Eine Seilschaft, von der die ersten vier Mitglieder zu sehen sind, strebt auf einem schneebedeckten Grat dem markanten Gipfel zu, der in den tiefblauen, wolkenlosen Himmel ragt – ein imposantes, stimulierendes Bild. Kommt es Ihnen irgendwie bekannt vor?
Könnte sein. Denn das Bildmotiv ziert als Hingucker den Einladungsflyer, die Werbeplakate und das Hauptprogramm für den Diabetes Kongress 2017. Die 52. Jahrestagung der Deutschen Diabetes Gesellschaft findet vom 24. bis 27. Mai in Hamburg statt. Ihr Motto: "Fortschritt für unsere Patienten".
Das Kongress-Motto und die Programmvorbereitung gehen zurück auf den ehemaligen DDG-Präsidenten Prof. Stephan Matthaei, der als eigentlich vorgesehener Tagungspräsident am 1. April 2017 überraschend verstorben ist. DDG und diabetesDE würdigen in einem Nachruf den "außergewöhnlichen Diabetologen". An seiner Stelle haben nun die DDG-Vorstandsmitglieder Prof. Annette Schürmann (Potsdam-Rehbrücke) und Prof. Dirk Müller-Wieland die Tagungspräsidentschaft übernommen.
"Fortschritt für unsere Patienten" – was ist darunter eigentlich zu verstehen? Politisch sieht das naturgemäß DDG-Präsident Prof. Baptist Gallwitz (Tübingen), wenn er in seinem Grußwort zum Kongress zu den drei Kernthemen Folgendes anmerkt: Es gehe dabei auch um "gesundheitspolitische Fragen rund um Versorgung, Qualität und Strukturen sowie den Nationalen Diabetesplan, um Rahmenbedingungen schaffen zu können, die zu einer deutlich besseren Prävention und Behandlung – und damit zum Fortschritt für unsere Patienten – führen."
Die drei Kernthemen lauten übrigens:
Typische Formulierungen auf der Meta-Ebene. Viele akademisch klingende Fremdwörter, wenig konkret Fassbares. Zugegeben, wenn man sich einen Überblick über die Lage verschaffen und möglichst weit über den Horizont schauen möchte, ist die Aussicht von der Gipfelhöhe natürlich nicht verkehrt. Und die Leitfragen einer großen Jahrestagung müssen zwangsläufig großflächig und allgemeingültig genug formuliert werden, um die Vielzahl an Einzelthemen und Interessenlagen innerhalb einer Fachgesellschaft und ihres Fachgebiets einbinden zu können.
Auf die Ebene der täglichen Praxis heruntergebrochen, dort, wo Sie agieren, geht es aber um ganz konkrete Fortschritte für die Patienten – um die wir uns kümmern, die deshalb aber nicht "unsere" sind, jedenfalls nicht im althergebrachten bevormundenden Sinn.
Unter der Überschrift "Bitte runter vom hohen Ross!" reflektierte kürzlich Prof. Peter Schwarz (Dresden) in der Info Diabetologie über das Kongress-Motto. Er verweist auf Studienergebnisse, die zeigen, "dass beim gleichen Angebot von therapeutischen Optionen das Ausrichten der Maßnahmen auf die Bedürfnisse der Patienten 30-40% mehr Effekt erzielt". In der HIV/AIDS-Szene etwa zeichne sich ein anderes, dynamischeres Bild ab als in der Diabetologie: "Da sind die Patienten aktiver als jeder Arzt."
Andererseits sind die Chancen auf größere Präventions- und Therapieerfolge gerade im Diabetes-Bereich deutlich gestiegen: "Wir sind heute viel näher dran am Patienten, als wir es je gewesen sind. Betrachtet man Smartphone-Apps als Interventionsinstrument, sind wir sogar permanent in der Hosentasche, Handtasche, auf dem Nachttisch und beim Nachtisch des Patienten dabei."
Schwarz wirbt dafür, erst einmal die Patienten zu fragen, was sie wirklich wollen, und sich nicht auf der "Errungenschaft, Blutzucker zu senken" auszuruhen. Da könnte die Antwort häufig lauten: "Mir sind Dinge wichtig, die mit Diabetes gar nichts zu tun haben."
Wir vermuten, dass Sie Ihre Patienten durchaus dazu befragen, was ihnen wichtig ist und welche Fortschritte sie sich wünschen. Und das Ihr Verständnis der praktischen Implikationen des DDG-Kongress-Mottos etwas konkreter ausfällt als das Fazit des Präventions-Wissenschaftlers: "Fortschritt für Diabetespatienten bedeutet also eigentlich, den Einzelnen nach seinen Bedürfnissen und Präferenzen zu behandeln." Aha.
Deshalb fragen wir Sie: Was heißt für Sie "Fortschritt für unsere Patienten"? Wir freuen uns auf eine lebhafte Diskussion, vielleicht auch beim Kongress in Hamburg.
Aktuelle Expertenbeiträge zu diesem Thema lesen Sie jede Woche neu im esanum Diabetes Blog.
Referenz: Schwarz PEH. Was heißt: "Fortschritt für unsere Patienten"? Bitte runter vom hohen Ross!Info Diabetologie 2017;11(2):3.