Die Diagnostik des Prostata-Karzinoms – zwischen Dilemma, Dynamik und Durchbruch

Zwei Schritte vor, einen zurück – auch mit neuen, umfangreichen Studiendaten lässt sich die Kontroverse um das PSA-basierte Screening nicht abschließend lösen. Vielversprechend bei der Detektion signifikanter Malignome sind hier hingegen gleich mehrere neue Ansätze in der Bildgebung.

Zwei Schritte vor, einen zurück – auch mit neuen, umfangreichen Studiendaten lässt sich die Kontroverse um das PSA-basierte Screening nicht abschließend lösen. Vielversprechend bei der Detektion signifikanter Malignome sind hier hingegen gleich mehrere neue Ansätze in der Bildgebung.

Vor fast 50 Jahren entdeckt und seit mehreren Dekaden kontrovers diskutiert – das prostataspezifische Antigen (PSA) und seine Rolle bei der Krebs-Diagnostik liefern Fachkreisen weiterhin genügend Stoff für leidenschaftliche Debatten für oder gegen eine routinemäßige Testung für Männer in mittleren Jahren.

Zuletzt wurde die Diskussion erneut angefacht, als die vielbeachtete amerikanische PLCO-Studie zum Nutzen des PSA-Screenings 2016 neu bewertet werden musste, nachdem nachträglich grundlegende Fehler zutage kamen: Entgegen dem Studienprotokoll waren dabei bis zu 90 % der Kontrollpersonen im Vorfeld bereits PSA-getestet und teilweise sogar therapiert worden, sodass letztlich zwei sehr ähnliche Gruppen miteinander verglichen wurden. Basierend auch auf diesem – nach heutiger Kenntnislage natürlich erwartbaren – Nicht-Vorteil des PSA-Screenings sprach sich die einflussreiche US Preventive Service Task Force (USPSTF) damals zunächst gegen einen flächendeckenden Check aus.

Überdiagnosen und Übertherapien

Ab 2009 wies die ebenfalls großangelegte Rotterdamer ERSPC-Studie (European Randomised Study of Screening for Prostate Cancer) eine Reduktion der PCa-spezifischen Mortalität von 20 % innerhalb von 13 Jahren nach und präsentierte damit zur PLCO-Studie entgegengesetzte Ergebnisse. Doch auch hier bleibt die entscheidende Frage letztlich offen – bzw. Ermessenssache: So kommen auf einen Mann, der durch Screening und Therapie vor dem Tod durch ein aggressives Prostata-Karzinom bewahrt werden konnte, laut ERSPC-Studie rund 35 Männer, welche aufgrund des Tests eine positive Diagnose erhielten, die sonst wohl unentdeckt bliebe.

Was wiegt nun mehr – dieser eine nachweislich Überlebende oder die 35, deren Krankheit höchstwahrscheinlich gar nicht letal verlaufen wäre, die nun aber risikoreiche Tumorbehandlungen erhalten oder zumindest eine oft angstvolle Zeit des Zuwartens durchmachen? Muss man einem Menschen eine Krebs-Diagnose zumuten, wenn der Tumor klinisch gar nicht signifikant ist? Und was ist mit den vielen Biopsien im Vorfeld – inklusive gesundheitlicher Gefahren, mäßiger Detektionsraten und hoher Kosten?

Risiken mathematisch berechnen

Mittlerweile raten sowohl USPSTF als auch die entsprechenden deutschen Berufsverbände und Gesellschaften tendenziell zur Einzelfallentscheidung, die mit differenzierter Aufklärung des Patienten einhergehen müsse. Dass manche Ärzte die Vorteile des PSA-Screenings selbst überschätzen oder die Nachteile aus Eigeninteresse kleinreden, ist in Anbetracht dieser wissenschaftlichen Grauzone nicht verwunderlich.

Offenbar kann dieses Dilemma nur mithilfe weiterer belastbarer Faktoren gelöst werden, die die Wahrscheinlichkeit erhöhen, die aggressiven Prostata-Karzinome auch ohne ein Übermaß an diagnostischer Intervention zu selektieren. Ein Ansatz ist hier beispielsweise eine Risikokalkulation, die mittels spezieller Algorithmen eine gezielte Schätzung auswirft, inwieweit der einzelne von einer weitergehenden Diagnostik profitieren würde. Auf Basis der ERSCP-Daten hatten Forscher hier in umfangreichen Untersuchungen und Berechnungen herausgearbeitet, dass auf 35,8 % der Biopsien verzichtet werden könnten, ohne die wirklich behandlungsbedürftigen Malignome zu übersehen. Diese bemerkenswerte Analyse wurde vor wenigen Wochen im Fachblatt BJU International publiziert.

Sichere und effektive Alternative zur Biopsie

Die wohl größte Hoffnung liegt aber aktuell auf der Standardisierung bildgebender Verfahren, wie der multiparametrischen MRI-Technologie (mpMRT). Im Lancet wurden kürzlich die Ergebnisse der britischen PROMIS-Studie (Prostate MRI Imaging Study) veröffentlicht, die die Bedeutung dieses Verfahrens bestätigte. So wurde bei 576 Männern, bei denen aufgrund hoher PSA-Werte, einer auffälligen Tastuntersuchung und/ oder familiärer Belastung ein Verdacht auf Prostata-Karzinom bestand, ein Multiparameter-MRT  durchgeführt. Zum Abgleich erhielten alle neben einer üblichen transrektal gelenkten Stanzbiopsie (TRUS) auch die genauere, wenngleich risikoreichere TPM-Biopsie (template prostate mapping biopsy).

