Insulin, sein Präventionspotenzial und seine nicht-parenterale Anwendung: Mit dem Nasenspray wird geforscht, die Inhalation hat sich nicht durchgesetzt und auf die Pille müssen wir weiter warten.
Nach dem Blick auf den Medikamententest bei Stiftung Warentest bleiben wir zunächst noch ein bisschen beim Insulin. Dieses Peptidhormon spielt im zentralen Nervensystem bei der Feinabstimmung der Hirnfunktion eine verantwortliche Rolle und beeinflusst sowohl das Belohnungszentrum, die Nahrungsaufnahme als auch Kognition und Emotionalität. Neben seiner stoffwechselsteuernden Funktion schützt es zudem das Gehirn, indem es die mitochondriale Stressantwort im Hypothalamus reguliert. Dieser Anpassungsmechanismus wird in einer aktuellen Arbeit von Wissenschaftlern am Deutschen Institut für Ernährungsforschung Potsdam-Rehbrücke (DIfE) näher beschrieben.1
Die energiezehrende Gehirnaktivität ist ganz besonders auf die mitochondriale Kraftwerkfunktion angewiesen. Zu wenig oder zu viel essen bedeutet Stress für die Mitochondrien. Eine mitochondriale Dysfunktion wird, wenig überraschend, bei neurodegenerativen und metabolischen Erkrankungen beobachtet. Beobachtet wird auch ein erhöhtes Risiko von Diabetes-Patienten für die Entwicklung von Alzheimer oder Parkinson. "Der insulinabhängige Regulationsmechanismus der Stressantwort liefert dafür wichtige Erklärungsansätze, die unbedingt weiterverfolgt werden sollten", wird die promovierende Erstautorin in einer Pressemitteilung des DIfE zitiert.
Für Interessierte: Insulin kontrolliert die Funktion der Mitochondrien über die Regulation der dortigen Proteostase. Es unterstützt die Nervenzellen durch Stimulation einer vermehrten Produktion von Schutzmolekülen wie den Hitzeschock-Proteinen HSP10 und HSP60, die für den Zusammenbau von Eiweißstoffen unentbehrlich sind. Über den ERK-Signalweg (extracellular-signal regulated kinases) verhindert Insulin dank aktivierter Stressantwort die hungerinduzierte Autophagie.
Bei diabetischen Mäuse ohne körpereigenes Insulin und bei Mäusen mit Insulinresistenz aufgrund fettreicher Nahrung konnte jeweils eine verminderte Stressantwort durch intranasale Applikation des Hormons – unter Umgehung der Blut-Hirn-Schranke – wieder normalisiert werden.
Vor fünf Jahren wies ein Wissenschaftler-Team der Universität Tübingen die zuckerstoffwechselsteuernde Insulin-Wirkung im Gehirn erstmals direkt beim Menschen nach.2 Bei gesunden Männern, die das Hormon schnupften, besserte sich die periphere zelluläre Glukoseaufnahme, wobei sich im MRT eine erhöhte hypothalamische Aktivität zeigte. Wie die Untersuchungen zudem zeigten, leitet offenbar das autonome Nervensystem das zerebrale Insulinsignal an den Körper weiter. Übergewichtige Probanden waren dagegen resistent gegenüber der Insulinwirkung im Gehirn. Fazit der Studie: Veränderte Reaktionen im Gehirn sind mitverantwortlich für die Ganzkörper-Insulinresistenz, die beim Typ-2-Diabetes eine zentrale Rolle spielt.
Mit der Erwähnung beider Arbeiten, die als Partnerprojekte des Deutschen Zentrums für Diabetesforschung (DZD) erfolgten, erweisen wir dieser Institution (Motto: "Forschen für eine Zukunft ohne Diabetes") unsere Referenz. Das DZD wurde nämlich 2009 als zweites von sechs Deutschen Zentren für Gesundheitsforschung auf Initiative des Bundesministeriums für Bildung und Forschung gegründet und feiert nun sein Zehnjähriges. Die Ärzte Zeitung würdigt dieses Jubiläum mit der Schlagzeile "Translationale Forschung auf Weltniveau". Mit der dabei erwähnten Subphänotypisierung, über die bei esanum vom diesjährigen DGP-Kongress berichtet wurde (Diabetes – Die Abschaffung einer Universalerkrankung), werden wir uns in einem künftigen Beitrag noch beschäftigen. Sind Ihnen die vorgeschlagenen Untergruppen von Typ-2-Diabetes schon geläufig?
