Was beschäftigt Ärztinnen im Beruf?

Von welchen Herausforderungen werden Frauen in diesem Beruf besonders in Anspruch genommen? Wie gehen sie mit Elternschaft, beruflichen Belastungen und Beziehungsthemen um?

Von welchen Herausforderungen werden Frauen in diesem Beruf besonders in Anspruch genommen? Wie gehen sie mit Elternschaft, beruflichen Belastungen und Beziehungsthemen um?

Heute soll es einmal nicht um ein onkologisches, sondern ein fächerübergreifendes Thema gehen. Medscape führt immer wieder interessante Umfragen unter seinem großen Mitgliederstamm von Ärzten durch und veröffentlicht diese in Form von, teils sogar jährlichen, Berichten. Die Themen reichen von Zufriedenheit am Arbeitsplatz und Burnout (wir berichteten), bis hin zu Einkommenssituation, psychischen Problemen und Lebensstil.

Für einen neuen, vor wenigen Tagen publizierten Bericht hat Medscape dreitausend Ärztinnen dazu befragt, vor welche Herausforderungen ihr Beruf sie stellt.1
Leider liegt aktuell noch kein solcher Bericht für Männer vor – aber was nicht ist, kann ja noch werden. Viele der geschilderten Sorgen sind sicherlich allen Ärzten ein Stück weit gemeinsam, doch einige Themen beschäftigen Frauen möglicherweise stärker.

Die Crux mit der Work-Life-Balance

Bevor wir einen Blick auf die einzelnen Kategorien werfen, schauen wir zunächst auf die Gesamtwertung. Wenig überraschend: die Work-Life-Balance wurde mit Abstand am häufigsten (von zwei Dritteln der Ärztinnen) als das größte mit ihrem Beruf verbundene Problem genannt. Ebenfalls häufig kamen Stichworte wie "Verdienst", "der Spagat zwischen Mutter sein und Arbeit", "Autonomie", "durch Hilfsberufe ersetzt werden“, „Burnout", „Ängste bezüglich der fachlichen Leistung“, „das konzernartige Wesen unserer neuen Leitung", "elektronische Patientenakte und administrativer Unsinn" und "Erstattungen der Krankenkassen."

Ein großes Problem, was alle Ärzte kennen, wurde auch hier angesprochen: dass es nicht immer gelingt, in der Freizeit nicht im Kopf weiter zu arbeiten. "Ich versuche, anwesend zu sein, wenn ich zu Hause bin, aber um ehrlich zu sein, schaffe ich es nicht so gut" (Hausärztin).

Fast alle (94%) bejahten die Frage, ob sie im Privatleben Kompromisse eingegangen sind, um Jobanforderungen gerecht zu werden. Dies galt auch für die Gegenrichtung, wie eine Kardiologin ausdrückte: "Frauen gehen wahrscheinlicher zum Wohle ihrer Familie Kompromisse im Beruf ein." "Ich würde/ kann keine Stelle annehmen, die die gesellschaftlichen Beziehungen meines Mannes, die Schulausbildung meiner Kinder und Beziehungen mit Familienangehörigen stören würde. Dies limitiert meine Möglichkeiten signifikant." Dies führt uns direkt zum nächsten Punkt.

Finanzen & Fächerwahl

Nach der Work-Life-Balance rangierte das Einkommen an Platz 2 der wichtigsten Anliegen. Da hier ausschließlich amerikanische praktizierende Ärztinnen befragt wurden, ist manches vielleicht nicht 1:1 auf hiesige Verhältnisse übertragbar. Doch in der Umfrage spiegelte sich wider, dass Frauen aufgrund ihres familiären Engagements seltener in Fächer und Positionen gehen, die damit kollidieren würden. Dies könnte ein wichtiger Grund dafür sein, warum sie in einigen der am besten verdienenden Fachrichtungen deutlich weniger vertreten sind. In den USA wären das: Orthopädie (9% Frauen), Urologie (12%), Kardiologie (14%), Plastische Chirurgie (19%) und Gastroenterologie (21%).
"Einigen Frauen passt die betreuende langfristige Beziehung in der Allgemeinmedizin gut, aber dann sind sie in einem Feld, was weniger gut bezahlt wird." (Hausärztin)

Viele Frauen wählen Fächer, in denen Arbeitszeiten flexibler sind.

