Aktuelle Forschungsergebnisse beleuchten den Zusammenhang zwischen progredienter Altersschwerhörigkeit und der Entwicklung einer Demenz.
Viele werden es schon erlebt haben: wenn schwerhörige Patienten mit einem Hörgerät versorgt werden, sind sie anschließend zuweilen wie ausgewechselt. Symptome, die zuvor den Anschein einer Depression oder (Pseudo-) Demenz erweckten, gehe zurück, derjenige nimmt wieder an Gesprächen und anderen Geschehen teil, interessiert sich wieder für Dinge, die ihm früher Freude bereitet haben, wie Musik und Filme, und zuweilen blühen die Menschen wieder richtig auf.
Was aber passiert im Gehirn, wenn das Fehlen geistiger Stimulation und Verarmung an akustischem Input fortbesteht? Eine Assoziation von Presbyakusis mit kognitivem Abbau ist in verschiedenen Studien vorbeschrieben, doch zu welchem Maße dieser Zusammenhang kausal ist, war bislang wenig erforscht. Eine neue Arbeit macht deutlich, wie Schwerhörigkeit zum Verlust des Gedächtnisses beitragen könnte.1
Der Verlust der Fähigkeit, Sprache differenziert wahrzunehmen, ist der schwerwiegendste Aspekt einer Presbyakusis beim Menschen. Wer nicht effektiv kommunizieren kann, ist ein Stück weit von seinem sozialen Umfeld abgeschnitten. Auch Nagetiere sind sowohl für ihre sozialen Strukturen als auch für die Lokalisierung von Ereignissen in ihrer Umwelt stark auf auditive Informationen angewiesen. Frühere Arbeiten beschrieben bereits eine adaptive Reorganisation kortikaler und subkortikaler Strukturen im Gefolge von Erblindung.2
Wissenschaftler der Ruhr-Universität Bochum untersuchten in einer neuen Studie die Dichte von Rezeptoren für Neurotransmitter in Gehirnen von Mäusen mit einer hereditären Form eines allmählich fortschreitenden Hörverlustes, der im Erwachsenenalter einsetzt. In Arealen, die zentral für die Bildung von Gedächtnisinhalten sind, analysierten sie auch, wie stark die Speicherung von Informationen beeinträchtigt war.
Lernen und Gedächtnis werden möglich durch zwei Dinge: sensorische Informationen, die sozusagen das Substrat darstellen, sowie synaptische Plastizität, die deren Kodierung ermöglicht. In der Gedächtniszentrale, dem Hippocampus, war diese Anpassungsfähigkeit durch progredienten Hörverlust chronisch vermindert. Auch die Verteilung und Dichte von Transmitter-Rezeptoren in sensorischen Kortexarealen und dem Hippocampus veränderte sich. Dies war bereits in frühen Stadien der Schwerhörigkeit nachweisbar. Je stärker und länger fortbestehend der Hörverlust, desto mehr waren synaptische Plastizität und Gedächtnisfunktion beeinträchtigt.
Die Abhängigkeit des Hippocampus von sensorischen Informationen wird auch dadurch deutlich, dass der plötzliche und vollständige Verlust einer Sinnesmodalität zu einer Störung seiner Funktion führt, die über Monate anhält. Wie sich ein graduell fortschreitender Ausfall sensorischer Wahrnehmung auswirkt, war vor dieser Arbeit wenig untersucht.
Prof. Denise Manahan-Vaughan, Leiterin der Abteilung für Neurophysiologie, resümiert: "Wir glauben, dass die stetigen Veränderungen in der Expression von Neurotransmitter-Rezeptoren, die durch progredienten Hörverlust verursacht werden, Treibsand auf der Ebene der Verarbeitung sensorischer Informationen erzeugen, die den Hippocampus daran hindern, richtig zu arbeiten."3
Referenzen:
1. Beckmann, D., Feldmann, M., Shchyglo, O. & Manahan-Vaughan, D. Hippocampal Synaptic Plasticity, Spatial Memory, and Neurotransmitter Receptor Expression Are Profoundly Altered by Gradual Loss of Hearing Ability. Cereb Cortex doi:10.1093/cercor/bhaa061.
2. Feldmann, M., Beckmann, D., Eysel, U. T. & Manahan-Vaughan, D. Early Loss of Vision Results in Extensive Reorganization of Plasticity-Related Receptors and Alterations in Hippocampal Function That Extend Through Adulthood. Cereb. Cortex 29, 892–905 (2019).
3. How hearing loss in old age affects the brain. ScienceDaily https://www.sciencedaily.com/releases/2020/04/200423130446.htm.