Fast track-Zulassung für Aducanumab nun doch erteilt – was war da los?

Die FDA hat das umstrittene Alzheimer-Medikament nun doch zugelassen – wider der Empfehlung ihres eigenen Beratungsausschusses. Drei Mitglieder haben das Expertenkomitee inzwischen verlassen.

Die FDA hat das umstrittene Alzheimer-Medikament nun doch zugelassen – wider der Empfehlung ihres eigenen Beratungsausschusses. Drei Mitglieder haben das Expertenkomitee inzwischen verlassen.

Aducanumab, ein monoklonaler Antikörper, der an lösliches und unlösliches Beta-Amyloid bindet, sorgte seit 2019 immer wieder für Schlagzeilen, wir berichteten. Der Hersteller Biogen brach seine zwei großen klinischen Phase-III-Studien Anfang 2019 zunächst vorzeitig ab, nachdem Zwischenanalysen ergeben hatten, dass der primäre Endpunkt (Verminderung der klinischen Verschlechterung) wahrscheinlich nicht erreicht würde. Der Fall schien erledigt. Und dann doch wieder nicht: in den drei Monaten zwischen der Fixierung des Datensatzes für die Futility-Analysen und der Bekanntgabe der Ergebnisse trafen weitere Daten ein. Wenig später gab Biogen bekannt, dass sich in einer Post hoc-Analyse dieses größeren Datensatzes bei Subgruppen von Behandelten nun doch ein positives Signal gezeigt habe und reichte den Zulassungsantrag ein.

Das Medikament, was (doch k)eine neue Ära für die Alzheimer-Therapie einläutet?

Im März sollte die Entscheidung fallen, die US-amerikanische Arzneimittelbehörde FDA verschob diese aus unklaren Gründen auf Juni. Für viele überraschend wurde am 7. Juni 2021 tatsächlich die Zulassung bekannt gegeben. Die FDA überging damit die Empfehlung des von ihr selbst beauftragten wissenschaftlichen Expertengremiums, das nach Durchsicht der Daten mit 8 zu 1 deutlich gegen die Zulassung gestimmt hatte (zwei weitere Mitglieder sagten, sie seien hinsichtlich der Wirksamkeit unsicher). Aus dem Komitee, dem sog. Peripheral and Central Nervous System Drugs Advisory Committee, sind im Zusammenhang mit diesem Zulassungsverfahren bereits drei Mitglieder ausgeschieden.1

Der Erste war bereits im Vorfeld Dr. David Knopman, ein klinischer Neurologe der renommierten Mayo Clinic in Rochester, Minnesota, der im vergangenen November von der geplanten Sitzung der externen Berater der FDA zu Aducanumab ausgeschlossen wurde, weil er an klinischen Studien zu dem Medikament beteiligt war.2 In einer Arbeit, die im Herbst letzten Jahres in der Zeitschrift Alzheimer's & Dementia veröffentlicht wurde, empfahl eine von ihm geleitete Autorengruppe weitere Studien und zog zunächst folgendes Fazit:
"Die Wirksamkeit von Aducanumab zur Behandlung der kognitiven Dysfunktion bei M. Alzheimer ist durch klinische Studien mit divergierenden Ergebnissen nicht belegbar."3
Medscape titelte damals: "FDA schließt Kritiker aus Prüfgremium für umstrittenes Alzheimer-Medikament aus."2
"Ich möchte [auch] in Zukunft nicht Teil eines Beratungsausschusses sein und so behandelt werden wie meine Kollegen, die im Beratungsausschuss für Aducanumab waren", äußerte Knopman kürzlich gegenüber Medscape Medical News.1

Nach Bekanntgabe der beschleunigten Zulassung traten nun zwei weitere Mitglieder aus dem Gremium aus, Prof. Aaron Kesselheim, von der Harvard Medical School in Boston sowie Prof. Joel Perlmutter, von der Washington University School of Medicine in St Louis.1 Kesselheim und zwei weitere, noch im Ausschuss amtierende Kollegen, begründeten ihre Nein-Stimme in einem im Journal of the American Medical Association veröffentlichten "Viewpoint".4 "Es gibt keinen Grund, die Studie mit dem positiven Signal in einer von zwei Behandlungsgruppen gegenüber der Studie mit dem negativen Ergebnis in beiden Behandlungsgruppen zu favorisieren".