"Die gesellschaftliche Sichtweise von Frauen als Betreuerinnen ist stark. Frauen haben das Gefühl, sie sollten Spezialisierungen wählen, in denen sie in Teil- oder Gleitzeit arbeiten können, um zu Hause der primäre Versorger zu sein." (Radiologin)
Die häufigsten Fachrichtungen unter den Befragten waren: Pädiatrie (17%), Allgemeinmedizin (15%), Innere Medizin (10%), Psychiatrie (8%), Frauenheilkunde (7%), Anästhesie (5%) und Notfallmedizin (5%). Aus den o. g. am besten verdienenden Fächern kamen in dieser Kohorte nur je ≤1%.

"Frauen versuchen, Zuhause und Arbeit auszubalancieren, deshalb neigen wir dazu, flexiblere, weniger eingriffsorientierte (also auch weniger gut bezahlte) Fachrichtungen zu wählen." (Endokrinologin)
Etwas mehr als eine von drei Umfrageteilnehmerinnen empfand, dass ihr Geschlecht sich nachteilig auf ihren Verdienst auswirkt. Der diesjährige Vergütungsbericht für Ärzte von Medscape ergab, dass männliche Fachärzte 31% mehr und männliche Primärärzte 25% mehr verdienen als weibliche.2

Die Umfrage zeigte aber auch einen weiteren Grund für niedrigeres Gehalt auf: viele Frauen trauen sich nicht, zu verhandeln oder fühlen sich darin weniger kompetent als Männer. Nur 30% verhandelten überhaupt! Bei den Männern dagegen fast jeder Zweite (46%).

Spagat zwischen Arbeit und Familie

Fast zwei Drittel (63%) beantworteten die Frage, ob berufsbedingtes Burnout sich nachteilig auf ihre engen Beziehungen auswirkt, mit ja. Wie viel Prozent überhaupt in einer Beziehung leben, wurde nicht angegeben.

"Ich habe versucht, all meine Freizeit dazu zu nutzen, Zeit mit meinem Mann zu verbringen. Ich entschuldige mich ständig dafür, zu spät dran zu sein, wegen des Dienstplans nicht zu einer Veranstaltung gehen zu können und Teile des Zusammenlebens zu verpassen." (Psychiaterin)

Etwas mehr als die Hälfte (52%) der Ärztinnen sagt auch, dass die Arbeit beeinflusst hat, wie viele Kinder sie haben. "Ich habe meiner Karriere wegen die Familiengründung hinausgeschoben. Dies beeinträchtigte meine Fertilität und machte es schwer, eine IVF abzuschließen." (Allgemeinärztin)

"Sich um älter werdende Eltern zu kümmern, ist auch eine große Sorge von Frauen über 45 Jahren", sagte eine Kardiologin.

Von der Schwierigkeit, man selbst zu sein

Interessant war auch, dass mehr als die Hälfte (59%) der Ärztinnen der Ansicht waren, sie müssten ihre Persönlichkeit verändern oder sich auf Arbeit anders verhalten, um ernst genommen zu werden. Diese Antwort gaben vor allem Frauen unter 45 Jahren.
"Wenn Frauen jung und hübsch aussehen, gebieten sie zuweilen nicht viel Respekt." (Notärztin)

"Während die offenkundige Diskriminierung, die in der Vergangenheit verbreiteter war, sich wesentlich gebessert hat, ist ein subtiler systemischer Sexismus immer noch vorhanden. Beispiel: Männliche Kollegen werden Dr. X genannt, ich werde mit Vornamen genannt." (Endokrinologin)

"Zu Beginn meiner Laufbahn habe ich Schikane erlebt, aber je älter und erfahrener ich wurde, desto seltener kam dies vor." (Gynäkologin)

Referenzen:
1. Women Physicians 2020: The Issues They Care About. Medscape //www.medscape.com/slideshow/2020-women-physicians-6013042.
2. Medscape Physician Compensation Report 2020. Medscape //www.medscape.com/slideshow/2020-compensation-overview-6012684.