Forschern ist es im Tiermodell gelungen, vaskuläre Progenitorzellen herzustellen, um mikroangiopathisch geschädigte Netzhautgefäße zu erneuern.
Aufgrund der weltweit ansteigenden Prävalenz von Diabetes Typ 2 stellen Sehbehinderungen und Erblindung durch diabetische Retinopathie weiterhin eine große Herausforderung dar.1 In Deutschland ist sie die häufigste Erblindungsursache im erwerbsfähigen Alter.
Forscher der Johns Hopkins Universität, Baltimore, veröffentlichten Anfang März in der Zeitschrift Nature Communications eine experimentelle Arbeit, die neue Hoffnung auf eine regenerative Therapie weckt.2
Was die Wissenschaftler im Mausmodell erreichten, war nichts Geringeres als eine effiziente Revaskularisation einer ischämischen Retina. Dazu versetzten sie adulte menschliche Zellen in einen undifferenzierten Zustand zurück, durch den sie die Fähigkeit wiedererlangten, Schäden an retinalen Blutgefäßen zu ersetzen.
Zuerst gewannen die Forscher Fibroblasten eines Patienten mit Diabetes Typ 1 und behandelten sie mit einem speziellen chemischen Cocktail. An diesem hatten sie bereits mehrere Jahre geforscht und ihn zur Reprogrammierung von Stammzellen eingesetzt.
Zu den drei enthaltenen Substanzen gehörten ein GSK3β-Inhibitor (Glykogen-Synthase-Kinase-Inhibitor, der die Kohlenhydrat-Speicherung in Zellen blockiert), ein MEK-Inhibitor (die Substanzklasse wurde z. B. beim NSCLC als experimentelle Therapie getestet, die das Wachstum von Krebszellen hemmen kann) und einem aus der Therapie von Ovarial- und Mammakarzinomen bekannten PARP-Hemmer.
Dieses chemische "Bad" ermöglichte die Rückversetzung der ausdifferenzierten Bindegewebszellen in einen Zustand, der noch unentwickelter ist als der konventioneller induzierter pluripotenter Stammzellen, eher vergleichbar den Epiblasten-Zellen, wie sie am 6. Entwicklungstag den Embryo formen. Diese Zellen gelten als die naivsten und sind effektiver als konventionelle induzierte pluripotente Stammzellen, wenn es darum geht, sich zu jedweder spezialisierten Zelle zu entwickeln.3 Dieser Cocktail schien gleichzeitig die diabetestypischen Veränderungen und das dysfunktionale epigenetische Donorzell-Gedächtnis zu löschen, sodass die Zellen wieder das Profil einer gesunden, ursprünglichen Stammzelle erhielten.3
Aus diesen Epiblasten-artigen Zellen gewannen sie vaskuläre Progenitor-Zellen, die sie in die Augen von Mäusen mit diabetischer Retinopathie injizierten. Die ungeprägten vaskulären Vorläuferzellen wanderten in die innerste Gewebeschicht der Retina, die dem Auge anliegt, siedelten sich dort an und überlebten mehrheitlich die vierwöchige Studienphase. Die genetische Stabilität, Überlebensdauer und Effizienz hinsichtlich der Migration in tiefe neurale Schichten der ischämischen Netzhaut und deren Revaskularisation war höher als in anderen Experimenten mit konventionellen induzierten pluripotenten Stammzellen.
"Unsere Ergebnisse bringen uns einen Schritt näher dahin, Stammzellen in der Regenerationsmedizin breiter einzusetzen, ohne die früher beschriebenen Probleme dieses Forschungsgebietes, solche Zellen zur Differenzierung zu bewegen und Entartungen zu vermeiden", sagt Dr. Elias Zambidis, Ph.D., Professor für Onkologie am Johns Hopkins Kimmel Cancer Center und Mitarbeiter am Johns Hopkins' Institute for Cell Engineering.3
Diese Art von Stammzellen könnten auch in anderen betroffenen Geweben zum Einsatz kommen, wie pankreatischen, renalen, hämatopoetischen und kardialen Linien.
Referenzen:
1. Vujosevic, S. et al. Screening for diabetic retinopathy: new perspectives and challenges. The Lancet Diabetes & Endocrinology 8, 337–347 (2020).
2. Park, T. S. et al. Vascular progenitors generated from tankyrase inhibitor-regulated naïve diabetic human iPSC potentiate efficient revascularization of ischemic retina. Nat Commun 11, 1–20 (2020).
3. ‘Primitive’ stem cells shown to regenerate blood vessels in the eye. ScienceDaily https://www.sciencedaily.com/releases/2020/03/200309093015.htm.