Zahlreiche Einwände von Experten

Die magere Evidenz für die Wirksamkeit war dabei nicht die einzige Sorge. Auch Bedenken zu möglichen Nebenwirkungen, den enormen Kosten und möglichen Verzögerungen bei der Entwicklung anderer Therapien, die diese Zulassung verursachen könnte, spielten eine Rolle. "Aus diesen Gründen habe ich meine Mitgliedschaft in diesem Gremium niedergelegt", erklärte Perlmutter. 

Die Beseitigung von Amyloid in den Tiefen des Gehirns kann zu durchlässigen Gefäßen führen, woraus Hirnödeme und Mikrohämorrhagien resultieren können.
Aducanumab verursachte zudem bei vielen Studienteilnehmern abnormale, kleine, verstreute Läsionen im Gehirn (sog. ARIA für amyloid-related imaging abnormalities). Ob diese auch zu neurologischen Veränderungen führen, sei derzeit unklar.1
Die monatliche Infusion soll $56.000 pro Jahr und Patient kosten (die Kosten für das notwendige Monitoring auf Therapieerfolg und Nebenwirkungen nicht einberechnet),

Die eine Studie (Study 302) mit dem vermeintlich positiven Signal konnte die Mitglieder des Ausschusses zudem aufgrund möglicher methodischer Mängel nicht überzeugen. Dazu gehörten die Änderung des Studienprotokolls, die Tatsache, dass nicht alle Teilnehmer die Studie abschlossen, und die mögliche Entblindung von Patienten mit ARIA (die häufigste Nebenwirkung), da ARIA zusätzliche Bildgebung erfordert. Einige zogen auch die Validität der statistischen Schlussfolgerungen und die Konsistenz der Evidenz in Zweifel, berichtet Medscape.5

Normalerweise sind für die Zulassung eines Medikamentes zwei große Studien nötig, die zum selben Ergebnis kommen. "Aber bei dieser Sitzung hielt die FDA ihre Experten an, sich nur auf die positive Studie zu konzentrieren und sie präsentierte auch eine Analyse der Daten, die wirklich sehr günstig für das Medikament war. All das kam bei diesen Beratern nicht gut an", berichtete der Nachrichtendienst NPR.6 

Wie sehen weitere Experten diese Ereignisse? Lesen Sie nächste Woche mehr dazu in Teil 2.

Referenzen:
1. Two FDA Panel Members Resign Over Alzheimer’s Drug Approval. Medscape http://www.medscape.com/viewarticle/952802.
2. FDA Bars Critic From Review Panel of Biogen’s Controversial Alzheimer’s Drug. Medscape http://www.medscape.com/viewarticle/940175.
3. Knopman, D. S., Jones, D. T. & Greicius, M. D. Failure to demonstrate efficacy of aducanumab: An analysis of the EMERGE and ENGAGE trials as reported by Biogen, December 2019. Alzheimer’s & Dementia 17, 696–701 (2021).
4. Alexander, G. C., Emerson, S. & Kesselheim, A. S. Evaluation of Aducanumab for Alzheimer Disease: Scientific Evidence and Regulatory Review Involving Efficacy, Safety, and Futility. JAMA 325, 1717–1718 (2021).
5. Aducanumab’s Road to Approval Blocked. Medscape http://www.medscape.com/viewarticle/940572.
6. The FDA Has Approved A New Alzheimer’s Drug — Here’s Why That’s Controversial. NPR.org https://www.npr.org/2021/06/07/1003964235/fda-approves-controversial-alzheimers-drug-aducanumab.