Die Rolle von Darmbakterien und deren Genen für die Multiple Sklerose

Die Prädisposition für eine Multiple Sklerose (MS) und deren Erkrankungsverlauf wird möglicherweise nicht nur von genetischen Konstellationen, sondern auch von der individuellen Darmflora beeinflusst, welcher eine Rolle für die Immunfunktion und autoimmune Störungen zugeschrieben wird.

Die Prädisposition für eine Multiple Sklerose (MS) und deren Erkrankungsverlauf wird möglicherweise nicht nur von genetischen Konstellationen, sondern auch von der individuellen Darmflora beeinflusst, welcher eine Rolle für die Immunfunktion und autoimmune Störungen zugeschrieben wird.

Mikroorganismen und ihre Produkte scheinen auf viele wichtige Funktionen ihrer Wirte Einfluss zu nehmen, wie die Verdauung, die Bereitstellung essenzieller Nährstoffe und Vitamine oder die Regulation des Immunsystems.1

Derzeit arbeitet ein internationales Team von Forschern an einer sehr großen und detaillierten Untersuchung über vier Jahre, der iMSMS (International MS Microbiome Study), die einen möglichen Einfluss des individuellen Mikrobioms auf die Prädisposition für MS, den Krankheitsprogress und das Therapieansprechen näher betrachten wird.

Was hat MS mit der Darmflora zu tun?

Erste Studienergebnisse deuten darauf hin, dass MS‑Patienten hinsichtlich der Zusammensetzung ihrer Darmbakterien von Gesunden abweichen.
Solche Untersuchungen sind technisch aufwendig und mit diversen Schwierigkeiten versehen, doch die neuesten Technologien versetzen uns allmählich in die Lage, den komplexen Wechselwirkungen zwischen unseren Untermietern und uns auf die Spur zu kommen. Aufgrund der Nichtinvasivität werden zumeist Stuhlproben gewonnen und mittels Gensequenzierung ausgewertet. Eine Limitation besteht hierbei darin, dass jeder Darmabschnitt ein anderes Mikroklima hat und eine Stuhlprobe nicht wiedergibt, woher die identifizierten Bakterien genau stammen und ob ihre Häufigkeit in der Probe den Verhältnissen anderer Lokalisationen im Darm entspricht.

Um den Einfluss anderer Variablen – etwa Genetik, Ernährungsgewohnheiten und Umwelt – auf die Darmflora soweit wie möglich zu trennen, wurden etliche Untersuchungen entweder mit gesunden Haushaltsmitgliedern von MS‑Patienten als Kontrollen durchgeführt oder an eineiigen Zwillingen. Obwohl eine genetische Komponente angenommen wird, erkranken nur bei einem Drittel der Zwillingspaare beide Geschwister an MS.2

Darmbakterien von MS‑Patienten aggravieren Autoimmun-Enzephalitis bei Mäusen

Unter anderem wurden Akkermansia muciniphila und Acinetobacter calcoaceticus bei MS‑Patienten häufiger gefunden. Sie modulieren menschliche T‑Zellen und lösen proinflammatorische Antworten aus. Im Unterschied dazu kamen Parabacteroides distasonis bei MS seltener vor. Diese stimulieren normalerweise antiinflammatorische Antworten, bspw. die Freisetzung von Interleukin (IL)‑10.
Stuhltransplantate solcher Patienten führten im Mausmodell der Autoimmun-Enzephalitis zu einer Exazerbation der Symptome und zu einer Abnahme von IL‑10-exprimierenden regulatorischen T‑Zellen.3

Auch Patienten mit einer anderen autoimmun-entzündlichen Erkrankung des ZNS, der Neuromyelitis optica, zeigten Auffälligkeiten in der Zusammensetzung ihrer Darmflora (Überzahl von Clostridium perfringens).4

Könnte die Darmflora zur Therapie der MS manipuliert werden?

Weitere Studien sind vonnöten, um herauszufinden, ob die beobachteten Veränderungen der Darmflora Ursache oder Produkt der MS‑Pathogenese sind. Auch Medikamente bei MS (disease modifying drugs) sorgen offenbar für eine veränderte enterale Flora. Erst wenn genau verstanden ist, wie und welche Darmbakterien Einfluss auf autoimmune Geschehen nehmen, könnte eine therapeutische Nutzung vorangebracht werden, etwa durch Fäkaltransplantate (wie bereits bei Clostridium dificile-Colitis angewendet) oder spezielle Probiotika. Außerhalb der iMSMS kam es bei drei Patienten, die aufgrund von Obstipation eine Stuhltransplantation erhielten, zu Verbesserungen ihrer MS‑Symptome.2

Insgesamt handelt es sich um ein spannendes und sehr relevantes Forschungsfeld – unterschiedlichste Phänomene werden inzwischen mit dem Gleichgewicht oder Ungleichgewicht der zahlreichen Mikroorganismen in unserem Körper in Verbindung gebracht, darunter die Reifung und Funktion des Immunsystems, das Auftreten von Allergien, Malignomen, Diabetes, entzündlichen Darmerkrankungen, Reizdarm-Syndrom, Übergewicht, Steatohepatitis, die Intensität menopausaler Symptome, das unter Antibiotika verminderte Ansprechen auf Immuntherapien und möglicherweise sogar unsere grundlegende Lebensspanne.2

Referenzen:
1. International MS Microbiome Study. IMSMS Available at: http://imsms.org/home (Accessed: 11th August 2018)
2. Burton, A. Multiple sclerosis: what’s it got to do with your guts? Lancet Neurol. 17, 207–208 (2018).
3. Cekanaviciute, E. et al. Gut bacteria from multiple sclerosis patients modulate human T cells and exacerbate symptoms in mouse models. Proc. Natl. Acad. Sci. U. S. A. 114, 10713–10718 (2017).
4. Cree, B. A. C., Spencer, C. M., Varrin-Doyer, M., Baranzini, S. E. & Zamvil, S. S. Gut microbiome analysis in neuromyelitis optica reveals overabundance of Clostridium perfringens. Ann. Neurol. 80, 443–447 (2016).