Rauchstopp, KI-gestützte Diagnostik der diabetischen Retinopathie und neue Erkenntnisse zum Wirkmechanismus von Metformin – das sind die Themen des ersten Blogbeitrags im neuen Jahr.
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
wir wünschen Ihnen alles Gute für 2019 und begrüßen Sie nach dem Jahreswechsel wieder ganz herzlich in unserem Diabetes-Blog, der nun immerhin schon in sein drittes Jahr geht.
Die beliebte Frage nach den Vorsätzen stellen wir jetzt nicht, reichen dafür aber quasi noch eine frohe Botschaft nach: Rauchstopp lohnt sich immer! Die Auswertung dreier US-amerikanischer Kohortenstudien entkräftet den Verdacht bzw. das Argument bzw. die Befürchtung, eine Gewichtszunahme nach dem Rauchstopp würde dessen Gesundheitseffekte aushebeln. Die Studie1 wurde vom NIH finanziert, im New England Journal of Medicine publiziert und im Diabetes Journal Club auf esanum referiert.
Und sonst? In seinem Jahresrückblick "Eric Topol's Top Advances in 2018 That Are Shaping Medicine" hat der Medscape-Chefredakteur für 2018 – statt einer Top-10-Liste wie üblich –drei besonders dynamische und aufmerksamkeitsstarke Bereiche mit Transformationspotenzial hervorgehoben: die Genom-Editierung, die künstliche Intelligenz (KI) und das Darmmikrobiom.
Falls Sie ihn nicht kennen sollten: Prof. Eric Topol hat einen Lehrstuhl für Molekularmedizin am Scripps Research Translational Institute im kalifornischen La Jolla, das er gegründet hat und leitet. Außerdem arbeitet er als Kardiologe an der Scripps Clinic und wurde in einer Umfrage in den USA 2012 zum einflussreichsten Arzt gewählt.
In dem lesenswerten Beitrag finden sich zwei diabetologisch relevante "Highlights", einmal die KI, zum anderen die Darmmikroben betreffend.
Im April 2018 wurde von der FDA das erste KI-gestützte Diagnosesystem zum Screening auf diabetische Retinopathie zugelassen. Nach Herstellerangaben handelt es sich bei dem Programm IDx-DR um die erste FDA-Zulassung für eine autonom agierende, selbstlernende klinische Software überhaupt. Damit kann die Augenuntersuchung durch medizinisches Assistenzpersonal in der hausärztlichen Versorgung, etwa die Sprechstundenhilfe, durchgeführt werden. Die Befundinterpretation übernimmt ein cloudbasierter Algorithmus mit nahezu 90%iger Sensitivität und Spezifität.
Grundlage für die FDA-Zulassung ist eine prospektive Studie2 mit 900 rekrutierten Diabetes-Patienten in zehn allgemeinmedizinischen Praxen. Der Erstautor Prof. Michael Abràmoff (Universität Iowa, USA) hat das Unternehmen IDx nach Angaben auf der Firmen-Website 2010 gegründet. Ausgangspunkt für seine unternehmerische Vision waren die eigenen Erfahrungen, die er vor zwei Jahrzehnten als praktizierender Augenarzt in den Niederlanden machte. Das Retinopathie-Screening erschien ihm zu ineffizient.
Wie Topol anmerkt, waren die bisherigen Studien zum medizinischen KI-Einsatz vor allem retrospektiver Natur, führten aber dennoch zu zahlreichen FDA-Zulassungen, vor allem für tieflernende Algorithmen zur radiologischen Befundinterpretation. Dabei ist für eine zuverlässige Entscheidungsgrundlage eine prospektive Evaluierung unter realen klinischen Bedingungen sehr wichtig. Darauf weist Topol als Co-Autor in einem begleitenden Editorial zur Studie hin.3 Die Studienautoren hatten festgestellt, dass die Gesamt-Sensitivität des IDx-DR-Systems bei Testung an einem Validierungsdatensatz 97% betrug und damit höher lag als die im prospektiven Ansatz beobachteten 87,2%.
Gleichwohl übertraf das KI-System auch prospektiv alle präspezifizierten Überlegenheitsendpunkte hinsichtlich der Diagnose einer mindestens moderaten diabetischen Retinopathie mit einer Sensitivität von 87,2, einer Spezifität von 90,7% und einer Bildgebungsrate von 96,1%. Ein weiterer Pluspunkt: Patienten, bei denen eine sofortige augenärztliche Konsultation nötig war, wurden mit einer Sensitivität von 97,6% identifiziert.
In Europa ist IDx-DR als Medizinprodukt zugelassen (Klasse IIa) und kommt, u. a. in den Niederlanden und in Österreich, in einigen Projekten zum Einsatz, wie auf E-Health-Com zu lesen ist. Dort wird auch auf einen österreichischen Übersichtsbeitrag4 in der Fachzeitschrift Progress in Retinal and Eye Research hingewiesen. Darin wird das Verschwinden des Augen-Screenings aus der medizinischen Primärversorgung prophezeit – zugunsten von "Augenuntersuchungsboxen", die irgendwann ähnlich wie Passbildautomaten einen personalfreien Augen-Scan in Eigenregie des Patienten ermöglichen könnten. Wird vermutlich noch etwas dauern, klingt aber spannend. Man wird sehen.
Für Topol (und nicht nur für ihn) ist jedenfalls klar: Kein Arzt wird vom Potenzial der algorithmischen Unterstützung verschont bleiben …
Der andere Topol-Hinweis ("for the surprise factor") mit Diabetesbezug betrifft Metformin: In einem Beitrag in Nature Medicine5 wird gezeigt, dass das Diabetes-Medikament der ersten Wahl seine Wirkung zu einem relevanten Anteil über das Darmmikrobiom entfaltet. Und zwar über eine Bacteroides fragilis-GUDCA-intestinales FXR-Achse. Die Autoren betonen die möglichen klinischen Implikationen ihrer Erkenntnisse und den potenziellen Translationsnutzen für die Therapie des Typ-2-Diabetes in Form einer oralen GUDCA-Supplementation oder eines synthetischen FXR-Antagonisten. Darüber wird vermutlich noch zu sprechen bzw. zu schreiben sein …
Aktuelle Expertenbeiträge zu diesem Thema lesen Sie jede Woche neu im esanum Diabetes Blog.
Referenzen:
1. Hu Y et al. Smoking Cessation, Weight Change, Type 2 Diabetes, and Mortality. N Engl J Med 2018;379:623-32. doi:10.1056/NEJMoa1803626
2. Abràmoff MD et al. Pivotal trial of an autonomous AI-based diagnostic system for detection fo diabetic retinopathy in primary care offices. Nature Digital Medicine 2018; 1:39.
3. Keane PA, Topol E. With an eye to AI and autonomous diagnosis. Nature Digital Medicine 2018;1:40.
4. Schmidt-Erfurth U et al. Artificial intelligence in retina. Progress in Retinal and Eye Research 2018;67:1-29. https://doi.org/10.1016/j.preteyeres.2018.07.004
5. Sun L et al. Gut microbiota and intestinal FXR mediate the clinical benefits of metformin. Nat Med 2018;24:1919–29.
Abkürzungen:
FDA = U. S. Food and Drug Administration
FXR = Farnesoid-X-Rezeptor
GUDCA = Glykoursodesoxycholsäure