Das Wachstum von Metastasen aus Primärtumoren ist multifaktoriell und kann von nicht-genetischen Faktoren, einschließlich des Lebensstils, abhängig sein. Die Rolle des Fettsäurestoffwechsels ist hierbei noch immer nicht gut verstanden.
Im letzten Beitrag hatte uns eine aktuelle Studie beschäftigt. Deren leitendes Institut, das Institute for Research in Biomedicine (IRB) Barcelona, zog folgendes Fazit: "Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass eine Ernährung, die reich an Palmöl ist, die Entwicklung von Krebs begünstigen könnte, selbst wenn die Exposition gegenüber dieser Fettsäure in einem sehr frühen Stadium der Krankheit erfolgt, in dem der Primärtumor möglicherweise noch nicht detektiert wurde. Die Wissenschaftler beobachteten, dass diese expansive und kolonisierende Fähigkeit durch den Verzehr von Palmitinsäure (die in Palmöl vorherrscht), nicht aber von Ölsäure (die in Olivenöl reichlich vorhanden ist) oder Linolsäure (charakteristisch für Leinsamen) erworben wird. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Aggressivität nicht nur mit dem Fettstoffwechsel zusammenhängt, sondern auch mit epigenetischen Veränderungen, die in den Tumorzellen als Reaktion auf die Exposition gegenüber Palmitinsäure auftreten".1
Die Veränderungen ermöglichten es metastasierenden Krebszellen, ein neuronales Netzwerk um den Tumor herum zu bilden, um mit Zellen in der unmittelbaren Umgebung zu kommunizieren und sich leichter zu verbreiten. Die Forscher hoffen, dass sich diese Kommunikation blockieren lässt und planen eine klinische Studie hierzu.2
Bedeutet dies, dass Palmöl aufgrund seines höheren Gehaltes an Palmitinsäure per se tumorfördernd ist? Dies käme einer übermäßigen Extrapolation oder Komplexitätsreduktion gleich, meint Dr. Kalyana Sundram, der um einen Kommentar zu der Studie gebeten wurde.3 Er hat einen PhD der Universität London in Nutritional Biochemistry und über 40 Jahre Erfahrung in der Ernährungsforschung, mit Schwerpunkt auf Fetten und Ölen, deren Verarbeitungstechnologien und biomedizinischen Anwendungen. Er koordinierte über 170 Forschungsprojekte in den USA, Europa und Australien und hält 21 Patente in diesen Bereichen.
Gleich eine seiner ersten Studien zu Palmöl fiel in eine Zeit, in der Nahrungsfette bereits ein heißes Thema waren. Sein Team untersuchte verschiedene Palmölfraktionen auf ihre krebserregende Wirkung in einem Rattenkrebsmodell. Hier erwies sich Palmöl im Vergleich zu den getesteten Vergleichsölen aus Mais und Soja als nicht tumorfördernd.4
Forscher fanden überdies heraus, dass die in Palmöl enthaltenen Vitamin-E-Tocotrienole und Carotine in einer Vielzahl von Zellkulturen und Tiermodellstudien sogar tumorhemmende Eigenschaften zeigten.5 Diese Ergebnisse lösten seinerzeit eine Debatte in umgekehrter Richtung aus: einzelne Stimmen drängten, Palmöl als krebshemmend zu bezeichnen, doch schon damals lehnte Dr. Sundram eine vereinfachte Schubladisierung in pro- oder antikanzerogen ab. Zurecht – sagt er auch heute. "Für mich und andere ähnlich gelagerte Forscher gab es so etwas wie ein krebsförderndes oder ein krebshemmendes Fett wirklich nicht. Bis heute hat sich diese Ansicht durchgesetzt und hält sich."3
Rotes Palmöl hat in den letzten Jahren sowohl Interesse als auch Kontroversen hervorgerufen – ähnlich wie Kokosnussöl, aber aus anderen Gründen. Debattiert wurden sowohl positive Effekte auf die Gesundheit6 als auch die möglichen negativen Auswirkungen seiner Herstellung auf die Umwelt.
