeht, "dass der Großteil der Personen in diesem Zeitraum bereits wieder genesen ist"), gibt es zunehmend Hinweise darauf, dass "genesen" nicht immer auch "frei von Folgeschäden" bedeuten muss.
Ein Video, das sich auf Youtube schon fast 3,5 Millionen Menschen angesehen haben, wurde Ende März von Prof. Keith Mortman, Thoraxchirurgie-Chef am George Washington University Hospital in der US-amerikanischen Hauptstadt. Es zeigt das 360-Grad-Virtual-Reality-Modell der Lunge des ersten dort aufgenommenen COVID-19-Patienten (59 Jahre, außer Bluthochdruck keine Vorerkrankungen). Im 3-D-Scan imponiert der massive Befall mit SARS-CoV-2 in Form von grünlich-gelben Schwaden, die beide Lungenflügel durchziehen. Mortman, der sich in einem Video-Podcast der Uniklinik dazu äußert, möchte mit dem Video auf die Gefährlichkeit des Coronavirus hinweisen. Auch bei Patienten, die nicht zu den Risikogruppen gehören, kann es zu Vernarbungen im Lungengewebe kommen. Dann droht eine Einschränkung der Atemfunktion trotz überstandender Infektion.
Die Regenerationsfähigkeit der Lunge ist zwar groß, ihre Erholung schreitet nach schweren COVID-19-Verläufen aber nur langsam voran. Mortman zufolge erleiden etwa 3% der Patienten irreversible Lungenschäden, was sie für weitere Atemwegserkrankungen wie z. B. eine Pneunomie prädisponiert. Für eine fundierte Einschätzung der Langzeitschäden durch COVID-19 ist es freilich noch zu früh. Für die Praxis ist das allerdings eine wichtige Frage. Denn die meisten COVID-19-Patienten müssen nach überstandener Erkrankung mit ihrer eigenen Lunge weiterleben, eine neue gibt es nur in Ausnahmefällen.
Der Genesungsprozess ist immer eine individuelle Angelegenheit, die u. a. auch von etwaigen Komorbiditäten abhängt. Bei einem milden Infektionsverlauf – also in 80% der Fälle nach WHO-Schätzung – fühlen sich viele Betroffene recht zügig wieder fit und komplett belastbar. Bei einem relevanten Teil der Infektionen fällt hingegen die lange Dauer auf, bis sich die COVID-19-Erkrankten wieder vollständig erholt haben. Charité -Virologe Prof. Christian Drosten hat in seinem Podcast im NRD Rundfunk berichtet, dass schwer erkrankte Patienten nach der Entlassung noch etwa einen Monat brauchen, bis sie wieder zu Kräften kommen. Auch junge Menschen und Patienten, die nicht intubiert, sondern mit Maske beatmet wurden, klagen häufig noch eine ganze Weile über Abgeschlagenheit und mangelnde Konzentrations- bzw. Leistungsfähigkeit. Wie erste Daten zeigen, ist zudem eine gewisse Einschränkung der Lungenfunktion über längere Zeit vorhanden.
Zu diesen Beobachtungen resümierte DGP-Präsident Prof. Michael Pfeifer (Regensburg) Anfang Mai in einem Interview mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland: "Es ist noch nicht klar, ob es zu langfristigen Folgeschäden kommt. Das werden die Nachkontrollen unserer Patienten zeigen." Pfeifer zufolge wird an einem Konzeptpapier gearbeitet, um den Zugang zu Rehabilitationsbehandlungen nach COVID-19 zu regeln.
Auch das Bundesministerium für Gesundheit rechnet damit, dass "bei dem relativ hohen Anteil von intensivpflichtigen und beatmungsbedürftigen Patienten auch mit Spätfolgen im Sinne von langen Rehabilitationszeiten und möglicherweise bleibenden Beeinträchtigungen zu rechnen ist" (aerzteblatt.de). Die möglichen Folgeschäden können nicht nur die Lunge betreffen, sondern auch das zentrale Nervensystem, die Haut, Herz und Gefäße sowie die Nieren. Im Corona-Steckbrief des RKI finden sich dazu unter "5. Atypische Manifestationen, Komplikationen, Folgeerkrankungen" aktuelle Studiendaten.
Laut Medienberichten sieht das RKI bei 85% der CT-Bilder bei COVID-19-Patienten pulmonale Veränderungen in Form von "bilateralen Verdichtungen und/oder interstitieller Zeichnungsvermehrung" und damit auch die Gefahr von irreversiblen Lungenschäden. Solange noch keine umfassenden Studien vorliegen, möchte man aus den bisherigen Beobachtungen noch keine definitiven Schlüssen ziehen. (zm-online.de)
Vor allem bei beatmungspflichtigen Patienten kommt es häufig auch zu einer zweiten oder sogar dritten, bakteriell bedingten Pneumonie. Über die Langzeitfolgen dieser Lungenentzündungen lassen sich auch noch keine gesicherten Aussagen machen. Bei schwerem Lungenversagen und langer Beatmungsdauer ist aber durchaus mit einem verminderten Lungenvolumen als Langzeitfolge zu rechnen, wie auch Prof. Sven Gläser vom Vivantes-Klinikum Neukölln in einem News-Beitrag betont.
Abkürzungen:
DGP = Deutsche Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin e. V.
RKI = Robert Koch-Institut
WHO = Weltgesundheitsorganisation (World Health Organization)