Da wir gerade beim Thema Amputationen (siehe vorheriger Beitrag) waren: Wie sicher sind Gliflozine bei Diabetes-Patienten mit pAVK? Diese Fragestellung entdeckten wir vor wenigen Tagen als Schlagzeile auf Ärzte Zeitung online1. Der Hintergrund: In den CANVAS-Studien2 kam es unter Canagliflozin fast doppelt so häufig zu Amputationen wie in der Kontrollgruppe (6,3 vs. 3,4 Fälle pro 1.000 Teilnehmer).
Canagliflozin (Invokana®) spielte zwar in Deutschland, anders als etwa in den USA, noch nie eine große Rolle. Der Hersteller Janssen-Cilag hat das Medikament wegen fehlender Zusatznutzen-Anerkennung inzwischen sogar vom deutschen Markt genommen. Aber was ist mit den anderen SGLT-2-Hemmern wie Empagliflozin (Jardiance®) und Dapagliflozin (Forxiga®)?
Die neuen Antidiabetika werden immer häufiger in der Diabetes-Behandlung eingesetzt, insbesondere bei Patienten mit erhöhtem kardiovaskulärem Risiko. In der EMPA-REG-OUTCOME-Studie3 konnte durch die Einnahme von Empagliflozin zusätzlich zur Standardtherapie mehr als einer von drei kardiovaskulären Todesfällen verhindert werden. Beobachtungsstudien (wie hier referiert: Daten aus dem Praxisalltag bestätigen Nutzen der SGLT-2-Hemmer) bestätigen den Erfolg im Praxisalltag: Neben der Senkung von Blutzucker und Gewicht waren auch niedrigere Raten an tödlichen und nichttödlichen kardiovaskulären Ereignissen, an Hospitalisationen wegen Herzinsuffizienz und an schweren Hypoglykämien zu verzeichnen. Bei der kardiovaskulären Schutzwirkung scheint es sich wohl um einen Klasseneffekt der SGLT-2-Hemmer zu handeln.
Beim erhöhten Amputationsrisiko dagegen nicht. Das hat eine Auswertung4 des FDA Adverse Event Reporting Systems (FAERS) ergeben. In der Nebenwirkungsdatenbank wurden bis zum 31. März 2017 über 9 Millionen Berichte erfasst. Darunter fanden sich 66 SGLT-2-Hemmer-assoziierte Amputationen, von denen sich 57 (86%) auf Canagliflozin bezogen. Die Betroffenen waren im Schnitt 60 Jahre alt, zumeist Männer und etwa 1,5 Jahre lang unter Gliflozin-Behandlung. Gut ein Drittel von ihnen wies vorher mindestens ein Anzeichen für ein diabetisches Fußsyndrom auf. Am häufigsten musste im Zehenbereich amputiert werden und in 13 Fällen oberhalb des Knöchels. Es gab zwei Mehrfach-Amputationen und eine Handamputation sowie drei Todesfälle.
Mit 3,4/1.000 lag die Amputationsfrequenz unter Canagliflozin in dieser Datenbank-Analyse fast halb so niedrig wie unter kontrollierten Studienbedingungen (hier bewegte sich die Amputationsrate in der Kontrollgruppe exakt auf diesem Niveau). Das mit Canagliflozin assoziierte Risiko war aber auch hier – im Unterschied zu Dapagliflozin und Empagliflozin – deutlich höher als unter Nicht-SGLT-2-Hemmern.
Die retrospektive Auswertung ist natürlich kein Beweis für einen kausalen Zusammenhang. Die offiziellen Warnhinweise könnten, wie die Autoren anführen, zu einer erhöhten Melderate geführt haben.
Im September 2017 publizierten Wissenschaftler von Janssen und der Muttergesellschaft Johnson & Johnson eine "Real-World"-Studie5, die für alle drei SGLT-2-Hemmer Entwarnung gibt. Dafür wurden Marktforschungsdaten von Patienten analysiert, die zwischen April 2013 und Oktober 2016 erstmals SGLT-2-Hemmer (über 118.000 Personen, davon bei über 73.000 Canagliflozin) oder andere blutzuckersenkende Medikamente (über 226.000 Personen) erhielten. Als "krude" Inzidenzraten für Amputationen unterhalb des Knies wurden ermittelt: 1,22 (SGLT-2-Hemmer), 1,26 (Canagliflozin) und 1,87 (Nicht-SGLT-2-Hemmer), jeweils pro 1.000 Personenjahre. In der gematchten Vergleichsanalyse zwischen Canagliflozin und Nicht-Gliflozinen betrugen die Werte 1,18 vs. 1,12.
Zu den Ergebnissen einer neuen Subanalyse6 der EMPA-REG-OUTCOME-Studie, die im November beim AHA-Kongress im kalifornischen Anaheim vorgestellt wurde, zählen:
Das sind bei einer medianen Beobachtungsdauer von etwa drei Jahren im Vergleich zu den anderen zitierten Studien insgesamt recht hohe Amputationsraten, selbst ohne periphere Arterienerkrankung. Die "neuen Daten aus EMPA-REG OUTCOME" finden sich auch auf der Website arznei-news.de, wo es heißt: "Die Nebenwirkungen insgesamt und die schweren Nebenwirkungen zwischen Empagliflozin und Placebo waren bei Erwachsenen mit und ohne periphere Arterienerkrankung ausgewogen."
Eine interessante Formulierung. Die Experten und Fachgesellschaften sind sich einig, dass SGLT-2-Hemmer wie Empagliflozin eine wichtige Erweiterung des therapeutischen Spektrums darstellen. Als behandelnder Arzt sollte man gerade deshalb auch mit den Nebenwirkungen vertraut sein, die vielen Patienten zu schaffen machen, dafür Verständnis entwickeln und mit offenem Ohr sowie Rat und Tat zur Seite stehen. Die zahlreichen Kommentare von Anwendern auf der Empagliflozin-Seite von arznei-news.de zeigen, dass es hier einigen Bedarf gibt.
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Referenzen:
1. Wie sicher sind Gliflozine bei Diabetes plus PAVK? Ärzte Zeitung online, 05.01.2018. (www.aerztezeitung.de; Zugriff am 08.01.2018).
2. Neal B et al. Canagliflozin and Cardiovascular and Renal Events in Type 2 Diabetes. N Engl J Med 2017;377(7):644-57.
3. Zinman B et al. Empagliflozin, Cardiovascular Outcomes, and Mortality in Type 2 Diabetes. N Engl J Med 2015;373:2117-28.
4. Fadini GP, Avogaro A. SGTL2 inhibitors and amputations in the US FDA Adverse Event Reporting System. Lancet Diabetes Endocrinol 2017;5(9):680-81.
5. Yuan Z et al. Risk of lower extremity amputations in people with type 2 diabetes mellitus treated with sodium-glucose co-transporter-2 inhibitors in the USA: A retrospective cohort study. Diabetes Obes Metab 2017. doi: 10.1111/dom.13115.
6. Verma S et al. Cardiovascular Outcomes and Safety of Empagliflozin in Patients With Type 2 Diabetes Mellitus and Peripheral Artery Disease: A Subanalysis of EMPA-REG OUTCOME. Circulation 2017. doi: 10.1161/CIRCULATIONAHA.117.032031.