Seneszenz-getriggertes Tumorwachstum nach Chemotherapie?

Viele der heutigen Chemotherapeutika versetzen Tumorzellen in einen Zell-Teilungsarrest (Seneszenz). Allerdings scheint dieser – konträr zur bisherigen Vorstellung – doch reversibel. Aus der Seneszenz zurückgekehrte Krebszellen zeigten in einer wegweisenden Studie sogar ein gesteigertes Potential, neues Tumorwachstum auszulösen.

Viele der heutigen Chemotherapeutika versetzen Tumorzellen in einen Zell-Teilungsarrest (Seneszenz). Allerdings scheint dieser – konträr zur bisherigen Vorstellung – doch reversibel. Aus der Seneszenz zurückgekehrte Krebszellen zeigten in einer wegweisenden Studie sogar ein gesteigertes Potential, neues Tumorwachstum auszulösen.

Zahlreiche Chemotherapeutika stoppen oder verlangsamen das Tumorwachstum, indem sie Signalwege aktivieren, die zum programmierten Zelltod führen. Manche Krebszellen verlieren diesen Weg jedoch und werden somit resistent gegen Apoptose. Ein alternativer Zugang, der solchen Zellen noch erhalten ist und sie Chemotherapie-sensibel macht, ist die Seneszenz. Chemotherapeutika wie Bleomycin, Camptothecin, Cisplatin, Doxorubicin und Etoposid schicken Tumorzellen in diesen Zellteilungs-Arrest. Das bedeutet, die Zellen leben weiter, können auch metabolisch aktiv sein, aber haben die Fähigkeit zur Zellteilung dauerhaft verloren.1 Jedenfalls glaubte man das bisher.

Seit der Entdeckung des Phänomens der Seneszenz vor über 50 Jahren durch Leonard Hayflick wurde deren Rolle in Embryogenese, Wundheilung und Alterungsprozess intensiv erforscht.

Zu Beginn nahm man folgende, den meisten geläufige Theorie, als einzigen Grund für die Seneszenz an: mit jeder Zellteilung verkürzen sich die Telomere, bis die Zelle sich irgendwann nicht mehr teilen kann (Hayflick-Limit, replikative Seneszenz).

Doch während einer durchschnittlichen Lebensspanne erreichen viele Zellen im Organismus dieses Stadium gar nicht. Weit häufiger sind es Stress-Situationen und – Signale, die Seneszenz induzieren. Vordergründig zu nennen sind hier die Onkogen-induzierte Seneszenz und die Stress-induzierte vorzeitige Seneszenz (SIPS für Stress-Induced Premature Senescence).2

Zelluläre Seneszenz erzeugt eine Tumor-fördernde Mikroumgebung

Wenn die DNA einer Zelle irreparabel beschädigt wird, etwa durch reaktive Sauerstoff-Spezies (SIPS), hohe Strahlendosen oder zytotoxische Medikamente (TIS für Therapie-induzierte Seneszenz), reagiert die Zelle auf diese Stressoren, indem sie den Prozess der Seneszenz aktiviert – wovon unabsichtlich auch gesunde Zellen betroffen sein können.

Die Bedeutung der Tumormikroumgebung rückt immer mehr in den Fokus der Forschung, da sie die Entstehung von Tumoren und Metastasierung hemmen oder fördern kann, indem sie den Tumorzellen Wachstumsfaktoren, Sauerstoff und Nährstoffe zuführt.

Seneszente Zellen sezernieren vermehrt pro-inflammatorische und "tissue remodeling" Faktoren und tragen damit zu einer Umgebung bei, die einen fruchtbaren Boden für Tumor-Rezidive und Sekundär-Malignome bildet.2

Zusätzlich führt organismische Alterung zur Akkumulation seneszenter Zellen in Geweben und Organen älterer Menschen, was sich schädlich auf die Mikroumgebung auswirkt und – gemeinsam mit der Akkumulation von Mutationen mit der Zeit – die steigende Tumor-Inzidenz im Alter zumindest teilweise erklären könnte.

Doxorubicin und Paclitaxel induzieren in vitro Seneszenz auch in gesunden Fibroblasten. Systemische Gabe von Doxorubicin, Paclitaxel, Cisplatin oder Temozolomid induzierte in vivo im Mausmodell Seneszenz bei weiteren unterschiedlichsten Zelltypen in Haut, Lunge und Leber.2

Aber es geht nicht allein um diesen indirekten Effekt über die Tumor-Mikroumgebung, die von den Botenstoffen seneszenter Zellen nachteilig beeinflusst wird.

