Über die richtige Ernährung für Diabetes-Patienten streiten sich die wissenschaftlichen Geister. Dabei gibt es ein noch als solches zu entdeckendes Mega-Thema: die Diabetes-Remission als Therapieziel.
Nach dem Labormarker für Leberschaden und der Gewichtsabnahme unter Semaglutid kommen wir nun zum dritten und letzten Teil unseres Beitrags, zu dem wir durch die esanum-Berichterstattung zum Diabetes Kongress 2018 inspiriert wurden. Es geht um ein zentrales Element in der Diabetes-Therapie: die Ernährung. Eine bekannte Gretchen-Frage: Wie halten Sie es mit den Kohlenhydraten? Low Carb oder Low Fat?
Ein Dauerbrenner, auch bei der diesjährigen DDG-Jahreshauptveranstaltung in Berlin. Es wurde und wird bekanntlich viel zu diesem Thema geforscht. Weniger bekannt ist, welche Botschaft für die diabetologische Praxis dabei unterm Strich eigentlich mitzunehmen ist. Im "Praxisdialog Pro und Contra Low Carb" duellierten sich – natürlich nur auf wissenschaftliche Vortragsart – die Ernährungswissenschaftlerin Prof. Anette Buyken von der Universität Paderborn (Pro) und der Ernährungsmediziner Prof. Hans Hauner von der Technischen Universität München.
Das Ergebnis scheint nach der Lektüre des Beitrags Pro oder Contra Low-Carb – Was ist die richtige Diät für Diabetes-Patienten? am ehesten ein "Remis" zu sein, so wie es der Untertitel suggeriert. Interessant ist die zitierte Kommentierung der Nationalen Versorgungsleitlinie zur Therapie des Typ 2 Diabetes von 2014 durch Buyken. Während in der Leitlinie steht, dass die generelle Empfehlung einer kohlenhydratarmen Kost wissenschaftlich nicht begründet sei, formuliert es die Kohlenhydrat-Spezialistin so: "Die Empfehlung einer kohlenhydratreichen Kostform ist wissenschaftlich nicht begründet."
Am Deutschen Institut für Ernährungsforschung Potsdam-Rehbrücke (DIfE) laufen derzeit zwei Ernährungs-Interventionsstudien zur diätetischen Prävention bzw. Behandlung des Typ-2-Diabetes, in denen Low Carb und Low Fat direkt miteinander vergleichen werden. An der DiNA-P-Studie ("Diabetes Nutrition Algorithms - Prediabetes") nehmen insgesamt 250 Personen mit Prädiabetes teil. "Die bisher publizierten Studien zum low-carb-low-fat-Vergleich sehen eine etwas stärkere Gewichtsreduktion unter low-carb; das können wir aus unserer Erfahrung zumindest bei kurzfristiger Diät bestätigen", äußerte sich Dr. Stefan Kabisch vom DIfE schon im Kongress-Vorfeld.
Ähnlich sehen die Zwischenergebnisse bezüglich Blutzucker und Blutdruck aus. Vergleichbar starke Effekte der beiden Reduktionskonzepte zeichnen sich mit Blick auf die Fettleber ab. An der zweiten Studie mit dem Kürzel DiNA-D ("Diabetes Nutrition Algorithms in Patients With Overt Diabetes Mellitus") partizipieren ebenfalls 250 Proteilnehmen, die allerdings bereits einen Typ-2-Diabetes entwickelt haben. Man darf auf die endgültige Bewertung der Diäten nach Abschluss der Studien gespannt sein.
Kabisch hat sich zudem zusammen mit zwei Kollegen in einer kürzlich publizierten Meta-Analyse1 mit der Drop-out-Rate von randomisierten kontrollierten Studien (RCTs) zur Low-Carb-versus-Low-Fat-Thematik beschäftigt. Anlass ist die Beobachtung, dass trotz gleichwertiger Gewichtsreduktion beim Low-Fat-Ansatz "mitunter eine metabolische Unterlegenheit und – insbesondere langfristig – schlechtere Compliance" besteht. Die mangelhafte Diättreue bringt nicht nur individuelle Nachteile für die Patienten, sondern beeinträchtigt auch die Aussagekraft klinischer Ernährungsstudien.
Die Dropout-Rate "repräsentiert die Compliance der Studienteilnehmer – im Gegensatz zu Ernährungsdaten – am objektivsten", heißt es in dem Paper. Dessen Ergebnis lautet: Mit der Drop-out-Rate korrelierten ein höherer BMI sowie niedrige Kalorienziele (v.a. bezüglich Protein- und Kohlenhydratquellen), eine höhere tatsächliche Kalorienzufuhr sowie eine hohe Anzahl von Ernährungsprotokollen. Ohne statistisch signifikanten Einfluss blieben: Alter, Geschlecht, Rauchen, weitere biologische Faktoren, finanzielle Anreize und zusätzliche Beratungsangebote.
Die Wissenschaftler schlussfolgern: "Die Drop-out-Rate repräsentiert die Diätcompliance gut. Studienkohorten mit höherem Körpergewicht zeigen schlechtere Diättreue, die Strenge der Diätziele sowie der persönliche Arbeitsaufwand der Probanden beim Protokollieren der Ernährung sind stärkere Faktoren als das angebotene Beratungsspektrum."
Das erscheint jetzt nicht unbedingt überraschend. Vielmehr überrascht, dass es zwar alle möglichen Praxisempfehlungen der Deutschen Diabetes-Gesellschaft gibt, aber keine zur Ernährung. Und, dass in den verfügbaren Praxisempfehlungen ("Therapie des Typ-2-Diabetes", "Psychosoziales und Diabetes") ein sehr wichtiges Ziel nicht genannt wird: die Diabetes-Remission durch Ernährungs- und Lebensstilumstellung!
Die potenzielle Diabetes-Heilung als Therapieziel haben wir in diesem Blog schon einmal adressiert, bisher noch ohne Resonanz. Dabei lässt sich das Thema eigentlich nicht mehr unter den Teppich kehren, wie auch eine im Journal Club referierte Lancet-Studie2 zum kurativen Gewichtsmanagement deutlich macht.
Es hängt halt wie immer alles am Geld – und an der Einstellung der Akteure. Der pharmazeutische Sektor verdient an millionenfach lebenslang verschriebenen Medikamenten. Wichtige Krankenkassen laben sich am morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleich (Morbi-RSA). Letztlich hängt der ganze diabetologische Versorgungsapparat vom Fortbestehen dieser Volkskrankheit ab. Ist eine Ernährungsanalyse nebst individuellem Coaching mit Heilungsziel da nicht geschäftsschädigend?
Ist das zu hart formuliert oder gar anstößig? Denkanstößig wäre gut …
Aktuelle Expertenbeiträge zu diesem Thema lesen Sie jede Woche neu im esanum Diabetes Blog.
Referenzen:
1. Kabisch S et al. Faktoren der Diätcompliance in low-carb-/low-fat-Interventionsstudien – eine Meta-Analyse zur Drop-out-Rate. Diabetologie und Stoffwechsel 2018;13(S01):S27. doi:10.1055/s-0038-1641836
2. Lean ME et al. Primary care-led weight management for remission of type 2 diabetes (DiRECT): an open-label, cluster-randomised trial. Lancet 2018;391(10120):541-51
Abkürzungen:
DDG = Deutsche Diabetes Gesellschaft