Als jemand, der in internationalen Expertengremien und Ausschüssen wie dem Malaysian Palm Oil Council (MPOC) mitgewirkt hat, sieht Dr. Sundram hier ein Versäumnis: "Die Stakeholder der Palmölindustrie, die an dem Rohstoff reich geworden sind, müssen Farbe bekennen und einen Teil ihrer lukrativen Gewinne für nachhaltige Forschung ausgeben, auch wenn diese keine Aussicht auf finanzielle Erträge hat. Ich habe zum Beispiel niemanden aus der Branche gesehen, der sich an der Finanzierung von Forschungsarbeiten beteiligt hätte, die dazu beitragen könnten, die Relevanz dieser aktuellen Ergebnisse zu ermitteln, auch wenn sie auf den ersten Blick negativ für Palmöl sind."3
Letztlich gibt die Datenlage derzeit keine pauschalen Empfehlungen zur Meidung oder Bevorzugung bestimmter Fettsäuren her. Wie wir im ersten Teil dargelegt hatten, wäre das auch schwierig, weil Palmitinsäure die häufigste natürlich vorkommende gesättigte Fettsäure ist.
Dennoch sind diese Resultate wichtig, denn sie zeigen auf, was in einer Umgebung mit einem Überangebot an einer der regulären Fettsäuren passieren könnte.
Pflanzenöle und -fette bleiben somit ein kontroverses Thema. Bisher zeichnete sich ab, dass beispielsweise eine fettreiche, hochkalorische Ernährung die Tumorentstehung in präklinischen Krebsmodellen fördert und Fettleibigkeit mit einer hohen Aggressivität bestimmter Krebsarten einhergeht. Als zugrundeliegende Mechanismen werden Stoffwechselveränderungen und chronische Inflammation im Rahmen von Adipositas diskutiert.7 Eine veränderte Aufnahme von Fetten und Fettsäuren kann ein Kennzeichen der Progression von Krebs sein, gibt auch Dr. Sundram zu bedenken.
"Dennoch ist der Kenntnisstand auch heute noch so gering, dass eine gesundheitliche Warnung vor Fetten und Fettsäuren oder sie generell mit Krebs in Verbindung zu bringen, bisher nicht gerechtfertigt ist."
Die Forscher des IRB Barcelona äußerten, sich nach dieser Studie an Zellkulturen und Mäusen nicht weiter auf diese Fragen konzentrieren zu wollen. Sie haben es eilig, eine klinische Studie zu einem Antikörper auf den Weg zu bringen, der ein neues therapeutisches Target innerhalb dieses Signalweges blockiert – unabhängig von der Ernährung des Patienten.2 Hierfür erhielten sie kürzlich 30 Mio. Euro von privaten Investoren.2
Qualitativ hochwertige Öle aus gentechnikfreien, biologisch angebauten Pflanzen (Sie wollen keine Pestizidrückstände in Ihrem Öl) weisen eine hohe Dichte an Phytonährstoffen auf –Palmöl ist darüber hinaus frei von Transfetten (ein guter Ersatz für hydrogenierte Öle) und gut hitzestabil.8
Doch die Form, in der wir viele Pflanzenfette zu uns nehmen, ist häufig nicht mehr gesund. Ein zentraler Punkt ist der Verarbeitungsgrad: handelt es sich um unbehandelte (also native), kaltgepresste Öle (bei denen das Öl also rein durch mechanischen Druck gewonnen wird) oder haben wir es mit einem raffinierten bzw. durch Hitze oder Lösungsmittel extrahierten Öl zu tun? In letzterem Fall verliert das Öl während des Verarbeitungsprozesses die Mehrheit seiner wertvollen Nährstoffe, Vitamine und Fettsäuren. Zweitens bedient sich die chemische Extraktion Lösungsmitteln, wie Hexan (einem Abfallprodukt von Benzin). Die Samen oder das Fruchtfleisch werden in diesen Lösungsmitteln eingeweicht, um die Öle herauszuziehen. Im Öl können sich dann Rückstände von Mineralöl-Lösungsmitteln finden, die in den Körper aufgenommen werden. Um Stabilität, Geruch oder Verhalten des Öls bei verschiedenen Temperaturen oder Mischungen zu beeinflussen, werden – wie bei anderen Produkten auch – zuweilen noch synthetische Additive hinzugefügt, die ebenfalls Reaktionen hervorrufen können.
