Die Aufwendungen für biomedizinische Behandlungen sind exponentiell gestiegen, aber sind nicht begleitet von proportionalen Investitionen in die menschliche Dimension der Krebsbehandlung.
Wir sehen ein immer stärkeres Ungleichgewicht zwischen technologie- und interventionszentrierter medizinischer Versorgung und dem, was oft als "Seele der Medizin" bezeichnet wird. Diese Verschiebung ist in der Onkologie besonders evident, meinen die Autoren eines hochrelevanten Beitrages im 'Lancet Oncology', den wir heute hervorheben wollen.1
In ihrem Kommentar legen sie überzeugend dar, dass die Schwerpunktsetzung auf Gerätemedizin und invasive Eingriffe oft als objektiver und selbstverständlicher Ausdruck des menschlichen Fortschritts angesehen wird, anstatt als Abbild kultureller Wertsysteme im Gesundheitsbereich. Wertsysteme, die den sozialen und psychischen Dimensionen von Gesundheit oder Krankheit weniger Gewicht einräumen als deren biologischen Aspekten und technologischen Lösungen.
"Dieses Ungleichgewicht hat viele Ursachen, darunter die einseitige Ausrichtung und die Prioritäten der Entscheidungsträger im Gesundheitswesen und in der akademischen Medizin, die Beschaffenheit der modernen medizinischen Ausbildung, interne und externe wirtschaftliche Anreize sowie die gesellschaftliche Einstellung zu Krankheit und Sterblichkeit", schreiben die Autoren des 'Global Institute of Psychosocial, Palliative and End-of-Life Care' (GIPPEC) am Princess Margaret Cancer Centre der Universität Toronto und des 'Institute of Cancer Policy' am King's College London.
Diese beiden Zentren haben ein Projekt namens "Biomedicine and the Soul of Medicine: Optimising the Balance" ins Leben gerufen.
Dieses Missverhältnis schlägt sich auch in der Übertherapie fortgeschrittener Neoplasien nieder, wo Interventionen trotz begrenztem oder nicht zu erwartendem Nutzen und relevanter Toxizität gen Lebensende dennoch weiter verabreicht werden, während weltweit viele Menschen, die palliative und supportive Versorgung benötigen würden, diese nicht erhalten, fahren die Autoren fort.
Das 'GIPPEC'-Institut widmet sich insbesondere der Palliativmedizin. Die Autoren beklagen, dass sich auch in diesem Bereich die Aufmerksamkeit viel stärker auf die Linderung von Schmerzen und anderen körperlichen Symptomen verlagert hat als auf andere Dimensionen menschlichen Leidens. Dies bedingt ihrer Ansicht nach eine relative Vernachlässigung systematischer und kosteneffizienter Ansätze zur Linderung von psychischem und mentalem Schmerz und zur Vermittlung von Hoffnung und Sinn für Patienten, die mit einer fortgeschrittenen Erkrankung leben.
Ihr Projekt will den globalen Dialog fördern, Institute, Organisationen, Disziplinen und Abteilungen innerhalb und außerhalb der gängigen Onkologie und Palliativmedizin einbeziehen und miteinander verbinden. Ziel ist, den Wissensstand zu verbessern, Initiativen zur Veränderung der Politik zu entwickeln und die menschliche und kulturelle Dimension der Krebsbehandlung zu stärken.
Sie zitieren unter anderem auch C. P. Snow, der bereits vor vielen Jahren die große Spaltung zwischen zwei "Kulturen" beschrieb: den Geisteswissenschaften und den Naturwissenschaften. In dieser Spaltung sah er ein großes Hindernis für beide bei der Lösung der Probleme der Welt.
Referenzen:
1. Rodin, G., Ntizimira, C. & Sullivan, R. Biomedicine and the soul of medicine: optimising the balance. The Lancet Oncology 22, 907–909 (2021).