Nicht nur Menschen mögen Zucker, sondern auch Pneumokokken. Diese Vermutung äußerte der Pneumologe Prof. Heinrich Becker von der Asklepios Klinik Barmbek in Hamburg beim diesjährigen DDG Kongress.
Bei 10% der Menschen, auch bei Gesunden, finden sich Pneumokokken in der Mundhöhle. Durch Mikroaspiration können sie in die Lunge gelangen und dort eine Pneumonie auslösen. Dieser Weg gilt heute als ätiologischer Hauptpfad, vor Inhalation und hämatogener Infektion.
Bei Diabetes-Patienten wird das Geschehen durch Polyneuropathie und verminderte Immunkompetenz begünstigt. Das relative Pneumonie-Risiko gegenüber Nicht-Diabetikern ist für sie um 50% erhöht, bei invasiven Pneumokokken-Spezies sogar um das 4,5-fache.
Becker stellte zwei Fälle aus der Notaufnahme vor.
Fall 1: Eine mit 57 Jahren noch relativ junge Patientin klagt über einen verschlechterten Allgemeinzustand seit 2-3 Tagen, hohes Fieber (40° C) und Husten mit Auswurf, ihre Vigilanz ist gemindert. Vor nicht allzu langer Zeit wurde bei ihr ein Diabetes mellitus Typ 2 diagnostiziert. Allerdings hat sie "die Tabletten nicht vertragen" und deshalb schon eine Weile abgesetzt.
Im Thorax-Röntgen ist beidseitig eine Pneumonie erkennbar. Der klinische Verlauf ist unerwartet heftig und erfordert die Aufnahme der Patientin auf die Intensivstation. Der Laborbefund lautet: CRP 574 mg/l; Leukos 31,3/nl; Kalium 2,56 mmol/l; Kreatinin 2,0 mg/dl; Blutzucker 656 mg/dl; HbA1c 11,6%. Die Diagnose: Pneumokokken-Pneumonie beidseits mit Sepsis, hyperosmolarem Koma bei nicht behandeltem Typ-2-Diabetes und akutem prärenalem Nierenversagen.
Unter lungenprotektiver Beatmung, Volumensubstitution und Katecholamin-Gabe, intravenöser Antibiose (Tazobac und Clarithromycin) und Blutzuckersenkung via Insulinperfusor gelingt die allmähliche Stabilisierung der Patientin.
An Tag 14 kommt es allerdings zu einer erneuten Verschlechterung und weiteren Komplikationen: Herpes-simplex-Pneumonie, Katheter-Sepsis, perkutane endoskopische Jejunostomie (PEJ) aufgrund gastrointestinaler Transportstörung. Nach fast zwei Monaten in der Klinik kann die Patientin im Zustand einer Critical-Illness-Polyneuropathie (CIP) in die Frührehabilitation verlegt werden.
Fall 2 verläuft nicht ganz so dramatisch: Eine adipöse 51-jährige Diabetes-Patientin erleidet ebenfalls eine Pneumokokken-Pneumonie mit Sepsis und respiratorischer Insuffizienz. Ihr Blutzucker ist mit 202 mg/dl nicht so extrem erhöht wie im ersten Fall. Nach intravenöser Antibiose, Volumensubstitution, nicht-invasiver Beatmung und subkutan verabreichtem Insulin bessert sich ihr klinischer Zustand. Allerdings bleibt der CRP-Wert deutlich erhöht. Der Grund: ein gekammertes Empyem, das mit Drainage und video-assistierter thoraskopischer Lobektomie (VATS) erfolgreich behandelt wird.
Die geschilderten Fälle veranschaulichen, was das erhöhte Pneumonie- und Komplikationsrisiko für Diabetes-Patienten aus klinischer Sicht bedeutet. Festzuhalten bleibt: Der Diabetes ist per se als Risikofaktor für einen schweren Pneumonie-Verlauf einzuordnen. Typischerweise kommt es dabei zu rezidivierenden Hyper- und Hypoglykämien, schwerer Exsikkose mit prärenalem Nierenversagen und zu weiteren Komplikationen.
Interessant sind die CAPNETZ-Daten von über 6.000 Pneumonie-Patienten mit ambulant erworbener Pneumonie (CAP), 1.000 davon mit Diabetes, die Becker darstellte:
Kumulative Mortalität der Lungenentzündung (ungefähre Werte, jeweils drei Monate nach der Erstuntersuchung):
Die Mortalität unter den Pneumonie-Patienten hängt also von der Glukose-Konzentration im Blut ab. Bei einem Wert von 108 mg/dl liegt sie in der CAPNETZ-Auswertung bei etwa 3%, bei 78 mg/dl nochmal deutlich niedriger. Bei Aufnahme des Patienten ist Becker zufolge ein BZ-Wert unter 200 mg/dl anzustreben.
Übertreiben sollte man es aber auch nicht: Wie eine frühere Untersuchung ergab, verschlechtert eine ultrastraffe BZ-Einstellung auf der Intensivstation die Überlebenswahrscheinlichkeit im Vergleich zum üblichen Vorgehen.
Ein schlecht eingestellter Blutzucker von > 250 mg/dl ist mit einer Odds Ratio (OR) von fast 6 der stärkste Risikofaktor für einen tödlichen Ausgang der Pneumonie. In einen ähnlichen Bereich kommen zerebrovaskuläre Erkrankungen (OR ca. 5,3). Es folgen Herzinsuffizienz (OR fast 4), Diabetes (OR fast 3) und Malignom (OR ca. 2,3), während von Atemwegserkrankungen kein besonderes Bedrohungspotenzial ausgeht (OR ca. 1,2).
Auch jenseits der Pneumonie gerät die Lunge als ein Manifestationsort für Folgeschäden der Diabetes-Erkrankung (oder ihrer Behandlung) zunehmend in den Fokus der Betrachtung, ebenso wie die Wechselbeziehungen zwischen Lunge und Metabolismus. Außer in diesem Blog (Triggern inhalative Kortikosteroide den Diabetes?, Adipositas-Epidemie: Ist kindliches Asthma ein Risikofaktor?) finden Sie dazu auch im Atemwege-Blog diverse Beiträge, die einen Abstecher dorthin lohnen könnten, etwa ganz aktuell: Lungenfibrose – eine unterschätzte diabetische Folgeerkrankung?.
Aktuelle Expertenbeiträge zu diesem Thema lesen Sie jede Woche neu im esanum Diabetes Blog.
Abkürzungen/Links:
CAP = Community Acquired Pneumonia
CAPNETZ = Kompetenznetz Ambulant Erworbene Pneumonie (Website)
STIKO = Ständige Impfkommission (Aktualisierte Empfehlung zur Pneumokokken-Impfung)
Referenz:
Becker HF. Pneumonie und Diabetes mellitus. Symposium „Diabetes und Pneumologie“ der Deutschen Diabetes Gesellschaft zusammen mit der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin beim Diabetes Kongress 2017. Hamburg, 25. Mai 2017.