Einige (Neujahrs-)Vorsätze haben Erfolg

Eine große Allgemeinmedizinpraxis integrierte eine Beratung zu kohlenhydratarmer Ernährung in die Routineversorgung – erfolgreich: bei 46% der Patienten mit T2D und 93% der Patienten mit Prädiabetes kam es zu Remissionen.

Eine große Allgemeinmedizinpraxis integrierte eine Beratung zu kohlenhydratarmer Ernährung in die Routineversorgung – erfolgreich: bei 46% der Patienten mit T2D und 93% der Patienten mit Prädiabetes kam es zu Remissionen.

Zunehmende Evidenz deutet auf positive Effekte einer kohlenhydratreduzierten Ernährung auf die glykämische Kontrolle bei Diabetes Typ 2 (T2D) hin, aber wie gut dies im "realen" Umfeld der Primärversorgung tatsächlich funktioniert, war bislang selten so beschrieben, wie in einem Artikel, der aktuell so oft gelesen und geteilt wurde, dass er es in die Top % der von Altmetric bewerteten wissenschaftlichen Publikationen geschafft hat.1

Seit 1987 verzeichnete eine einzelne allgemeinmedizinische Praxis in Norwood im Norden Englands, die eine stabile Population von ca. 9.800 Patienten versorgt, einen achtfachen Anstieg der erfassten T2D-Fälle. Ein Spiegel des weltweit wachsenden Problems: die geschätzte weltweite T2D-Prävalenz für 2019 lag bei 9,3 % (463 Millionen Menschen).2
Diese Zunahme der Prävalenz bedeutet eine erhöhte Morbidität und Mortalität für die Patienten sowie einen zunehmenden Druck auf die begrenzten Ressourcen des Gesundheitswesens. Dies veranschaulichen auch die wachsenden Kosten der für Diabetes verordneten Medikamente: in Großbritannien machen diese 12,5% (1,08 Mio. £) der gesamten in der Primärversorgung verschriebenen Artikel aus.3 Damit sind es die höchsten Kosten eines einzelnen Bereiches.

Was tun?

Die Praxis Norwood schaffte es, ein Stück von diesem Trend abzurücken, indem sie Patienten mit T2D und Prädiabetes über die letzten 6 Jahre hinweg routinemäßig eine Beratung zur Senkung der Kohlenhydratzufuhr anbot.

Hintergrund: Mehrere systematische Meta-Analysen randomisierter Studien bestätigten in den letzten Jahren die positiven Effekte einer kohlenhydratbeschränkten Ernährung bei T2D auf die glykämische Kontrolle, die Triglyzerid- und HDL-Cholesterinprofile.4–6
Zwischen 2018 und 2020 haben Konsensusberichte der American Diabetes Association (ADA) und der European Association for the Study of Diabetes kohlenhydratarme Diäten als sinnvolle Ernährungsoptionen eingestuft.
Die T2D-Leitlinien des britischen National Institute for Health and Care Excellence raten generell zu Nahrungsmitteln mit niedrigem glykämischen Index als Teil des Multikomponenten-Managements von Diabetes.

Die Herangehensweise

Die kohlenhydratreduzierte Ernährung wurde den Patienten als Option vorgestellt, verbunden mit klaren und vereinfachten Erklärungen der wichtigsten physiologischen Prinzipien, z. B. wie Glukose- und Insulinspiegel auf verschiedene Lebensmittel reagieren, dass stärkehaltige Kohlenhydrate viele Glukosemoleküle enthalten und das Konzept, dass Lebensmittel entweder einen niedrigen oder hohen glykämischen Index haben können.

Patienten, die sich daraufhin entschlossen, eine kohlenhydratreduzierte Diät auszuprobieren, wurden im Rahmen der routinemäßigen Sprechstunden von geschulten Hausärzten, Arzthelferinnen und Praxisschwestern beraten. Der Umfang der Unterstützung wurde auf die Bedürfnisse des Patienten und die klinischen Erfordernisse zugeschnitten. Zusätzlich zu 10-minütigen Einzelterminen (durchschnittlich waren 3 Termine pro Patient und Jahr erforderlich) bot die Praxis etwa alle 6 Wochen abendliche Gruppensitzungen an. An diesen nahm ein Psychologe teil, der die Verhaltensänderung förderte, indem er die Teilnehmer ermutigte, über ihre individuellen gesundheitlichen Ziele und die ihnen zur Verfügung stehenden Ressourcen zu reflektieren, realistische Schritte festzulegen und dem Einzelnen die Möglichkeit zu geben, herauszufinden, was für ihn funktioniert. Angehörige oder Betreuer der Patienten waren ebenfalls zu den Sitzungen eingeladen, da einige Patienten für das Einkaufen oder Kochen auf andere angewiesen waren. Die Gruppensitzungen boten auch ein Forum, in dem die Patienten ihren Mitpatienten praktische Unterstützung anbieten konnten und dienten der Schulung neuer Mitarbeiter.

