Nachlese vom MSVirtual2020 – Fortsetzung

In diesem zweiten Highlight-Beitrag finden Sie weitere Kongressnews. Hier in Teil 2: die Rolle von Mikrobiom und Komorbiditäten bei Multipler Sklerose.

In diesem zweiten Highlight-Beitrag finden Sie weitere Kongressnews. Hier in Teil 2: die Rolle von Mikrobiom und Komorbiditäten bei Multipler Sklerose.

Vom 11.–13. September fand der gemeinsame Jahreskongress des ECTRIMS (European Committee for Treatment and Research in Multiple Sclerosis) und seines amerikansichen Gegenstücks, dem ACTRIMS, virtuell statt. In einem ersten Teil hatten wir einige Kongresshöhepunkte zu Remyelinisierung, EBV-spezifischen Immuntherapien und der Prodromalphase der MS präsentiert.

Veränderungen der Zusammensetzung und Funktion des Mikrobioms bei MS

Bakterien, Pilze und Viren der Darmflora und deren Gene und Produkte beeinflussen die Funktion des Immunsystems und rücken zunehmend in den Fokus der Forschung. Zahlreiche Studien beschäftigen sich inzwischen mit der Rolle des Mikrobioms für die MS‑Anfälligkeit, Krankheitsaktivität und das Ansprechen auf krankheitsmodifizierende Therapien, wir berichteten hier.

Die bislang größte Studie hierzu, die 'International MS Microbiome Study' (iMSMS) in den USA, Lateinamerika und Europa untersucht MS‑Patienten und zusätzlich jeweils ein nicht erkranktes Haushaltsmitglied.

Anlässlich des Kongresses präsentierte erste Ergebnisse von 576 solchen gematchten Paaren zeigen mäßige, aber statistisch bedeutsame Unterschiede hinsichtlich der Zusammensetzung der Darmbakterien zwischen MS‑Kranken und Gesunden.2 Multiple Bakterienarten waren bei MS-Kranken im Überfluss vorhanden (u. a. das Muzin-abbauende Bakterium Akkermansia muciniphila), während andere deutlich dezimiert waren (z. B. Faecalibacterium prausnitzii, ein wesentlicher Bildner von Butyrat, der wichtigsten Energiequelle gesunder Darmzellen).

Die Therapie mit krankheitsmodifizierenden Medikamenten schien das Mikrobiom zu normalisieren.1 Die L‑Tryptophan- und L‑Threonin-Biosynthese waren bei Unbehandelten leicht erhöht, während bei Behandelten die AIR-Synthese I (5-Aminoimidazol-Ribonucleotid) gesteigert war.

Ein entscheidender Gegenstand aktueller Forschung seien die metabolischen Veränderungen, die sich aus Alterationen des Mikrobioms ergeben, bspw. die Dysregulation spezifischer metabolischer Signalwege durch Über- oder Unterangebot bestimmter Taxa, hieß es auch in einer weiteren Präsentation. Die Komplexität wird dadurch erhöht, dass Darmbakterien von Alter, geographischer Lage, Ernährung und Medikamenten beeinflusst werden. Derzeit laufen Pilotstudien, die untersuchen, ob eine Optimierung des Mikrobioms (etwa mittels probiotischer Supplementierung oder Fäkaltransplantationen) den Erkrankungsverlauf modifizieren könnte.2,3

Komorbiditäten: Metabolisches Syndrom, Polypharmazie, Schlafapnoe

Dies überlappt sich zum Teil mit einem weiteren wichtigen Thema der Veranstaltung: die Rolle des metabolischen Syndroms für die MS‑Progression. Denn Übergewicht erhöht nicht nur das Risiko, an einer MS zu erkranken. Aus der wachsenden Evidenzlage spricht, dass Übergewicht, Hypertonus, Insulinresistenz und Dyslipidämie mit längeren diagnostischen Verzögerungen, höheren Rezidivraten, rascherer Behinderungsprogression und Hirnatrophie sowie größerer Mortalität assoziiert sind. Insbesondere Übergewicht scheint auch die Effektivität krankheitsmodifizierender Therapien zu beeinflussen.

Diese Erkenntnisse sind von hoher Relevanz für die Prävention und das Management der Erkrankung. Eine kleine Studie deutete darauf hin, dass die Behandlung von Komponenten des metabolischen Syndroms die Krankheitsaktivität im MRT reduzieren könnte.2,4

Eine weitere vorgestellte Studie an 50 MS-Betroffenen und 55 Kontrollen bestätigt, was wir eigentlich bereits wissen: Polypharmazie (definiert als das gleichzeitige Einnehmen von fünf oder mehr Dauermedikationen) kann schädliche Folgen haben, insbesondere bei älteren Patienten. MS-­Patienten erhielten mehr Medikamente und deren Anzahl korrelierte mit einer Zunahme von Fatigue, Schmerzen und Depression. Antidepressiva, Antikonvulsiva und Stimulantien wurden bei MS häufiger verordnet. Die Wissenschaftler empfehlen, bei MS-Patienten, die über Schmerzen, Fatigue und affektive Symptome klagen, die Medikamentenliste zu überprüfen.2

Schlafbezogene Atemstörungen können gefährlich, aber bei MS‑Patienten schwierig zu diagnostizieren sein, bedingt durch Einschränkungen von Mobilität und Kognition. Eine neue Studie aus Frankreich unterstreicht die Häufigkeit respiratorischer Störungen und die Bedeutung einer multidisziplinären Betreuung (bspw. Atemtherapie): 70% von 71 fortgeschritten MS‑Erkrankten (Median 54 Jahre; EDSS 7,5) hatten pathologische Polysomnographie-Befunde, am häufigsten aufgrund einer Zwerchfelldysfunktion (65%). Korrelationsstudien mit Behinderungsscores und MRT-Läsionslast laufen derzeit.2,5

Damit schließen wir Part 2 unserer kleinen Auswahl der Highlights des diesjährigen Kongresses. Der 37. ECTRIMS-Kongress ist für den 13. bis 15. Oktober 2021 in Wien geplant.

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Was können wir tun, um die MS-Inzidenz zu senken?

Referenzen:
1. Poster P0671 - Exploring the gut microbiome in multiple sclerosis via the international MS Microbiome Study (iMSMS). https://msvirtual2020.org/wp-content/uploads/2020/09/P0671.pdf.
2. World’s Largest MS Research Conference Goes Virtual to Share Research Progress. National Multiple Sclerosis Society http://www.nationalmssociety.org/About-the-Society/News/World’s-Largest-MS-Research-Conference-Goes-Virtua.
3. Presentations E. Waubant. https://cslide.ctimeetingtech.com/msdc2020/attendee/person/3137.
4. Presentations R. Marrie. https://cslide.ctimeetingtech.com/msdc2020/attendee/person/3757.
5. Presentations E. Maillart. https://cslide.ctimeetingtech.com/msdc2020/attendee/person/543.