Nochmal zur Mortalität beim Diabetes. Diesmal geht es um den Typ 2 und damit um ein quantitativ viel weiteres Feld als beim Typ 1. Gibt es hier ein Wahrnehmungsproblem? Ja, scheint so. Vermutlich nicht in diesem Leserkreis, aber außerhalb davon. Und dort, wo die Botschaft nicht bekannt ist oder verdrängt wird, sollten die wissenden Fachleute dringend für Aufklärung sorgen.
Eine Krebs-Diagnose elektrisiert die Betroffenen und ihre hausärztlichen Betreuer. "Das bisschen Zucker" wird in seinem Krankheitswert und erst recht als eigenständiger Mortalitätsfaktor dagegen weithin unterschätzt. Im wahrsten Sinne des Wortes ein fataler Irrtum, der leider nicht nur viele Patienten betrifft, sondern auch Niedergelassene und Kliniker, sofern sie sich damit nicht wirklich auskennen.
Die in der offiziellen Todesursachenstatistik geführten Diabetes-Fälle stellen nur die Spitze des Eisbergs dar. Das tatsächliche Sterblichkeitsvolumen dürfte um etwa das 5,5-fache größer sein. Statt rund 25.000 gab es demnach hochgerechnet 138.000 Diabetes-Tote im Jahr 2010. Jeder sechste Sterbefall in Deutschland geht damit auf das Konto der Stoffwechselerkrankung. Zu diesem Ergebnis kommt eine noch unveröffentlichte Auswertung umfangreicher GKV-Daten, die Dr. Wolfgang Rathmann vom Deutschen Diabetes Zentrum (DDZ) kürzlich in Berlin präsentierte1.
Die vom dänischen Pharmaunternehmen Novo Nordisc organisierte Veranstaltung fand in der Königlich Dänischen Botschaft statt. Das passte ganz gut, wie wir unten noch sehen werden. Vor Ort waren einige Experten von Rang und Namen versammelt. Prof. Diethelm Tschöpe wies bei der Gelegenheit auf ein Problem mit dem Problemverständnis beim Diabetes hin. Das betrifft die diabetischen Folgeerkrankungen, die sich vor allem an Herz und Gefäßen manifestieren.
Dieses eigentliche Problem der Zuckerkrankheit wird häufig verdrängt, obwohl sich beispielsweise drei Viertel der Herzinsuffizienz-Patienten aus dem Diabetiker-Kreis rekrutieren. Die Spätfolgen der Hypertonie sind laut Tschöpe gravierender als die des erhöhten HbA1c-Werts. Das bedeutet, dass die Blutdruckeinstellung bei Diabetes-Patienten dringend verbessert werden muss. Denn die Hälfte von ihnen erreicht ihre Zielwerte nicht. Ähnlich schlecht sieht es bei den Lipid-Werten aus, so der Bochumer Diabetologe, der u.a. auch als Vorsitzender der Stiftung "Der herzkranke Diabetiker" fungiert.
Insgesamt ist die Lage durchwachsen. Einerseits sind in den beiden vergangenen Jahrzehnten Fortschritte beim Erreichen therapeutischer Zielwerte gelungen, auch in Deutschland. Ein internationaler Trend hin zu verringerten diabetesbedingten altersspezifischen Sterberaten wird vor allem auf die zunehmende Verordnung von Statinen und RAS-Blockern zurückgeführt.
Andererseits ist immer noch ein viel zu hoher Anteil an Diabetes-Patienten hinsichtlich der relevanten Parameter nicht ausreichend eingestellt. Und besonders dürftig sieht es bisher bei den Lebensstil-Interventionen aus. Jahrzehntelange Gewohnheiten sind eben nicht so leicht zu ändern. Bis zu 90% der Diabetes-Patienten sind multimorbid, bei 80% findet sich ein metabolisch-vaskuläres Syndrom. Das bedeutet auch für den fachkundigen Diabetologen eine echte Herausforderung.
Mangels deutscher Daten hat das Team um Rathmann für seine Berechnungen übrigens auf die für Dänemark ermittelte relative Mortalitätsrate bei Diabetes zurückgegriffen. Was machen die Dänen und allgemein die Skandinavier besser als wir? Sie führen über die Volkskrankheit Diabetes ein nationales Register. Gut, unsere nordeuropäischen Nachbarländer haben auch weniger Einwohner. Das kann aber eigentlich nicht als Ausrede dafür durchgehen, dass bei uns ein bundesweites Diabetes-Register noch immer als eines der Handlungsfelder im DDG-Papier2 steht, statt längst praktizierte Realität zu sein.
Ironie der Geschichte: Im realexistierenden Sozialismus der DDR gab es ein solches nationales Register. Mit einer geschätzten Vollständigkeit von rund 98% war die landesweite Totalerfassung aller Diabetiker sogar weltweit einzigartig. Die Prävalenz-Werte betrugen zuletzt 4,1% für die ostdeutsche Gesamtbevölkerung und 12-19% für die über 60-Jährigen3. Nach dem Mauerfall wurde dieses Register allerdings nicht weitergeführt. So müssen wir neben den eigenen auch auf skandinavische bzw. internationale Datenquellen zurückgreifen, um uns über den Stand und die Trends in der Volkskrankheit Diabetes klar zu werden.
Mit dem gerade aktuell vorgestellten Versorgungsatlas gibt es jetzt aber auch frische deutsche Daten zur Diabetes-Epidemiologie. Dazu mehr im nächsten Beitrag.
Erstmal ein Zwischenfazit für die Praxis:
Aktuelle Expertenbeiträge zu diesem Thema lesen Sie jede Woche neu im esanum Diabetes Blog.
Referenzen: