In Kürze steht die Entscheidung an, ob Dapagliflozin und Sotagliflozin als Add-on-Therapeutika beim Typ-1-Diabetes in Europa zugelassen werden.
Wir knüpfen an den letzten Beitrag an, dessen Thema der Vergleich zwischen SGLT-2-Hemmern und GLP1-Rezeptoragonisten hinsichtlich des Amputations- und Ketoserisikos war. Bisher drehte sich bei der Inhibition des insulinunabhängigen Natrium-Glukose-Cotransporters alles um SGLT-2 und die Verhinderung der renalen Glukose-Rückresorption – und das bei Patienten mit Typ-2-Diabetes. Beides könnte sich bald ändern.
Mit dem dualen SGLT-1/2-Inhibitor Sotagliflozin wird auch das Cotransporter-Protein SGLT-1 addressiert. Es fungiert in der Dünndarmschleimhaut als primärer Transporter für die Glukose- und Galaktoseabsorption. In der Niere findet sich SGLT-1 im Gegensatz zu SGLT-2 im spät- statt frühproximalen Nierentubulus und transportiert dort nicht nur ein, sondern zwei Moleküle Natrium im Symport mit Glukose.
Sotagliflozin wurde von vornherein für den begleitenden Einsatz zur Insulintherapie bei erwachsenen Patienten mit Typ-1-Diabetes entwickelt. In das klinische Studienprogramm Tandem (1–3) wurden neben Typ-1- auch Typ-2-Diabetiker einbezogen. Die bisherigen Daten zeigen eine gegenüber Placebo verbesserte glykämische Kontrolle sowie signifikante Abnahmen beim Körpergewicht und beim systolischen Blutdruck. Die Wirksamkeit blieb dabei auch bei niedrigeren glomerulären Filtrationsraten ohne Zunahme von Hypoglykämien bestehen. Das beobachtete Sicherheitsprofil ist konsistent mit dem, was man bisher von der SGLT-Klasse kennt.
Sotagliflozin wird deshalb als neue Therapieoption mit nutzenstiftendem Potenzial bei Typ-1- und möglicherweise auch bei Typ-2-Diabetes gesehen, wie Prof. Thomas Danne und Kollegen (Auf der Bult, Hannover) in einem im Juni erschienen Übersichtsbeitrag resümieren.1 Der Hersteller Sanofi teilte bereits im April dieses Jahres mit, dass die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) den Antrag auf Marktzulassung für Sotagliflozin angenommen hat.2
In der Tandem-3-Studie mit rund 1.400 insulinbehandelten T1D-Patienten bestand der primäre Endpunkt in einem HbA1c < 7% nach 24 Wochen ohne Episoden einer schweren Hypoglykämie oder diabetischen Ketoazidose (DKA). Dieser Endpunkt wurde unter Sotagliflozin bei fast 29% der Patienten erreicht, gegenüber 15% unter Plazebo. Allerdings war die DKA-Rate im Sotagliflozin-Arm höher als in der Placebo-Gruppe.3
Das im New England Journal of Medicine publizierte Studienergebnis kommentierte PD Dr. Rainer Lundershausen (Diabeteszentrum Erfurt) im Deutschen Ärzteblatt unter anderem so: "In der Tandem-3-Studie konnte ebenso wie in den Tandem-1- und -2-Studien mit Sotagliflozin die bessere glykämische Kontrolle bei weniger Hypoglykämien nachgewiesen werden. Ähnliche Ergebnisse sind aus dem DEPICT-Studienprogramm mit Dapagliflozin bekannt. Einschränkend wirkt aber das bislang in allen Studien nachweisbare höhere Risiko für Genitalinfektionen und euglykämische ketoazidotische Entgleisungen. Möglicherweise sind diese Risiken durch gezieltere Schulungen der Patienten zu reduzieren."4
Das erhöhte Risiko einer euglykämischen Ketoazidose kennt man von allen zugelassenen SGLT-2-Hemmern (siehe letzter Blog-Beitrag). Zu den Triggerfaktoren zählen: Reduktion der Insulindosis, niedrige Kalorien- und Flüssigkeitszufuhr, interkurrente Erkrankungen und Alkoholkonsum. Im oben erwähnten Review betonen Danne und seine zwei Coautoren, dass die DKA bei angemessener Patientenschulung feststellbar und handhabbar sei. 1
Laut dem DGE-Blogger Prof. Helmut Schatz sehen das "die meisten Studienautoren" so. In einem Beitrag5, den er kürzlich vor der Teilnahme an einem Meeting bei der EMA in London postete, gab sich der Experte selbst etwas kritischer. Thema des EMA-Termins war die anstehende Entscheidung über die Zulassung von Dapagliflozin (AstraZeneca) und Sotagliflozin (Sanofi) als Add-on zur Insulintherapie bei Typ-1-Diabetes. Eine Ad-hoc-Expertengruppe sollte neue Daten der beiden Hersteller präsentiert bekommen und sich anschließend dazu äußern, was das Committee for Medicinal Products for Human Use (CHMP) der EMA mit Blick auf eine Zulassung durch die Europäische Kommission empfehlen möge. Eine Entscheidung wird es wohl frühestens Anfang 2019 geben.
Noch hat Schatz leider nichts über die präsentierten Neuigkeiten und den Ausgang der Expertenrunde in seinem Blog mitgeteilt (was er möglicherweise auch gar nicht darf). Es wäre sehr interessant zu erfahren, ob sich an seiner vorab geäußerten Meinung, "dass man (…) eher zurückhaltend bei einer Zulassungsempfehlung von Dapagliflozin und Sotagliflozin sein solle", inzwischen etwas geändert hat. In einem Leserkommentar äußert sich (Prof.) Wolfgang Kerner noch drastischer: "Ich persönlich halte es momentan für einen Kunstfehler, SGLT-Hemmer beim Typ-1-Diabetes einzusetzen."
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Referenzen:
1. Danne T et al. Combined SGLT1 and SGLT2 Inhibitors and Their Role in Diabetes Care. Diabetes Technol Ther. 2018 Jun;20(S2):S269-S277. doi: 10.1089/dia.2018.0081
2. EMA prüft Marktzulassung von Sotagliflozin. Äzte Zeitung Online, 11.04.2018 (aerztezeitung.de; Zugriff am 11.12.2018)
3. Garg SK, et al. Effects of Sotagliflozin Added to Insulin in Patients with Type 1 Diabetes. N Engl J Med 2017; 377:2337-48. doi: 10.1056/NEJMoa1708337
4. Eckert N. Typ-1-Diabetes bei Erwachsenen: SGLT1/2-Hemmer zusätzlich zu Insulin verbessert die glykämische Kontrolle. Dtsch Arztebl 2017;114(50):A-2412
5. Schatz H. SGLT1/2-Inhibitoren: Auch den Typ-1-Diabetes zusätzlich zu Insulin mit Hemmern der renalen Glukoserückresorption behandeln? Medizinische Kurznachrichten der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie (blog.endokrinologie.net; Zugriff am 11.12.2018)