Erstmal kommen wir auf das Schnupfen bzw. die intranasale Applikation von Insulin zurück. Die Tübinger DZD-Wissenschaftler forschen gerne mit dem Insulin-Nasenspray und fanden vor zwei Jahren heraus, dass seine Anwendung das funktionelle Zusammenspiel verschiedener Hirnregionen (präfrontale "default mode"-Bereiche, Hippocampus und Hypothalamus) steigert.3
Die Studienteilnehmer: junge und gesunde Erwachsene (25 Schlanke, 10 Übergewichtige, 12 Adipöse). Die positiven Folgen: ein gedämpftes Hungergefühl – mit unterdrückter Beziehung zwischen Fettgewebe und Hunger dank Insulin-induzierter Hippocampus-Konnektivität – und eine erhöhte periphere Insulin-Sensitivität. Erwünschte Effekte im Kampf gegen Adipositas und Typ-2-Diabetes.
Allerdings gibt es für das Spray aktuell keine allgemeine Zulassung. Für die Studienzwecke wurde kommerziell erhältliches Humaninsulins unter spezifischen pharmazeutischen Kautelen in Sprühfläschchen umgefüllt.
Auch das Institut für Diabetesforschung (IDF) am Helmholtz Zentrum München forscht übrigens mit Insulin-Nasenspray: In der laufenden PINIT-Studie (Primary Intranasal Insulin Trial) soll damit die Entwicklung einer Beta-Zell-Autoimmunität bei Kindern mit hohem genetischen Risiko für Typ-1-Diabetes verhindert oder wenigstens verzögert werden.
Das Konzept der Insulin-Inhalation ist bekanntlich alles andere als neu. "Tolle Idee! Was wurde daraus?", hat erst kürzlich der Deutschlandfunk nachgefragt. Schon kurz nach der Entdeckung des Insulins in den 20er Jahren des vergangenen Jahrhunderts versuchte man sich an seiner inhalativen Anwendung. Die Herstellung war allerdings aufwändig und teuer, die Verfügbarkeit gering. Die weltweite Markteinführung erfolgte erst 2006 – und zwar in Deutschland als erstem Land. Die älteren Semester unter uns werden sich an Exubera® von Pfizer erinnern können.
Im Vergleich zur subkutanen Injektion wurde eine etwa 10-fach höhere Insulin-Dosis benötigt. Die Wirkung trat schnell ein, der Apparat war aber eher unhandlich, die Zulassung nur für Nichtraucher und die Nebenwirkungsliste umfangreich. Mit den handlichen Pens setzte sich stattdessen, vor allem in Europa, eine andere Verabreichungsmethode gegenüber den umständlichen Nadeln durch. Bereits 2007, also nur ein Jahr nach der Einführung, gab Pfizer die globalen Rechte an den Technologieentwickler Nektar Therapeutics (USA) zurück und Exubera® verschwand mangels Akzeptanz wieder aus den Apotheken. In den USA gibt es seit 2014 mit Afrezza® wieder ein inhalierbares Insulin.
Und wie sieht es mit der seit langem ersehnten Insulin-Tablette aus? Derzeit schlecht. Hierzu verweisen wir auf den DGE-Blog des geschätzten Kollegen Prof. Helmut Schatz: Orales Insulin von Novo Nordisk in Phase II-Studie zwar wirksam, Weiterentwicklung aber wegen Unwirtschaftlichkeit eingestellt.
Referenzen:
1. Wardelmann K et al. Insulin action in the brain regulates mitochondrial stress responses and reduces diet-induced weight gain. Molecular Metabolism 2019;21:68-81. https://doi.org/10.1016/j.molmet.2019.01.001
2. Heni M et al. Central insulin administration improves whole-body insulin sensitivity via hypothalamus and parasympathetic outputs in men. Diabetes 2014; 63(12):4083-8. doi:10.2337/db14-0477
3. Kullmann S et al. Intranasal insulin enhances brain functional connectivity mediating the relationship between adiposity and subjective feeling of hunger. Sci Rep 2017;7(1):1627. doi:10.1038/s41598-017-01907-w
Abkürzungen:
DGE = Deutsche Gesellschaft für Endokrinologie
MRT = Magnetresonanztomographie