Dies fordert die Robert Bosch Stiftung, die den Reformstau und die fehlende Förderung von Gesundheit im derzeitigen System kritisiert und anlässlich eines Gesundheitsgipfels am 18. Juni einen Fahrplan für die Zukunft präsentierte.
Dass im deutschen Gesundheitssystem massiver Reformbedarf besteht, ist nichts Neues.
"Seit längerer Zeit nehmen wir deutlich wahr, dass es an vielen Stellen im Gesundheitssystem hakt. [...] Um allen Menschen in Deutschland auch künftig eine gute Versorgung von hoher Qualität zu bieten, bedarf es grundlegender Reformen; kurz gesagt: eines Neustarts", sagt Prof. Dr. Joachim Rogall.1
Er ist Vorsitzender der Geschäftsführung der Robert Bosch Stiftung, die Mitte 2018 die Initiative "Neustart!" ins Leben rief, mit dem Ziel, eine grundlegende Erneuerung des Gesundheitssystems anzustoßen.
Bei einem hybriden Gesundheitsgipfel am Standort der Stiftung, Berlin, wurde am 18. Juni ein Grundsatzpapier vorgestellt, das in den vergangenen drei Jahren zusammen mit Bürgern und Experten aus Wissenschaft und Praxis erarbeitet wurde.
Es kritisiert das bisherige Vorgehen der Politik und enthält eine Zukunftsagenda mit Vorschlägen zum Richtungswechsel. Das Gesundheitssystem sei eingemauert in Partikularinteressen und geradezu immun gegen Impulse für eine Weiterentwicklung, so die Auswertung.2
Das deutsche System sei zwar leistungsfähig bei der Versorgung von Krankheiten, jedoch nicht bei der Erhaltung und Förderung von Gesundheit. Die "Neustart! Zukunftsagenda" fordert eine Neuausrichtung auf Prävention und soziale Gesundheit. Denn: um ein "Krankheitssystem" in ein "Gesundheitssystem" zu verwandeln, muss der Gesundheitsförderung und Prävention der gleiche Stellenwert zukommen wie der Behandlung von Erkrankungen, so das Papier.
"Unser Ziel ist eine Gesundheitsversorgung, die beim Einzelnen anfängt, in den Regionen verankert ist und im internationalen Vergleich Vorbildcharakter hat", so Rogall weiter.
Das Reformpapier legt den Entscheidungsträgern nahe, die öffentliche Gesundheit stärker in die Verantwortung von Kreisen, Städten und Gemeinden zu geben. Primärversorgungszentren sollen demnach dem zu erwartenden starken Hausärztemangel begegnen und auch Aufgaben kleinerer Kliniken abfangen, da zu erwarten stünde, dass viele weitere in den nächsten Jahren schließen werden.
Beim Lesen des Letzteren drängt sich jedoch die Frage auf, ob MVZs wirklich eine Antwort sind und ob der jahrelange Trend des Klinikabbaus in Deutschland nicht langsam ein ungesundes Maß erreicht. Allein im Jahr 2020 wurden 21 Krankenhäuser deutschlandweit geschlossen, ohne dass dies öffentlich besonders viel Aufmerksamkeit erhalten hätte, von 30 weiteren Häusern ist bereits bekannt, dass sie ebenfalls vom Netz gehen sollen.3 Die Deutsche Krankenhausgesellschaft und auch die Deutsche Stiftung Patientenschutz warnten eindringlich vor diesem Kahlschlag. Carl Waßmuth von einer Initiative, die unter anderem das "Bündnis Klinikrettung" koordiniert, sieht hinter dieser Entwicklung vor allem wirtschaftliche Interessen: "Meist werden die Kliniken in medizinische Versorgungszentren umgewandelt, sogenannte MVZ. Oder in Rehakliniken. Damit lässt sich mehr Geld verdienen als mit stationärer Behandlung in Krankenhäusern."3 Hierüber wird das letzte Wort noch nicht gesprochen sein. Aber zurück zu den Reformvorschlägen der Bosch-Stiftung.
Ein wirklich gutes System wird nur möglich, wenn Menschen die Zusammenhänge (besser) verstehen, Verantwortung für ihre eigene Gesundheit übernehmen und am Heilungsprozess mitwirken. Die Neustart! Zukunftsagenda spricht sich für mehr Investitionen in die Gesundheitskompetenz der Bevölkerung und Partizipation aus.
Die Neustart!-Initiative selbst war ein Beispiel für eine solche Bürgerbeteiligung: ihren Kern bildeten Veranstaltungen mit knapp 700 zufällig ausgewählten Bürgern und rund 40 gewählten Botschaftern, die ihre Anliegen in Bürger-Experten-Dialogen vorbrachten.
Daneben sehen die Beteiligten in höchsten Qualifizierungsstandards der Gesundheitsberufe und in der Verbesserung von Zusammenarbeit große Chancen für eine bessere Gesundheit der Bevölkerung.4
Robert Bosch (1861–1942) gründete bereits zu Lebzeiten verschiedene Stiftungen und verfügte in seinem Testament, dass die Erlöse des Unternehmens gemeinnützigen Zwecken zufließen sollen. Die Robert Bosch Stiftung GmbH möchte das soziale und politische Engagement ihres Namensgebers fortsetzen und investierte seit ihrer Gründung 1964 insgesamt 1,9 Mrd. Euro in Projekte auf den Gebieten Gesundheit, Bildung und globale Fragen. Die Robert Bosch Stiftung hält rund 94% der Geschäftsanteile an der Robert Bosch GmbH und finanziert sich aus den Dividenden, die sie aus dieser Beteiligung erhält.5
Referenzen:
1. Neustart! - Gesundheitsgipfel präsentiert Ergebnisse. Robert Bosch Stiftung https://www.bosch-stiftung.de/de/news/neustart-gesundheitsgipfel-praesentiert-ergebnisse.
2. Für einen Neustart im Gesundheitssystem – Robert Bosch Stiftung präsentiert Zukunftsagenda in Berlin. Robert Bosch Stiftung https://www.bosch-stiftung.de/de/presse/2021/06/fuer-einen-neustart-im-gesundheitssystem-robert-bosch-stiftung-praesentiert.
3. Schwager, C. Kliniken werden geschlossen, obwohl das Gesundheitssystem vor dem Kollaps steht. Berliner Zeitung https://www.berliner-zeitung.de/gesundheit-oekologie/kliniken-werden-geschlossen-obwohl-das-gesundheitssystem-vor-dem-kollaps-steht-li.132283.
4. Die Neustart! Zukunftsagenda – für Gesundheit, Partizipation und Gemeinwohl. Robert Bosch Stiftung https://www.bosch-stiftung.de/de/publikation/die-neustart-zukunftsagenda-fuer-gesundheit-partizipation-und-gemeinwohl.
5. Über die Robert Bosch Stiftung. Robert Bosch Stiftung https://www.bosch-stiftung.de/de/ueber-die-robert-bosch-stiftung.