Bei 408 Männern wurde ein Karzinom gefunden, von denen 230 klinisch signifikant waren (Gleason-Score ab 4). Die Erkennungsrate dieser Tumore durch das mpMRT lag bei 93 %, während durch die Stanzbiopsie allein lediglich 48 % identifiziert werden konnten. Und auch wenn dieser ausgesprochen hohen Sensitivität eine niedrige Spezifität gegenüberstand, konnten die Wissenschaftler folgendes untermauern: Wenn im Zuge einer Triage nur Männer mit verdächtigem MRT-Befund eine Biopsie bekämen, könnten 27 % der oft schmerzhaften und nebenwirkungsreichen Gewebeentnahmen wegfallen und gleichzeitig 5 % klinisch bedeutungsloser Krebs-Diagnosen vermieden werden. Gleichzeitig würden auf diese Weise bis zu 18 % mehr relevante Karzinome detektiert, als durch die bisher üblichen Biopsie-Verfahren.

Fast futuristisch – die Fusionsbiopsie

Zu ähnlich positiven Ergebnissen kam auch eine auf dem Urologenkongress EAU 2017 in London vielbeachtete italienische Erhebung mit über 1.000 Patienten. Bei vergleichbarer Fragestellung wurde dem mpMRT dabei ein negativer prädiktiver Wert von rund 97 % attestiert. Dieses bedeutet, dass die TRUS-Biopsie bei Männern mit unauffälligem MRT guten Gewissens entfallen kann, da die Wahrscheinlichkeit für einen übersehenen Tumor bei lediglich 3 % läge und auch weitergehende Untersuchungen ein nur minimales Metastasierungsrisiko gefunden hätten. Und eine weitere auf dem EAU präsentierte niederländische Studie belegte sogar eine um 70 % reduzierte Notwendigkeit zur Biopsie nach negativem MRT sowie eine Senkung der Überdiagnosen um die Hälfte.

Auf dem diesjährigen Berliner Krebskongress Anfang Juli wurde die prospektive Prokomb-Studie vorgestellt, die derzeit in Zusammenarbeit mit der Charité läuft und ebenfalls die Diagnosegenauigkeit dieser speziellen Kernspin-Methodik untersucht. Dabei werden lediglich Tumore ab PI-RADS-Klassifikationsstufe 3 zielgenau biopsiert, solche mit Stufe 1 und 2 über einen Zeitraum von drei Jahren nur engmaschig überwacht.

Im Bedarfsfall kann die Gewebeentnahme bei Scores über 4 dabei auch zielgenau mit der modernen Fusionsbiopsie vorgenommen werden. Hier wird in Echtzeit ein MRT-Bild auf ein spezielles TRUS-Ultraschallgerät projiziert, sodass eine umfassendere Analyse der gesamten Prostata in 3D möglich ist und eine enorme Sensitivitäts- und Spezifitäts-Steigerung erreicht wird. Hierzu sind separate Studien in der Pipeline.

Grundlegende Veränderungen in Sichtweite

Sollten die Studien-Daten des Prostata-Kooperativen MRT-Projekts Berlin überzeugen kann davon ausgegangen werden, dass auch die gesetzlichen Krankenkassen diese Untersuchungen künftig übernehmen, so der Berliner Studienleiter Dr. Frank König.

Immerhin wäre damit dann ein entscheidender Faktor geklärt. Hier gehen Experten eh davon aus, dass die Kosten der MRT-Scans kontinuierlich sinken werden. Auch muss letztlich die Ersparnis teurer Folgekosten im Falle von Überdiagnosen berücksichtigt werden – vom immateriellen "Preis" einer potentiellen Inkontinenz oder Impotenz durch unnötige Therapien ganz zu schweigen.

Damit die mpMRT auf breiter Ebene unterstützt werden kann, ist die Standardisierung der Kriterien sowie die Qualität der Befundung sicherlich die größte Herausforderung. Nicht jeder niedergelassene Radiologe kann diese spezifische Untersuchung heute einfach so durchführen. Auch muss vielleicht nicht jeder Mann mit leichten Werte-Abweichungen gleich „in die Röhre“. Hier gibt es sicherlich noch jede Menge Forschungsbedarf.

In Anbetracht der vielversprechenden Datenlage und in offensichtlicher Ermangelung eines validen Tumormarkers ist dieser Weg aber sicherlich lohnenswert und wichtig – schließlich ist das Prostata-Karzinom bei Männern in Deutschland weiterhin die häufigste Krebserkrankung sowie die dritthäufigste Krebstodesursache.

Quellen:
1. Screening and prostate cancer mortality: results of the European Randomised Study of Screening for Prostate Cancer (ERSPC) at 13 years of follow-up. Schröder FH et al. Lancet. 2014 Dec 6;384(9959):2027-35.

2. Additional benefit of using a risk-based selection for prostate biopsy: an analysis of biopsy complications in the Rotterdam section of the European Randomized Study of Screening for Prostate Cancer.
3. Chiu PK1 et al. BJU Int. 2017 May 12.
4. Diagnostic accuracy of multi-parametric MRI and TRUS biopsy in prostate cancer (PROMIS): a paired validating confirmatory study. Ahmed HU et al. Lancet. 2017 Feb 25;389(10071):815-822.
5. Barchetti G, et al. EAU 2017, Poster #495 / Alberts A, et al. EAU 2017, Poster #501.
6. 13. Berliner Krebskongress, 7.-8. Juli 2017. Urologie verbindet – Interdisziplinäre Onkologie 2017. Berliner Prokomb-Studie – aktueller Stand. PD Dr. Frank König, Berlin.