Steter Tropfen...

Eine neue Auswertung schätzt, dass fast 750.000 Krebsneuerkrankungen (entsprechend über 4% der Fälle weltweit) im Jahr 2020 mit Alkoholkonsum in Verbindung standen.

Eine neue Auswertung schätzt, dass fast 750.000 Krebsneuerkrankungen (entsprechend über 4% der Fälle weltweit) im Jahr 2020 mit Alkoholkonsum in Verbindung standen.

Alkoholkonsum ist mit einer Vielzahl von Folgen und Krankheiten, einschließlich Krebs, assoziiert und stellt einen führenden Risikofaktor für die weltweite Krankheitslast dar.

Er steht in ursächlichem Zusammenhang mit Krebserkrankungen des oberen Aerodigestivtrakts (Mundhöhle, Rachen, Kehlkopf und Speiseröhre), des Dickdarms, des Enddarms, der Leber und der Brust.
Zusammen trugen diese Krebsarten im Jahr 2020 weltweit zu 6.3 Millionen Fällen sowie 3.3 Millionen Todesfällen bei (Daten aus der 'GLOBOCAN 2020'-Datenbank).

Wie viele Krebsfälle sind dem Alkoholkonsum zuzuschreiben?

Eine kürzlich im 'Lancet' veröffentlichte populationsbasierte Studie1 ergab, dass geschätzt 741.300 der Krebsneuerkrankungen im Jahr 2020 auf Alkoholkonsum zurückzuführen waren.
Drei von vier (77%) der alkoholbedingten Krebsfälle wurden bei Männern diagnostiziert. Dies soll jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch bei Frauen extremes Trinkverhalten auf dem Vormarsch ist.
Die höchste Krankheitslast entfiel mit 47% der Erkrankungen auf starke Trinker (>60 g pro Tag), gefolgt von 39% in der Gruppe von riskantem Alkoholkonsum (20-60 g pro Tag) und immerhin noch 14% bei mäßigem Alkoholkonsum (<20 g pro Tag). Ein Konsum von bis zu 10 g pro Tag trug rechnerisch zu 5,6% der Fälle bei.
Neubildungen der Speiseröhre, der Leber und der Brust steuerten am meisten zu den Diagnosen bei.

Diese Zahlen sind mit einigen Limitationen versehen. Der dem Alkohol zurechenbare Anteil wurde auf Grundlage von Schätzungen des Alkoholkonsums des 'Global Information System on Alcohol and Health' von 2010 gegen eine theoretische Minimalexposition (lebenslange Abstinenz) berechnet (unter der Annahme einer 10-jährigen Latenz zwischen Alkoholkonsum und Krebsdiagnose). Schätzungen zum relativen Risiko aus systematischen Literaturarbeiten flossen in die Kalkulation ein. Ein weiterer Punkt, der möglicherweise zu Verzerrungen führt, ist, dass solche Erhebungen auf Selbstauskünften beruhen und gerade Menschen mit höherem Alkoholkonsum diesen zuweilen niedriger angeben.

Starke Zunahme von Alkoholabusus seit Beginn der Corona-Krise

Dennoch sind diese Zahlen alarmierend, denn sie lassen erahnen, was wiederum mit einer gewissen Latenz auf uns zukommt.
Während die Entwicklung des Alkoholkonsums in den europäischen Regionen in den letzten Jahren einen ermutigenden Rückgang zeigte, wurde für mehrere andere Regionen, darunter Afrika und Asien, ein deutlicher Anstieg des Alkoholkonsums vorausgesagt.
In der aktuellen Erhebung spielte Alkohol für die Krebsfälle in Afrika (0,3%) und Westasien (0,7%) noch eine deutlich geringere Rolle als in Ostasien (5,7%) und Europa (5,6%). 

Seit Beginn der Corona-Maßnahmen Anfang 2020 ist der Alkoholkonsum allerdings sprunghaft angestiegen. "Soziale Isolation hat bekanntermaßen erhebliche psychologische Auswirkungen und kann bei Erwachsenen zu Alkoholmissbrauch führen", schreiben die Autoren einer Studie mit über zweitausend Teilnehmern in Bayern, die aufzeigte, dass bereits der erste Lockdown das Alkoholkonsumverhalten erheblich verändert hat.2

Auch aus anderen Ländern gibt es viele Daten, die unterstreichen, dass die Krise das Risiko erhöht, dass Menschen in Reaktion auf Stress, Depressionen und Ängste in ungesundes Trinkverhalten rutschen. So gaben im Rahmen einer Erhebung der 'US National Library of Medicine National Institutes of Health' knapp zwei Drittel der Befragten an, seit dem Beginn der Corona-Maßnahmen mehr zu trinken.3
In Großbritannien sind die direkt auf Alkoholmissbrauch zurückzuführenden Todesfälle dramatisch angestiegen und haben 2020 in England und Wales einen 20-Jahres-Höchststand erreicht, was möglicherweise auf den erhöhten Konsum von Risikotrinkern zurückzuführen ist, wie offizielle Daten zeigen. Nach Angaben des Office for National Statistics (ONS) gab es im Jahr 2020 7.423 alkoholbedingte Todesfälle, das sind 20 % mehr als im Vorjahr und die höchste jährliche Todesrate seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 2001.4

Referenzen:
1. Rumgay, H. et al. Global burden of cancer in 2020 attributable to alcohol consumption: a population-based study. The Lancet Oncology 22, 1071–1080 (2021).
2. Steffen, J., Schlichtiger, J., Huber, B. C. & Brunner, S. Altered alcohol consumption during COVID-19 pandemic lockdown. Nutrition Journal 20, 44 (2021).
3. Grossman, E. R., Benjamin-Neelon, S. E. & Sonnenschein, S. Alcohol Consumption during the COVID-19 Pandemic: A Cross-Sectional Survey of US Adults. Int J Environ Res Public Health 17, 9189 (2020).
4. Deaths from alcohol misuse in England and Wales hit 20-year high in 2020. the Guardian http://www.theguardian.com/society/2021/may/06/deaths-from-alcohol-misuse-in-england-and-wales-hit-20-year-high-in-2020 (2021).