Wie häufig ist der Alpha-1-Antitrypsin-Mangel?

Kennen Sie die häufigste Ursache für genetisch bedingte Lebererkrankungen bei Kindern? Keine Sorge, Sie haben sich nicht im Blog geirrt. Es geht um den Alpha-1-Antitrypsin-Mangel (AATM, englisch: AATD).

Und wann sollte man bei Atemproblemen an ihn denken?

Kennen Sie die häufigste Ursache für genetisch bedingte Lebererkrankungen bei Kindern? Keine Sorge, Sie haben sich nicht im Blog geirrt. Es geht um den Alpha-1-Antitrypsin-Mangel (AATM, englisch: AATD). Der kann einerseits der Leber zu schaffen machen, weshalb alle Säuglinge mit lange anhaltender Neugeborenen-Gelbsucht darauf untersucht werden sollten. Der vererbte Enzymmangel sorgt aber bekanntermaßen auch für Ungemach in der Lunge. Deshalb muss bei Patienten mit erhöhten Leberwerten und Lungenproblemen an diese Erbkrankheit gedacht werden. Und wann noch?

"Öfter auch mal Alfa-1-Antitrypsin-Mangel in Überlegungen einbeziehen" lautet die Überschrift eines in der Juni-Ausgabe der Pneumo News erschienenen Referats1 einer deutschen Kohortenstudie2. Mal abgesehen von der eigenwilligen Schreibweise mit "f" klingt das irgendwie nett, irgendwie aber auch ein bisschen unverbindlich bis beliebig. So nach dem Motto: Heute denken wir mal an den Alpha-1-Antitrypsin-Mangel.

Typisch: Husten und Luftnot im Alter zwischen 30 und 40 Jahren

Die Erbkrankheit gilt zwar als eine der häufigsten bei Menschen mit europäischer Abstammung, ist aber dennoch selten. Allerdings wird dieser Enzymmangel – wie es für seltene Erkrankungen typisch ist – häufig übersehen und erst spät erkannt, im Schnitt 6-8 Jahre nach Beginn der Symptomatik.

Der Krankheitsverlauf ist ziemlich individuell und nicht vorhersagbar. Gerade im Alter zwischen 30 und 40 Jahren leidet ein Teil der Betroffenen unter Husten, Kurzatmigkeit und Luftnot. Mangels funktionsfähigem Alpha-1-Antitrypsin sind die Lungenbläschen dem Angriff bestimmter gewebezersetzender Enzyme, allen voran der Elastase, ungeschützt ausgesetzt. In der Lunge droht durch den voranschreitenden Abbau des Elastins mit konsekutiver Alveolen-Zerstörung ein lebensverkürzendes Emphysem.

Neben symptomatischen Behandlungsmaßnahmen und dem dringend gebotenen Rauchverzicht kann den AATM-Patienten durch eine möglichst frühzeitige Substitutionstherapie geholfen werden.

Rund 20.000 AATM-Patienten in Deutschland

Relevant für die Praxis sind vor allem zwei Fragen:

  1. Wie häufig ist der AATM in Deutschland denn tatsächlich?
  2. Welche Hinweise sollten an diese Diagnose denken lassen?

Zur Beantwortung der Frage 1 liefert die erwähnte Kohortenstudie aktuelle und relativ solide Diagnosedaten aus retrospektiver longitudinaler Betrachtung. Unter mehr als 2,8 Millionen Versicherten fanden sich 673 Patienten mit AATM-Diagnose im medianen Alter von gut 55 Jahren. Demnach beträgt die (diagnostizierte) Prävalenz in Deutschland insgesamt knapp 24 pro 100.000 Einwohner und fast 0,03 Prozent in der Altersgruppe ab 30 Jahren.

Alles in allem lässt sich daraus eine Zahl von über 19.000 Menschen mit AATM in Deutschland abschätzen – sofern die ambulante und stationäre Kodierung (E 88.0) zuverlässig erfolgt ist.

Es drohen COPD und Emphysem

Laut Statistik entwickelt jeder dritte Patient mit dem Erbdefekt eine COPD und jeder fünfte ein Emphysem. Die AATM-Diagnose wird bei den meisten Patienten erst im Alter von über 45 Jahren gestellt.

Die populationsbasierte Untersuchung hat auch die bisher eher kasuistisch bekannte Komorbidität von AATM mit Hypertonie, Leberzirrhose, chronischer Hepatitis, chronischer Niereninsuffizienz und Diabetes mellitus signifikant bestätigt. Im Vergleich zu COPD-Patienten ohne den Enzymmangel suchten AATM-Patienten häufiger den Arzt auf und wurden öfter und länger hospitalisiert.

Die im European Respiratory Journal publizierte Studie stammt übrigens federführend aus dem Hause Vogelmeier, also aus der Abteilung Pneumologie im Universitätsklinikum Gießen und Marburg, Standort Marburg.

Alle chronischen Lungen-Patienten einmal im Leben auf AATM testen

Eine allgemeine Praxisempfehlung lautet, dass alle Patienten mit chronischen Atemwegserkrankungen einmal im Leben auf einen Alpha-1-Antitrypsin-Mangel getestet werden sollten. Zur etwas spezifischeren Beantwortung der Frage 2 verweisen wir auf einen früheren Beitrag3 von Prof. Claus Vogelmeier (Erstautor), in dem die Empfehlungen der ATS/ERS-Leitlinien4 modifiziert zitiert werden. 

Eine diagnostische Testung auf Alpha-1-Antitrypsin-Mangel sollte demnach erfolgen bei:

und eventuell auch bei:

Referenzen:
1. Füeßl HS. Öfter auch mal Alfa-1-Antitrypsinmangel in Überlegungen einbeziehen. Pneumo News 2017;9(4):30-1.
2. Greulich T et al. The prevalence of diagnosed α1-antitrypsin deficiency and its comorbidities: results from a large population-based database. Eur Respir J 2017;49:1600154.
3. Vogelmeier C et al. Alpha-1-Antitrypsin-Mangel: Update. Pneumologie 2009;63:718-25.
4. American Thoracic Society/European Respiratory Society. Statement: standards for the diagnosis and management of individuals with alpha-1 antitrypsin deficiency.  Am J Respir Crit Care Med 2003; 168 818-900.