Zahlreiche Studienergebnisse werfen immer wieder die Frage nach Schaden und Nutzen, insbesondere von Reihenuntersuchungen an klinisch unauffälligen Frauen, auf. Eine Studie im New England Journal of Medicine berichtet 1,3 Mio. Fälle von Überdiagnostizierung allein in den USA in den letzten 30 Jahren.
Ein Review1 von 2013 zeigt, dass ältere Arbeiten, die einen positiven Effekt des Mammographie-Screenings auf Morbidität und Mortalität belegten, teils mit fundamentalen Limitationen im Studiendesign behaftet waren (z. B. inadäquate Randomisierung). Neuere, methodisch saubere Arbeiten von Organisationen ohne Interessenkonflikte haben den Nutzen inzwischen relativiert bzw. widerlegt.2
Eine bereits 2012 im New England Journal of Medicine veröffentlichte Auswertung3 von Brustkrebsdaten der USA aus den Jahren 1976 bis 2008 berichtet über eine Verdoppelung der Detektion von Mammakarzinomen im Frühstadium (DCIS und lokal begrenzte Karzinome) im Zuge der flächendeckenden Implementation des Mammographie-Screenings. Dennoch war nahezu kein Rückgang der Inzidenz von fortgeschrittenen Karzinomen (lokal fortgeschritten oder fernmetastasiert) zu verzeichnen.
Auch ein systematisches Review weltweiter Daten und eine weitere Studie aus Europa kamen zum gleichen Ergebnis: Tumoren ≥ 20mm4 oder höhere Tumorstadien5 konnten durch das Screening nicht reduziert werden.2
Dieses Ungleichgewicht bedeutet eine beträchtliche Rate an Überdiagnostizierung, die etwa ein Drittel3 aller neudiagnostizierten Mammakarzinome ausmacht.
Die geschätzte Rate kann allerdings in Abhängigkeit von der Screening-Praxis des Landes, aus dem die Studien kommen, auch höher liegen. In Dänemark bewegt sich die Zahl (u. a. durch geringere Aufnahme, niedrigere Einbestellraten und absichtlich niedrigere Detektionsraten für DCIS) mit etwa 33 % ebenfalls unter derjenigen von Ländern mit öffentlich organisierten Screening-Programmen, wie Großbritannien (ca. 57 % Überdiagnostizierung), Canada (ca. 44 %), Schweden (ca. 46 %), Norwegen (52 %) oder Australien (ca. 53 %).6
Noch besser greifbar wird es vielleicht durch eine absolute Zahl: in den USA wurden in den vergangenen 30 Jahren geschätzt 1,3 Mio. Mammakarzinome durch Mammographie-Screening detektiert, die nie zu klinischen Symptomen geführt oder unbehandelt wahrscheinlich keinen lebensbedrohlichen Verlauf genommen hätten.3 Im Jahr 2008 waren es 70.000 Fälle (allein in den USA).
Für einen Teil der Frauen geht das Ganze noch einmal relativ glimpflich ab, mit einer Entwarnung nach ausführlicher Abklärung. Immense psychische Belastung und nicht selten bleibende Verunsicherung sind dennoch garantiert.
Für einen anderen Teil der Frauen folgen auf den auffälligen Befund invasive Konsequenzen.
Daten einer Metaanalyse von 8 Studien mit insgesamt 600.000 Brustkrebs-Patientinnen1 zeigen, dass in den gescreenten Kohorten 31 % höhere OP-Zahlen für Lumpektomien und Mastektomien zustande kommen als in Kohorten ohne Mammographie-Screening (RR 1.31, 95 %-KI 1.22-1.42). Auch Strahlentherapien kamen ähnlich gesteigert zum Einsatz. Für Chemotherapien war kein solcher Unterschied nachweisbar, allerdings lieferten nur zwei der eingeschlossenen Studien Daten hierzu.
Etliche Dekaden nach Einführung der Mammographie stehen uns alternative Untersuchungsmethoden zur Verfügung, die ohne ionisierende Strahlung auskommen, wie MRT und Mammasonographie. Letzteres ist teils abhängig von der Erfahrung des Anwenders und den vorhandenen technischen Möglichkeiten, aber dafür nichtinvasiv und weit weniger zeit- und kostenintensiv. Neue hochfrequente Schallköpfe können feinste Gewebestrukturen darstellen und 3D-Ultraschall und moderne Dopplertechnik liefern weit mehr Informationen als dies noch vor einigen Jahren der Fall war.
Gerade (aber nicht nur) für junge Patientinnen, bei denen der Brustkörper oft sehr strahlendicht und damit mammographisch schwer beurteilbar ist, gewinnt die Mammasonographie zunehmend an Bedeutung. Wer über kein geeignetes Sonographiesystem verfügt oder sich damit unsicher fühlt, hat die Möglichkeit, Patienten an einen der mittlerweile zahlreich vorhandenen Spezialisten zu überweisen.
