Medizin durften wir Frauen allerdings lange nicht studieren. Wenn man sich für ein Studium der Medizin anmelden wollte, erhielt man in alten Zeiten zum Beispiel von der Universität Würzburg folgende Antwort: "Die Verleihung der Universitätsmatrikel ist an die Voraussetzung des männlichen Geschlechts geknüpft." Erst im April 1899 hat der Bundesrat beschlossen, Frauen im Deutschen Reich zum Medizin-, Zahnmedizin- und Pharmaziestudium zuzulassen. Dennoch sträubten sich einzelne Länder und Fakultäten noch lange dagegen. In Preußen wurden die ersten Medizinstudentinnen 1908/1909 zugelassen.
Die Widerstände in der Gesellschaft waren riesig. Zum Beispiel formulierte der Hochschullehrer für Anatomie Prof. Theodor von Bischoff: "Die Beschäftigung mit dem Studium und die Ausübung der Medicin widerstreitet und verletzt die besten und edelsten Seiten der weiblichen Natur, die Sittsamkeit, die Schamhaftigkeit, Mitgefühl und Barmherzigkeit, durch welche sich dieselbe vor der männlichen auszeichnet." Der Reformator Martin Luther hatte dazu eine klare Haltung geliefert: "Es ist kein Rock noch Kleid, das einer Frau oder Jungfrauen übeler anstehet, als wenn sie klug sein will."
Man muss sich daher nicht wundern, dass 1900 der Arzt Paul J. Möbius "Ueber den physiologischen Schwachsinn des Weibes" publizierte. Und der Autor Max Funke fragte 1910 in seinen Schriften: "Sind Weiber Menschen?" - und beantwortete sich die Frage auch gleich selbst. Natürlich waren sie es nicht! "Mulieres homines non sunt!" und zwar "auf Grund wissenschaftlicher Quellen". Das alles können wir uns heute fast nicht mehr vorstellen.
Weil kluge Frauen und Männer dafür gekämpft haben, dass sich etwas ändert, konnte ich weniger als 100 Jahre nach der ersten Frau in Berlin 2004 beginnen, Medizin zu studieren. Meine Kommilitoninnen und ich fanden das selbstverständlich und wären nicht im Traum darauf gekommen, dass das jemals anders war. Also alles gut? Leider nein!
Die Residuen aus den vorangegangenen Strukturen bleiben uns heute noch. Denn es gibt den "Gender Care Gap". Dieser ist ein Maß für die Gleichstellung der Geschlechter. Kindererziehung, Pflege von Angehörigen, Hausarbeit, Ehrenamt: Frauen wenden pro Tag im Durchschnitt 52,4 Prozent mehr Zeit für unbezahlte Sorgearbeit auf als Männer, schreibt das Bundesministerium für Familie, Seniorinnen, Frauen und Jugend. Das wird als "Gender Care Gap" bezeichnet. Frauen arbeiten bezahlt in ihren Berufen und leisten zusätzlich deutlich mehr unbezahlte Care Arbeit. Irgendetwas ist da wohl schiefgelaufen. Die Logik dieses Gender Care Gap erschließt sich nicht. Mit welcher Begründung leistet eine Frau mehr unbezahlte Care Arbeit? Ich habe noch keine gute Antwort darauf gefunden.
Eine Partnerschaft kann man auch als Team betrachten. Es ist daher eine berechtigte Frage: wie läuft die Arbeitsaufteilung bei uns im Team? Teilen wir die Elternschaft und den Haushalt gerecht? Und wenn nicht: muss das so bleiben? Es gehören immer zwei dazu. Die eine räumt die Spülmaschine ein, der andere lässt das Geschirr herumstehen. Individuell kann das ziemlich herausfordernd sein. Denn jede von uns sieht vielleicht Gründe, warum sie viel öfter die Geschirrspülmaschine ausräumt. Wenn zum Beispiel der Mann mehr verdient und sich zu Hause mehr erholen muss, ist die Frage: Warum verdient er mehr? Das ist der Teufelinnenkreis: Er verdient mehr, macht zu Hause weniger, kann umso mehr arbeiten und noch mehr verdienen. Aufwärtsspirale für den Mann, Abwärtsspirale für die Frau. Oder liegt der Einkommensunterschied vielleicht an der Teilzeitstelle der Frau? Weil sie mehr Zeit damit verbringt, die Spülmaschine zu bedienen? Vielleicht verdienen beide auch gleichviel und die Care Arbeit ist dennoch unterschiedlich verteilt. Es gibt Paare, die sich alle Leistungen der Care Arbeit in Excell Tabellen aufschreiben, um Gerechtigkeit zu schaffen. Das ist vielleicht nicht für jede etwas, dennoch bleibt die Frage: wessen Zeit ist mehr wert und wird höher geschätzt. Auch das ist die Entscheidung eines Teams bzw. eines Paares.
Wer sich in der Medizin selbst verwirklichen will, für den ist eine faire Aufteilung der Care Arbeit eine sehr gute Idee. Bei der Spülmaschine fängt die Durchsetzung der eigenen beruflichen Ziele an. Die Geschirrspülmaschine ist somit hochpolitisch. Und wenn man sich an der Geschirrspülmaschine durchsetzen kann, dann überall. Anders gesagt: Wer freiwillig mehr unbezahlte Care Arbeit leistet, darf sich nicht wundern, wenn die Gesellschaft insgesamt so ähnlich tickt – und wenn manche verwundert sind, wenn Frauen nicht auch im Beruf eine dienende Funktion übernehmen wollen. Geschlechtergerechtigkeit kann man am glaubwürdigsten fordern, wenn man sie mitgestaltet und lebt.
Auf dem Weg wünsche ich viel Erfolg!
Ihre Mandy Mangler