Daten einer aktuellen Studie zeigen, dass ein Fünftel der Krebspatienten in den Monaten nach Diagnosestellung eine PTSD entwickelt und dass Viele noch Jahre später mit dieser Störung kämpfen.
Der Begriff PTSD (posttraumatische Belastungsstörung) lässt primär an Menschen denken, die ein Trauma – wie einen schweren Unfall, eine Naturkatastrophe oder einen Krieg – miterlebt haben. Treffen kann es jedoch jeden, der Gewalt oder eine ernste Bedrohung seines Lebens durchmachen musste.
2018 erschien in der Zeitschrift der American Cancer Society eine der wenigen prospektiven Studien zur Inzidenz von PTSD bei Krebspatienten. Ein halbes Jahr nach Diagnosestellung lebten 21,7% der 469 Patienten mit PTSD.1,2 Die Gesamtraten sanken zwar über die Zeit (auf 6,1% zum spätesten Follow‑Up-Zeitpunkt nach 4 Jahren), doch bei einem reichlichen Drittel der initial mit PTSD Diagnostizierten bestand die Störung auch weiterhin oder hatte sich sogar verschlechtert.
Viele Patienten glauben, sie müssten eine Kämpfermentalität annehmen und optimistisch bleiben, um ihren Krebs besiegen zu können. Psychologische Unterstützung in Anspruch zu nehmen, wird von manchen Patienten fälschlich mit dem Eingeständnis von Schwäche gleichgesetzt. Auch werden Psychologen zuweilen nicht als Coach oder Begleiter wahrgenommen, sondern – gerade von älteren Patienten – schnell mit Psychiatrie und deren alten Stigmata in einen Topf geworfen. Vielleicht kommt Ihnen folgende Reaktion (auf das Angebot, ein Gespräch mit einem Psychologen zu vereinbaren) bekannt vor: "Jetzt bin ich schon schwer krank und nun soll ich auch noch verrückt sein!".
Erstautorin Dr. Chan, PhD, von der Universität Malaysia wünscht sich eine Veränderung dahingehend, dass mehr Patienten es als etwas Normales oder Selbstverständliches betrachten, zur Bewältigung der emotionalen Belastung professionelle Hilfe zu suchen – insbesondere bei Depressionen, Ängsten und PTSD nach Krebs.
Dr. Chan betont besonders die Angst vor dem Rezidiv, mit der die Patienten häufig leben. Viele fürchten bei jedem Knoten und jeder Beule, jedem Ziehen oder Schmerz, Müdigkeit oder Fieber, der Krebs könne zurück sein. Eine allzu verständliche Reaktion.
Zusätzlich zeigen manche Patienten ein Vermeidungsverhalten: sie gehen ungern oder gar nicht zu onkologischen Kontrollterminen oder Ärzten generell, vielleicht wegen unangenehmer Erinnerungen an ihre vergangene Erfahrung mit dem Krebs. Dies kann jedoch dazu führen, dass auch für neue Symptome erst spät ärztliche Hilfe aufgesucht oder keine Behandlung – selbst für vom Tumor völlig unabhängige Erkrankungen – in Anspruch angenommen wird.2
Auch andere Lebensbereiche können erheblich leiden: langjährige Lebensansichten können sich zum Negativen verändern und von PTSD Betroffene pessimistisch und misstrauisch gegenüber dem Leben generell werden. Auch nahe Beziehungen können erschüttert werden – Patienten verschließen sich vielleicht oder können über bestimmte Dinge nicht sprechen. Situationen, die an das ursprüngliche Trauma erinnern, können Flashbacks und Alpträume triggern. Viele beschreiben einen Zustand permanenter Nervosität oder Habachtstellung und können sich z. B. nicht mehr gut konzentrieren oder schlafen.
Die gute Nachricht ist, dass PTSD in vielen Fällen sehr gut behandelbar ist. Ein interessanter Aspekt der Studie war: im Vergleich zu Patienten mit anderen Neoplasien hatten Brustkrebs-Patienten ein halbes Jahr nach Diagnose eine fast 4 Mal niedrigere Wahrscheinlichkeit für PTSD, nicht aber nach 4 Jahren. Dies könnte daran liegen, dass das Zentrum, an dem alle Patienten der Studie rekrutiert wurden, ein spezielles Programm zur Mitbetreuung und Beratung, hauptsächlich für Brustkrebs-Patienten im ersten Jahr nach Diagnosestellung, anbietet.
Auch Krebspatienten ohne PTSD könnten häufig von einer solchen Begleitung profitieren. Diagnose und Therapie von Tumorerkrankungen verursachen großen Stress und zahlreiche Daten unterstreichen, dass Krebspatienten mit depressiven Coping-Strategien einen beschleunigten Krankheitsprogress erleben können, während Optimismus und sozialer Rückhalt mit einem längeren geschätzten Überleben assoziiert sind.3 Wie sehr sich ein erfolgreiches Management von psychischer Belastung und negativen Emotionen für Outcome und Lebensqualität auszahlt und welche einfachen Interventionen sich in Studien als wirksam gezeigt haben, erfahren Sie im Beitrag Psyche, Stress und Krebs (Teil II) – Effektive Interventionen, große Wirkung.
Referenzen:
1. Chan, C. M. H. et al. Course and predictors of post-traumatic stress disorder in a cohort of psychologically distressed patients with cancer: A 4-year follow-up study. Cancer 124, 406–416 (2018).
2. Many Cancer Survivors Are Living with PTSD | Wiley News Room – Press Releases, News, Events & Media. Available at: https://newsroom.wiley.com/press-release/cancer/many-cancer-survivors-are-living-ptsd. (Accessed: 3rd January 2019)
3. Antoni, M. H. et al. The influence of bio-behavioural factors on tumour biology: pathways and mechanisms. Nature Reviews Cancer 6, 240–248 (2006).