Fachgesellschaften, wie die DEGUM (Deutsche Gesellschaft für Ultraschall in der Medizin) oder die DAGG (Deutsche Akademie für Gynäkologie und Geburtshilfe), bieten außerdem regelmäßig zertifizierte Weiterbildungen für alle Kenntnisstufen an.
Die Trends – insbesondere der Inzidenz fortgeschrittener Mammakarzinome – sprechen nicht dafür, dass das Mammographie-Screening Leben retten oder die Brustkrebs-Mortalität senken könnte.2 Übermäßiges Vertrauen in Studien mit mängelbehaftetem Design, finanzielle Interessenkonflikte und sicher auch Angst und gute Absichten haben für eine erhebliche Anzahl von Frauen zu unnötigen Krebsdiagnosen und teils zu schädlichen Behandlungen geführt.7
Rechnen wir nur mit großzügigen 30 % Überdiagnostizierung und Übertherapie weiter, bedeutet dies: von 2.000 Frauen, die über 10 Jahre hinweg zum Screening eingeladen werden, entgeht nur eine Frau dem Tod durch ein Mammakarzinom und zehn gesunde Frauen, die ohne Screening nicht auffällig geworden wären, werden unnötig behandelt. Weitere 200 Frauen durchleben immensen psychischen Stress, Angst und über Jahre persistierende Unsicherheit durch falsch-positive Befunde.1
Es sei nochmals betont, dass diese Zahlen nicht die Menge aller Studien repräsentieren, die Outcomes mit und ohne Screening vergleichen, sondern dass für das Cochrane-Review vorrangig Studien mit höherer Evidenzklasse berücksichtigt wurden, die methodisch solider sind und damit eine geringere Wahrscheinlichkeit für einen Bias einbringen.
Einige Länder ziehen nun Konsequenzen für die Handhabung ihrer Vorsorge-Empfehlungen. Bereits 2014 riet das „Swiss Medical Board“ zur Eindämmung von Mammographie-Screening-Programmen, was 2017 von etlichen Kantonen auch umgesetzt wurde.8 Auch der französische Gesundheitsminister beauftragte das nationale Krebsinstitut mit einer detaillierten Analyse, deren Veröffentlichung im Journal of the American Medical Association zu einem Ruf nach deutlichen Reformen führte.9,10
Schließen möchten wir mit einem Link des nordischen Cochrane Zentrums.
Ärzte, die schon viele Jahre über diese Thematik forschen und publizieren, haben eine ausführliche evidenzbasierte Patienten-Broschüre zum Für und Wider des Mammographie-Screenings verfasst, die Frauen eine informierte Entscheidungsfindung erleichtern soll. Diese steht in 16 Sprachen zum kostenlosen Download bereit.
Referenzen:
1. Gøtzsche, P. C. & Jørgensen, K. J. Screening for breast cancer with mammography. Cochrane Database Syst Rev CD001877 (2013). doi:10.1002/14651858.CD001877.pub5
2. Gøtzsche, P. C. Mammography screening is harmful and should be abandoned. J R Soc Med 108, 341–345 (2015).
3. Bleyer, A. & Welch, H. G. Effect of three decades of screening mammography on breast-cancer incidence. N. Engl. J. Med. 367, 1998–2005 (2012).
4. Autier, P. et al. Advanced breast cancer incidence following population-based mammographic screening. Ann. Oncol. 22, 1726–1735 (2011).
5. Kalager, M., Adami, H.-O., Bretthauer, M. & Tamimi, R. M. Overdiagnosis of invasive breast cancer due to mammography screening: results from the Norwegian screening program. Ann. Intern. Med. 156, 491–499 (2012).
6. Jørgensen, K. J. & Gøtzsche, P. C. Overdiagnosis in publicly organised mammography screening programmes: systematic review of incidence trends. BMJ 339, b2587 (2009).
7. Jørgensen, K. J. & Gøtzsche, P. C. Breast Cancer Screening: Benefit or Harm? JAMA 315, 1402 (2016).
8. Biller-Andorno, N. & Jüni, P. Abolishing Mammography Screening Programs? A View from the Swiss Medical Board. New England Journal of Medicine 370, 1965–1967 (2014).
9. One key detail you’re unlikely to see in news stories about mammography screening guidelines. HealthNewsReview.org Available at: https://www.healthnewsreview.org/2017/01/one-key-detail-youre-unlikely-to-see-in-news-stories-about-mammography-screening-guidelines/. (Accessed: 27th May 2018)
10. Barratt, A., Jørgensen, K. J. & Autier, P. Reform of the National Screening Mammography Program in France. JAMA Intern Med 178, 177–178 (2018).