Handelt es sich bei der Anreicherung von Lebensmitteln mit Vitamin A um eine einfache und kostengünstige Public-Health-Maßnahme zur Diabetes-Prävention? Die Autoren einer dänischen Registerstudie und ein deutscher Kommentator meinen: ja.
Im großen Jubiläumsjahr der lutherischen Reformation macht es besonders Freude, über Glaubensfragen zu streiten. Davon gibt es auf dem Gebiet der Ernährung zahlreiche und eine von ihnen lautet: Ist Margarine gesünder als Butter? Im Wikipedia-Eintrag zu „Margarine“ steht dazu der schöne Satz: „Ihr gesundheitlicher Wert ist Gegenstand kontroverser Debatten.“
Einen interessanten Beitrag zur Debatte haben gerade dänische Wissenschaftler in den Ring geworfen. Auch im heutigen Beitrag geht es deshalb erneut um eine skandinavische Registerstudie1, die sich mit einem "Antidiabetikum" beschäftigt. Allerdings handelt es sich dabei nicht um ein Medikament zu therapeutischen, sondern um ein Vitamin zu präventiven Zwecken. Konkret wollten die Forscher wissen: Verringert ein erhöhter Zusatz von Vitamin A zur Margarine beim ungeborenen Nachwuchs das Risiko, im späteren Leben einen Typ-2-Diabetes zu entwickeln?
Grund für diese Überlegung gibt es. Dass Vitamin A in der embryonalen Entwicklung, für die Immunität und für den Sehvorgang eine entscheidende Rolle spielt, ist schon länger bekannt. In den letzten Jahren ist die Erkenntnis hinzugekommen, dass dieses Vitamin auch metabolische Pfade regulieren kann, die in die Pathogenese von Adipositas und Diabetes verwickelt sind. Man nimmt an, dass die qualitative und eventuell auch quantitative Entwicklung der Betazellen des Pankreas von ausreichenden Vitamin-A-Spiegeln während der Embryonalphase abhängt. Aus Tierexperimenten weiß man, dass neugeborene Mäuse Vitamin A benötigen, damit sich ihre Betazellen normal entwickeln.
Eine adäquate Zufuhr dieses Vitamins während der Schwangerschaft könnte sich demnach für das Neugeborene als vorteilhaft bzw. Diabetes-präventiv erweisen: durch ein vermindertes Risiko, im späteren Leben zuckerkrank zu werden bzw. durch eine verbesserte Fähigkeit zur Gegensteuerung einer Insulinresistenz.
Eine aktuelle schwedisch-englische Publikation2 aus der Grundlagenforschung stützt die These der antidiabetischen Schutzfunktion von Vitamin A. Demnach fand sich auf der Oberfläche von Betazellen unter 220 gescreenten Rezeptoren einer für Vitamin A. Um dessen Bedeutung im Diabetes-Kontext zu untersuchen, arbeiteten die Wissenschaftler mit Insulinzellen von Mäusen sowie von menschlichen Spendern mit und ohne Typ-2-Diabetes. Wurden die Vitamin-A-Rezeptoren teilweise blockiert, brach die Insulinsekretion der mit höheren Zuckerkonzentrationen belasteten Zellen um bis zu 30% ein.
Außerdem stellten die Forscher fest: Bei einem Vitamin-A-Mangel nahm die inflammatorische Anfälligkeit der Betazellen rapide zu und ein Fehlen des Vitamins führte zum Zelltod. Sinkende Insulinproduktion und geschwächte Betazell-Vitalität – das sind zwei Schlüsselursachen für die Entstehung eines Typ-2-Diabetes.
Und damit zurück nach Dänemark. Dort wurde 1962 der vorgeschriebene Vitamin-A-Zusatz zur Margarine um 25% erhöht. Also verglichen die Autoren der erwähnten Registerstudie das Diabetes-Risiko von Menschen, die in einem jeweils 16 Monate umfassenden Zeitraum nach bzw. vor dem Stichtag geboren wurden – also mit bzw. ohne zu vermutende Extraportion an Vitamin A während ihrer uterinen Entwicklung. Der Beobachtungszeitraum erstreckte sich bis zur Lebensmitte (um das 50. Lebensjahr) der insgesamt fast 194.000 Teilnehmer. Die entsprechenden Kohorten konnten durch Rückgriff auf das dänische nationale Diabetesregister und das nationale Patientenregister bis Ende 2012 nachverfolgt werden.
Das statistisch mit solider Signifikanz errechnete Ergebnis lautet: In der Kohorte mit der zu vermutenden erhöhten Vitamin A-Supplementation nach 1962 wiesen die Teilnehmer ein um 12% geringeres Diabetes-Risiko auf, unabhängig vom Geschlecht. Die Autoren konkludieren, dass „eine der teuersten chronischen Krankheiten durch Anreicherung von Nahrungsmitteln verhindert“ werden könne – mit einer „einfachen und kostengünstigen öffentlichen Gesundheitsmaßnahme in Form einer Ernährungsintervention“.
Der am Dresdner Universitätsklinikum Carl Gustav Carus für Prävention zuständige Endokrinologe Prof. Peter Schwarz zeigt sich in seinem Kommentar3 zur Studie in der September-Ausgabe von Info Diabetologie begeistert: „Diese Studie ist beispielhaft, wie Public-Health-Maßnahmen einfach und wirkungsvoll sein können und sollte Vorbild sein für Maßnahmen zur Prävention von chronischen Erkrankungen wie Steuern auf Nahrungsmittel, Haftung für Nahrungsmittel oder Supplementierung von Nahrungsmitteln. Vitamin A während der Schwangerschaft ist ein solides Mittel, um Typ-2-Diabetes-mellitus zu verhindern.“
Auf weitere Reaktionen aus der Fachwelt, z.B. auch von der DDG, sind wir gespannt.
Aktuelle Expertenbeiträge zu diesem Thema lesen Sie jede Woche neu im esanum Diabetes Blog.
Referenzen: (1) Keller A et al. A retrospective analysis of a societal experiment among the Danish population suggests that exposure to extra doses of vitamin A during fetal development may lower type 2 diabetes mellitus (T2DM) risk later in life. Br J Nutr 2017;117(5):731-6.
(2) Amisten S et al. Anti-diabetic action of all-trans retinoic acid and the orphan G protein coupled receptor GPRC5C in pancreatic β-cells. Endocr J 2017;64(3):325-38.
(3)Schwarz PEH. Margarine mit Vitamin A aufs Brot senkt Risiko für Typ-2-Diabetes bei Nachkommen. Info Diabetol 2017;11(4):17.