Zur Unterstützung von Patienten und Personal wurden kompakte Aufklärungsmaterialien erstellt, beispielsweise ein Übersichtsblatt über Nahrungsquellen mit besonders hohem oder niedrigem glykämischem Index, um eine Reduzierung der Aufnahme von zucker- und stärkehaltigen Lebensmitteln anzuregen, wobei die soziokulturellen Ernährungsbedürfnisse und -vorlieben der einzelnen Patienten berücksichtigt wurden. Die hilfreichsten Punkte für die Patienten wurden auf einer Seite zusammengefasst.

Relevante Verbesserungen von Gewicht, HbA1c, Lipidprofilen und Blutdruck

Bis 2019 waren 128 Patienten mit T2D (27% der Praxispopulation mit Diabetes) und 71 mit Prädiabetes für durchschnittlich 23 Monate einer kohlenhydratärmeren Ernährung gefolgt.
Bei den Diabetikern kam es zu einer statistisch signifikanten Reduktion aller relevanten Variablen, mit Ausnahme eines statistisch signifikanten Anstiegs des High-Density-Lipoprotein (HDL)-Cholesterins. Eine medikamentenfreie T2D-Remission trat bei 46% der Teilnehmer ein. Die auffälligsten Veränderungen bei der Nachbeobachtung waren ferner: eine Reduktion des beobachteten Gewichts (von im Median 99,7 kg auf 91,4 kg; p < 0,001) und eine Abnahme des HbA1c (von 8,14% auf 6,54%; p < 0,001). Insgesamt nahmen 121 der 128 Patienten (94,4%) Gewicht ab. Die wenigen Patienten, bei denen dies nicht der Fall war, verbesserten sich trotzdem bedeutend hinsichtlich des HbA1c-Wertes.
Darüber hinaus waren signifikante Reduktionen des Gesamtcholesterins, der Triglyzeride und des Gesamt-/HDL-Cholesterinverhältnisses sowie ein signifikanter Anstieg des HDL-Cholesterins zu verzeichnen. Außerdem sanken systolischer und diastolischer Blutdruck um 11 respektive 5,1 mm Hg (p < 0,001).
Die Erhebung zeigte, dass die Teilnehmer, die mit den schlechtesten Blutzuckerwerten (HbA1c) ins Rennen gegangen waren, die größten Verbesserungen der glykämischen Kontrolle erzielten.

Bei den Patienten mit Prädiabetes gingen die HbA1c-Werte ebenfalls zurück: von 6,18% auf 5,72% (p < 0,001). Fast alle (93%) erreichten somit wieder einen normalen HbA1c-Wert. Die restlichen Verbesserungen waren analog zu den oben bei den Diabetikern beschriebenen.

Der relative Rückgang der Verschreibung von Medikamenten für Diabetes in der Praxis seit 2015 kann sich ebenfalls sehen lassen: die Hausarztpraxis Norwood hatte die niedrigsten Verordnungskosten für Antidiabetika in der Region. Laut OpenPrescribing.net gab Norwood bis April 2020 £50.885 weniger pro Jahr aus als der Durchschnitt der Praxen in der Gegend.

Die aktuelle Erhebung ist Teil eines weiter laufenden Audits zur Leistungserbringung und war daher nicht randomisiert. Eine gewisse Vorstellung von den (vergleichbar guten) Ergebnissen, die man bei einer Routineversorgung erwarten könnte, lässt sich jedoch aus dem Kontrollarm der 'DiRECT'-Studie ableiten, über die wir bereits berichteten.

Referenzen:
1. Unwin, D. et al. Insights from a general practice service evaluation supporting a lower carbohydrate diet in patients with type 2 diabetes mellitus and prediabetes: a secondary analysis of routine clinic data including HbA1c, weight and prescribing over 6 years. BMJ Nutrition, Prevention & Health bmjnph-2020-000072 (2020) doi:10.1136/bmjnph-2020-000072.
2. Saeedi, P. et al. Global and regional diabetes prevalence estimates for 2019 and projections for 2030 and 2045: Results from the International Diabetes Federation Diabetes Atlas, 9th edition. Diabetes Research and Clinical Practice 157, (2019).
3. Prescribing for Diabetes in England 2008/09 - 2018/19. NHS Digital https://digital.nhs.uk/data-and-information/publications/statistical/prescribing-for-diabetes/2008-09---2018-19.
4. Gjuladin-Hellon, T., Davies, I. G., Penson, P. & Amiri Baghbadorani, R. Effects of carbohydrate-restricted diets on low-density lipoprotein cholesterol levels in overweight and obese adults: a systematic review and meta-analysis. Nutrition Reviews 77, 161–180 (2019).
5. Meng, Y. et al. Efficacy of low carbohydrate diet for type 2 diabetes mellitus management: A systematic review and meta-analysis of randomized controlled trials. Diabetes Res Clin Pract 131, 124–131 (2017).
6. van Zuuren, E. J., Fedorowicz, Z., Kuijpers, T. & Pijl, H. Effects of low-carbohydrate- compared with low-fat-diet interventions on metabolic control in people with type 2 diabetes: a systematic review including GRADE assessments. Am J Clin Nutr 108, 300–331 (2018).