Eine diesen Monat in der Nature erschienene Arbeit liefert Hinweise darauf, dass die Seneszenz den Tumorzellen nicht nur dazu verhilft, dem Zelltod zu entgehen, sie verleiht diesen Zellen offenbar Stammzell-Eigenschaften.3 Einige Proteine, die die Seneszenz regulieren, haben nämlich auch wichtige Funktionen für Stammzellen.4

Wenn Tumorzellen aus der Seneszenz ausbrechen, haben sie eine erhöhte Kapazität, Tumorwachstum zu beschleunigen

Eine deutsche Forschungsgruppe um Dr. Schmitt (Charité, Berlin) behandelte murine Lymphomzellen mit Seneszenz-induzierenden Chemotherapeutika. Diese stellten daraufhin die Proliferation ein, wie erwartet.

Doch dann geschah Folgendes: die Zellen begannen, Stammzellen zu ähneln und Gene – wie p21 und p53 – zu exprimieren, die mitverantwortlich für "stemness", den Erhalt von Stammzelleigenschaften sind.1 Gleiches wurde auch für andere Tumorarten gefunden. Darüber hinaus konnten solche Zellen in Proben von Patienten mit chronischer Leukämie nachgewiesen werden.

Da seneszente Zellen sich nicht mehr teilen, wäre dieses Entwickeln von Stammzellfähigkeiten an sich ja noch nicht so schlimm. Es scheint aber, dass genau diese "Krebs-Stammzellen" zum Motor von Rezidiv und Metastasierung werden.

Denn wurden die Zellen – mittels genetischer Manipulation – aus dem Dornröschenschlaf der Seneszenz aufgeweckt, kehrten sie nicht in einen normalen Zellteilungszyklus zurück, sondern vermehrten sich rasanter als diejenigen Zellen, die niemals eine Seneszenz durchlaufen hatten.1 Eine Transplantation nur weniger Zellen zurück in die Mäuse war daraufhin ausreichend für einen rasanten "kick start" neuen Tumorwachstums.

Auch außerhalb dieser Laborbedingungen ist es hochwahrscheinlich, dass Tumorzellen in der Lage sind, die Seneszenz wieder zu verlassen. In Proben von Patienten mit Lymphom-Rezidiv wurden signifikant mehr ehemals seneszente Tumorzellen identifiziert als bei den gleichen Patienten während der initialen Therapie. Auch Biopsien von Patienten mit Brust- oder Lungen-Tumoren weisen nach Chemotherapie vermehrt seneszente Zellen auf.2

Therapeutische Konsequenzen und neue targets: Wnt-Signalweg abschalten, Protein-Synthese hemmen

Genetische und pharmakologische Ansätze zielen nun auf die neu erlangten Stammzell-Fähigkeiten dieser Zellen ab. Wichtig ist hier der Wnt-Signalweg, der aktiviert wird, wenn seneszente Tumorzellen "stemness" erwerben. In der Studie führte eine Abschaltung dieses Signalweges – durch ein Medikament oder genetische Manipulation - zu einer Reduktion des Tumor-Wachstums.1 Klinische Studien mit Lymphom-Patienten befinden sich in der Planungsphase.

Ebenfalls vielversprechend wäre ein targeting der Proteinsynthese (z. B. durch RNA-Polymerase-Inhibitoren). Dieser Ansatz vermeidet die Induktion von Seneszenz und deren negative parakrine Effekte und könnte selektiver für Krebszellen sein als Therapien, die über eine Schädigung der DNA laufen, da die Protein-Synthese bei Tumoren hochreguliert ist, um ein schnelles Wachstum zu ermöglichen.2

Ein weiterer Ansatz auf dem Feld der Hemmung der Proteinsynthese ist die mTOR-Blockade durch Rapamycin-Analoga, die sowohl Tumor-Progress als auch organismische Alterung abschwächen könnte.

Quellen:
1. Cancer regrowth: Is chemo to blame? Medical News Today Available at: https://www.medicalnewstoday.com/articles/320449.php. (Accessed: 21st January 2018)
2. Schosserer, M., Grillari, J. & Breitenbach, M. The Dual Role of Cellular Senescence in Developing Tumors and Their Response to Cancer Therapy. Frontiers in Oncology 7, (2017).
3. Milanovic, M. et al. Senescence-associated reprogramming promotes cancer stemness. Nature 553, 96 (2018).
4. Escape from senescence boosts tumour growth. Available at: http://www.nature.com/articles/d41586-017-08652-0. (Accessed: 21st January 2018)