Vom Diabetes Kongress 2017 in Hamburg gibt es viel zu berichten. Wir fangen mit einem interdisziplinären Symposium an, denn der Blick über den fachspezifischen Tellerrand trägt definitiv zu "Fortschritten für unsere Patienten" bei, wie es das Kongressmotto anmahnte.
Schlafmediziner und Diabetologen sollten noch enger zusammenarbeiten. Mit dieser Bemerkung schloss die Pneumologin Dr. Dora Triché ihren Vortrag beim Diabetes Kongress 2017 in Hamburg. Die Leiterin des Schlaflabors am Klinikum Nürnberg präsentierte ältere und aktuelle Evidenz zu den Zusammenhängen zwischen Schlafapnoe und Diabetes und gab praxisrelevante Tipps.
Dabei ging Triché in ihrem Referat drei Grundfragen nach:
Für Leser mit ganz wenig Zeit lautet die abgekürzte Beantwortung dieser Fragen:
Das Thema Schlaf und Diabetes hat aber durchaus etwas mehr zeitliche Zuwendung verdient. Schlafbezogene Atmungsstörungen sind häufig und die medizinisch bedeutendste Form ist das obstruktive Schlafapnoe-Syndrom.
Verschiedene Studien haben gezeigt, dass das OSAS ein von der Adipositas unabhängiger Risikofaktor für eine erhöhte Insulinresistenz ist. In einer britischen Studie von 2004 waren 87% der 61 OSAS-Patienten von einem metabolischen Syndrom betroffen, aber nur 35% der adipösen Kontrollpersonen. Mit dem Schweregrad der obstruktiven Schlafapnoe steigt die Prävalenz der metabolischen Komorbidität. Umgekehrt leidet ein relevanter Teil der Diabetes-Patienten an einer Schlafapnoe. In einer britischen Studie aus dem Jahr 2006 waren es immerhin 23%.
Die größte Bedeutung im pathophysiologischen Prozess kommt der rezidivierenden zyklischen Sauerstoffentsättigung zu. Der zweite wichtige Mechanismus ist die Schlaffragmentierung. Die als Arousals bekannten kurzen Aufwachreaktionen lassen die Herzfrequenz schwanken und provozieren eine Verschiebung zum Sympathikotonus.
Im Laborversuch führt die intermittierende Hypoxämie jungen, gesunden Menschen bereits nach acht Stunden zu einer Abnahme der Insulinsensitivität. Mit einer künstlich erzeugten Schlaffragmentierung gelingt dies ebenfalls recht zügig, nämlich schon nach zwei Nächten. Neben direkten Effekten beeinträchtigt die Schlafstörung die Insulinempfindlichkeit auch indirekt: über ein erhöhtes Essbedürfnis, das den BMI nach oben treibt.
Geht man genauer ins Detail, wird der Einfluss des Schlafapnoe-Syndroms auf die Diabetes-Entwicklung natürlich sehr komplex. Über die Sympathikus-Schiene kommt es zur Erhöhung der Katecholamine, über die Hypothalamus-Hypophysen-Achse zur vermehrten Cortisol-Ausschüttung. Oxidativer Stress befördert die Bildung freier Radikale. Die Freisetzung proinflammatorischer Zytokine wie Interleukin-6 und TNF-alpha wird aktiviert, das Adipokin-Profil mit Erhöhung von Leptin und Abnahme von Adiponectin negativ beeinflusst.
Diese Prozesse münden in die Entwicklung einer Insulinresistenz und einer Dysfunktion der pankreatischen Beta-Zellen und damit schließlich in die Glukose-Intoleranz und den Typ-2-Diabetes.
Auch die Schlafdauer hat ihren Einfluss. Amerikanische Expertengremien empfehlen 7 Stunden Schlaf als vorbeugende Maßnahme gegen eine ganze Reihe schlafassoziierter Risiken und Erkrankungen: von Fehlerhäufung und Unfallgefahr über Adipositas, Diabetes, Depression und Herzerkrankung bis zum vorzeitigen Ableben. Wenn die Schlafdauer unter 6 Stunden liegt, steigt das Diabetes-Risiko um 13%. Bei weniger als 5 Stunden Schlaf sind es 37%.
Alles natürlich statistische Werte, deren Bedeutung für den Einzelnen immer individuell zu hinterfragen ist. Das heißt aber eben auch: Nach dem Schlaf fragen und über die Schlafhygiene und eventuell erforderliche Maßnahmen aufklären. Zumal wir in einer "Schlafentzugsgesellschaft" leben, wie Triché bemerkte. Die durchschnittliche Schlafdauer von amerikanischen Erwachsenen hat von 8,8 Stunden im Jahr 1920 über 7,7 Stunden im Jahr 1970 auf nur noch knapp 6,9 Stunden im Jahr 2000 abgenommen. Fast ein Drittel schläft weniger als 6 Stunden.
Bleibt festzuhalten: Das Thema Schlafqualität gehört in die Diabetes-Schulung.
Zurück zur Schlafapnoe: In einer neuen spanischen Studie reduzierte die nächtliche CPAP-Beatmung (continuous positive airway pressure) nach sechs Monaten den HbA1c-Wert um 0,4%. Der HOMA-Index als Maß für die Insulinresistenz verbesserte sich bereits nach drei Monaten und noch deutlicher nach sechs Monaten.
Ein lohnender Therapie-Ansatz, denn: Die Senkung des HbA1c-Werts um 1% mindert das Risiko kardiovaskulärer Komplikationen um etwa 20% und die Gefahr mikrovaskulärer Folgeerkrankungen bei Diabetes-Patienten um 37%.
Vor diesem Hintergrund sollte bei Diabetes-Patienten ein besonderes Augenmerk auf das Schlafapnoe-Screening gelegt werden, etwa bei ungewöhnlichen Glukose-Verläufen (vor allem nachts). Die betroffenen Patienten entsprechen dabei keineswegs immer dem klassischen (adipösen) Bild des Schlafapnoikers, sondern können durchaus schlank sein.
Eine noch zu selten genutzte Möglichkeit, auf eine Schlafapnoe aufmerksam zu werden, besteht übrigens in der Beurteilung des Langzeit-EKGs.
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Referenz: Triché D. Schlafbedingte Atemstörungen. Symposium „Diabetes und Pneumologie“ der Deutschen Diabetes Gesellschaft zusammen mit der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin beim Diabetes Kongress 2017. Hamburg, 25. Mai 2017.