Ist zum Screening auf Typ-2-Diabetes bei übergewichtigen Kindern und Jugendlichen der orale Glukosetoleranztest oder der HbA1c-Wert besser geeignet? Eine aktuelle deutsche Studie gibt darauf eine Antwort.
Wir fangen mal etwas anders an als sonst. Der Fortschritt macht ja auch vor den Medien nicht Halt, in denen es um den medizinischen Fortschritt geht. Fortschritt heißt in diesem Fall vor allem – dem Zeitgeist geschuldet – verbesserter Nutzwert für den schnellen Leser. Und so finden sich in den bekannten und den weniger bekannten Journals neben dem traditionellen Abstract-Format auch Elemente mit zusammenfassenden Relevanz-Aussagen der publizierten Studie. Im Fall der Arbeit, über die wir hier kurz berichten wollen, liest sich das mit den beiden folgenden Absätzen (übersetzt und leicht modifiziert) so:
Was bekannt ist: Die Prävalenz der Adipositas nimmt zu. Im Zusammenhang mit Typ-2-Diabetes können sich dabei ernsthafte Gesundheitsprobleme ergeben. Wie ein optimaler Screening-Test zur Erfassung von Diabetes bei adipösen Jugendlichen beschaffen sein sollte, wird in der Literatur allerdings kontrovers diskutiert.
Was neu ist: In dieser Studie wurden als optimale Grenzwerte zur Diabetes-Erkennung ermittelt:
Bei übergewichtigen Kindern und Jugendlichen scheint der HbA1c-Wert ein verlässlicheres Screening-Instrument zu sein als der orale Glukosetoleranztest (oGTT).
Damit ist das wesentliche Ergebnis der Studie auf den Punkt gebracht. Ausgewertet wurden dafür die Daten von insgesamt fast 4.900 übergewichtigen Kindern und Jugendlichen (mittleres Alter: 13 Jahre) ohne zuvor bekannten Diabetes. Datenlieferanten waren sechs große pädiatrisch-endokrinologische Einrichtungen in Deutschland.
Diabetes bei Kindern zu diagnostizieren, war früher eine vergleichsweise einfache Aufgabe. Die Kombination aus Diabetes-spezifischen Symptomen und Blutzuckerwerten über 200 mg/dl bzw. 11,1 mmol/l reichte dafür aus. Im Regelfall wurde von einem Typ-1-Diabetes ausgegangen.
Mit den heutigen Ernährungs- und Bewegungsgewohnheiten hat sich die Lage geändert. Der Begriff des “Altersdiabetes“ ist out, das Risiko für die schleichende Entwicklung eines Typ-2-Diabetes wächst heute bereits in Kindheitszeiten. Die geeigneten Screening-Methoden werden allerdings kontrovers diskutiert.
Die Autoren aus der Arbeitsgemeinschaft “Adipositas im Kindes- und Jugendalter“ wollten deshalb
Einschlusskriterien waren ein erhöhtes Gewicht (16 Prozent übergewichtig, 46 Prozent adipös und 40 Prozent extrem adipös) sowie oGTT und HbA1c-Messung am selben Tag. Beide Verfahren führten zu unterschiedlichen Detektionsergebnissen und signifikanten Differenzen bei der Klassifizierung des Glukosetoleranz-Status.
Auf eine Darstellung des umfangreichen Daten-Pools zu den verschiedenen Sensitivitäten und Spezifitäten der unterschiedlichen Screening-Methoden wollen wir hier verzichten. Die labordiagnostische Gemengelage ist komplex, mal ganz abgesehen von der Heterogenität an Methoden und Referenz- bzw. Grenzwerten in unterschiedlichen Studien.
In der vorliegenden Arbeit wurde beispielsweise mit dem HbA1c-Grenzwert ≥ 6,5 Prozent initial nur knapp ein Drittel der Fälle mit pathologischem oGTT identifiziert. Seine Aussagekraft scheint also vor allem in der prädiabetischen Stoffwechselsituation recht begrenzt zu sein. Mit einem HbA1c-Grenzwert von 5,0 Prozent könnten zwar alle Fälle erfasst werden, allerdings nur auf Kosten einer inakzeptabel hohen Rate an falsch positiven Ergebnissen.
Bei gemeinsamer Anwendung der oGTT- und HbA1c-Kriterien wurden in der Studie 115 Diabetes-Fälle identifiziert. Davon wurde im weiteren Verlauf weniger als die Hälfte bestätigt. 50 Personen und damit 1 Prozent des Studienkollektivs entwickelten wirklich einen manifesten Diabetes, darunter 38mal Typ 2, 8mal Typ 1 und 4mal MODY. In einem Viertel der Fälle handelte es also nicht um einen Typ-2-Diabetes, was wiederum therapeutisch relevant ist.
Unklar bleibt weiterhin, welche prognostische Bedeutung ein gestörter Nüchternblutzucker oder eine gestörte Glukosetoleranz in diesem jungen Alter hinsichtlich der Entwicklung eines Typ-2-Diabetes tatsächlich haben.
Festzuhalten sind vor allem zwei Dinge:
“Dennoch wird bestätigt, was man als Diabetologe schon lange im Gefühl hat, nämlich dass der oGTT nicht das optimale Screening-Instrument ist“, kommentiert PD Dr. Thomas Kapellen2 von der Diabetes-Ambulanz für Kinder und Jugendliche am Uniklinikum Leipzig.
In dieser Studie war der jüngste Patient mit Typ-2-Diabetes übrigens 11 Jahre alt. Die amerikanische Diabetes-Gesellschaft (American Diabetes Association, ADA) empfiehlt auch, mit dem Testen bei asymptomatischen Kindern im Alter von 10 Jahren zu starten bzw. mit Pubertätsbeginn, falls dieser früher erfolgt.
Was es braucht, um die Screening-Evidenz zu verbessern, sind prospektive populationsbasierte Studien, die auch ethnische Unterschiede berücksichtigen. Die jährliche Beobachtung in einer großangelegten, multizentrischen Kohorte ab dem 10. Lebensjahr könnte zudem wertvolle Hinweise für die Beurteilung von prädiabetischen Parametern liefern.
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