Daten, Daten, Daten – die DSGVO geht alle Ärzte an, Semaglutid vorrangig die diabetologisch interessierten …
Wofür ist der Marker "M30" gut? Falls Sie es noch nicht wissen sollten, lesen Sie bitte (nochmal) den ersten Teil dieses Blogbeitrags. Bevor wir uns zwei anderen Themen aus der esanum-Berichterstattung zum Diabetes Kongress 2018 zuwenden, hier noch ein kurzer Schlenker mit hohem Aktualitäts- und Praxisbezug – nämlich zu der in diesen Tagen nicht nur omnipräsenten, sondern auch unausweichlichen Frage: Was ist mit den Daten?
In seiner M30-Poster-Präsentation weist der Referent in einer Nebenbemerkung darauf hin, dass die Patienten der dargestellten Vergleichsanalyse am Herz- und Diabeteszentrum Nordrhein-Westfalen der Ruhr-Universität Bochum regelhaft behandelt wurden. Außerdem sind sie "in einer Biodatenbank eingeschlossen worden und haben uns Material und Daten zur Analyse freigegeben". Ein sorgsames und einwilligungsabhängiges Datenmanagement ist in der klinischen Wissenschaft ja schon seit geraumer Zeit der übliche Standard.
Seit letzter Woche (25. Mai!) gilt die Pflicht zur Datentransparenz aber auch für fast jede Website, die Praxis-Homepage eingeschlossen. Stichwort DSGVO, Sie wissen (hoffentlich) Bescheid. Falls nicht, können Sie sich u.a. im Praxis-Tipps-Blog von esanum über die arztrelevanten Konsequenzen der neuen EU-Datenschutz-Grundverordnung informieren und mit den Kollegen diskutieren. BÄK und KBV haben im Deutschen Ärzteblatt kürzlich ihre Hinweise und Empfehlungen zu diesem Thema veröffentlicht. Falls Sie das Heft gerade nicht zur Hand haben, aber nachlesen wollen: Hier ist der PDF-Link.
Und damit kurz zu einer weiteren Posterpräsentation vom Diabetes Kongress, in der eine für die Praxis spannende Frage thematisiert wird: Wie wirkt sich Semaglutid auf das Körpergewicht von Patienten verschiedener Gewichtsklassen aus?
Präsentator ist Prof. Stephan Jacob (Villingen-Schwenningen), niedergelassener Diabetologe und früherer Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Diabetes und Herz der DDG. Das Poster entstammt der kardiovaskulären Endpunktstudie SUSTAIN-61, mit der das Risiko für Herz-Kreislauf-Ereignisse unter Therapie mit dem GLP-1-Rezeptor-Agonisten Semaglutid im Vergleich mit Placebo (jeweils plus Standardbehandlung) untersucht werden sollte.
Semaglutid ist seit diesem Jahr EU-weit zugelassen, aber noch nicht in Deutschland verfügbar. Es wird einmal wöchentlich subkutan appliziert. An der zweijährigen Studie nahmen über 3.000 Patienten teil, die zu 83 % entweder eine kardiovaskuläre Erkrankung oder eine chronische Nierenkrankheit oder beides aufwiesen. Das Ergebnis in der Semaglutid-Gruppe: 26 % weniger kardiovaskuläre Ereignisse (kardiovaskulärer Tod, Herzinfarkt oder Schlaganfall). Soweit, so schon publiziert.
Im Poster geht es nun um die Effekte von Semaglutid auf das Körpergewicht der Patienten. Diese haben über die Zeit recht gut abgenommen (3,6–4,9 kg im Mittel) und über zwei Jahre das reduzierte Gewicht halten können. "Besonders interessant" findet Jacob (und nicht nur er), dass die Patienten in der Placebo-Gruppe nicht, wie eigentlich zu erwarten, 1–2 kg zugenommen, sondern unter Placebo-Gabe im Mittel sogar ganz leicht abgenommen haben: + 1 kg in der Gruppe der Normalgewichtigen, -1,4 kg in der Gruppe der sehr Adipösen.
Unter Semaglutid war das Gewicht in allen Gewichtsgruppen reduziert: knapp 2,5 kg bei den Normalgewichtigen (also über 3 kg Differenz zu Placebo), über 3 kg bei den Übergewichtigen, ungefähr 4 kg bei den Patienten mit Adipositas und bis zu 7 kg bei denjenigen mit stark adipösem Ausgangsgewicht (BMI = 35) und hoher Semaglutid-Dosis.
Das ist nicht nur unter dem Aspekt der Gewichtsabnahme interessant, sondern auch noch aus einem anderen Grund: Als GLP-1-Rezeptor-Agonist erfordert Semaglutid u.a. eine Insulinsekretion, über deren Stimulation der blutzuckersenkende Effekt von GLP-1 maßgeblich vermittelt wird, neben einer Reduktion der Glucagonsekretion. Die Studienteilnehmer hatten eine durchschnittliche Diabetesdauer von 13–14 Jahren, "wo wir landläufig dachten, die Betazelle ist kaputt, wir müssen Insulin geben", so Jacob. "Das scheint ja doch nicht so der Fall zu sein, denn sonst hätten wir ja nicht diese Effekte", konkludiert der Experte.
Bemerkenswert findet Jacob auch, dass ein größerer Teil der Patienten sein Ausgangsgewicht um mehr als 5 % reduzieren konnte und damit in einer Größenordnung, wie sie im Adipositas-Management gefordert wird. Fast die Hälfte von ihnen hat die 5%-Marke nicht nur erreicht, sondern über zwei Jahre gehalten, insbesondere unter Gabe der höheren Semaglutid-Dosis.
Erneut ist hier der Blick auf die Placebo-Gruppe interessant, in der immerhin bei einem Fünftel der Teilnehmer ebenfalls eine 5%ige Gewichtsreduktion zu verzeichnen war. "Die haben sich offenbar besonders angestrengt", kommentiert Jacob. Die besonders effektive Gewichtsabnahme um 10 % wurde zu 20 % in der Semaglutid- und immerhin zu 6 % in der Placebo-Gruppe erreicht.
Haben die Leute vielleicht nur abgenommen, weil der GLP-1-Agonist eine leichte Übelkeit und Völlegefühl verursacht? Auch diese Fragestellung wurde untersucht und festgestellt, dass es dosisunabhängig jeweils zur gleichen Gewichtsreduktion kam, egal ob Übelkeit bestand oder nicht. "Spannend ist, dass auch eine substanzielle Zahl an placebobehandelten Leuten Übelkeit angegeben hat. Das ist halt der Placebo-Effekt", berichtet Jacob.
Fazit: Es ist "eine der positiven Nebenwirkungen" von Semaglutid, dass es einem relevanten Teil der Patienten gelingt, nicht nur ihr Körpergewicht zu mindern, sondern es dann auch über 2 Jahre zu halten.
Teil III des Beitrags folgt.
Aktuelle Expertenbeiträge zu diesem Thema lesen Sie jede Woche neu im esanum Diabetes Blog.
Referenz:
1. Marso SP et al. Semaglutide and Cardiovascular Outcomes in Patients with Type 2 Diabetes. N Engl J Med 2016;375:1834-44
Abkürzungen:
BÄK = Bundesärztekammer
DDG = Deutsche Diabetes Gesellschaft
KBV = Kassenärztliche Bundesvereinigung