Abträgliche Effekte auf die Gesundheit, die primär durch den hohen Verarbeitungsgrad bedingt sind, kennen wir auch von tierischen Fetten. So wurde ein übermäßiger Verzehr von hoch verarbeitetem Fleisch (Frankfurter oder Wiener Würstchen, Fastfoood-Burger) unter anderem mit einem erhöhten Risiko für kolorektale Karzinome in Verbindung gebracht, ohne dass dies bedeutet, dass tierisches Fett oder Fleisch per se immer schädlich sein müsse.3
Wenn es um Stoffwechsel und Krebs geht, wäre zu wünschen, dass dem übermäßigen Konsum von verarbeiteten Lebensmitteln, Kohlenhydraten und insbesondere von Zucker, der in unserer modernen Gesellschaft weit verbreitet ist, mehr Aufmerksamkeit geschenkt wird. Einer der renommiertesten Tumorbiologieforscher auf diesem Feld ist Prof. Thomas Seyfried, PhD, dessen hochspannende Arbeit und Empfehlungen für Krebspatienten wir in diesem Beitrag kurz vorgestellt hatten.9,10 Er ist Autor von "Cancer as a Metabolic Disease", ein Werk, das unser Verständnis des Tumorstoffwechsels revolutioniert hat. Prof. Seyfrieds jahrzehntelange Laborarbeit hat Otto Warburgs These wiederbelebt, dass Krebs eine Erkrankung der Mitochondrien ist. Er hat einzigartige Tiermodelle entwickelt, um die Prozesse der Inflammation, der Angiogenese und der Lipidbiochemie aufzuklären und ist mitverantwortlich für das erneuerte Interesse an Kalorienrestriktion, Fasten und ketogener Ernährung.11
Referenzen:
1. Palmitic acid promotes cancer metastasis and leaves a more aggressive “memory” in tumour cells. https://www.irbbarcelona.org/en/news/scientific/palmitic-acid-promotes-cancer-metastasis-and-leaves-more-aggressive-memory-tumour.
2. Researchers discover link between dietary fat and the spread of cancer. https://medicalxpress.com/news/2021-11-link-dietary-fat-cancer.html.
3. Datuk Dr. Kalyana Sundram. Palm Oil in the Cancer Spotlight. Also appeared on. https://www.bernama.com/en/thoughts/news.php?id=2024870 (2021).
4. Sundram, K., Khor, H. T., Ong, A. S. & Pathmanathan, R. Effect of dietary palm oils on mammary carcinogenesis in female rats induced by 7,12-dimethylbenz(a)anthracene. Cancer Res 49, 1447–1451 (1989).
5. Absalome, M. A. et al. Biochemical properties, nutritional values, health benefits and sustainability of palm oil. Biochimie 178, 81–95 (2020).
6. May, C. Y. & Nesaretnam, K. Research advancements in palm oil nutrition. Eur J Lipid Sci Technol 116, 1301–1315 (2014).
7. Obesity and Cancer. https://hms.harvard.edu/news/obesity-cancer.
8. Sustainable Malaysian Palm Oil. Palm Oil Health - Sustainable Malaysian Palm Oil https://www.palmoilhealth.org/.
9. Metabolic Health Summit - MHS Video Interviews. https://mailchi.mp/metabolichealthsummit/videoaccess.
10. Metabolic Health Summit auf Instagram: The Metabolic Theory of Cancer. https://www.instagram.com/tv/CJWk1W_AZAD/?igshid=6y8hlycn5n1i.
11. The Moss Report: Cancer As A Metabolic Disease with Thomas N. Seyfried. https://themossreport.libsyn.com/cancer-as-a-metabolic-disease-with-thomas-n-seyfried.