Der 1992 geschaffene Weg der beschleunigten Zulassung wurde ursprünglich für HIV-Medikamente benutzt. Doch in den vergangenen 10 Jahren erfolgten 85% der beschleunigten Zulassungen für onkologische Medikamente.
Mehr als 155 beschleunigte Zulassungen wurden für onkologische Indikationen erteilt, und nur 10 davon (einschließlich vier Anti-PD-1- und Anti-PD-L1-Antikörper-Indikationen) wurden wieder zurückgezogen. Bestätigende Studien sollten zum Zeitpunkt der beschleunigten Zulassung bereits laufen, um eine rechtzeitige Reevaluation sicherzustellen, schreiben die Autoren eines aktuellen Beitrages im New England Journal of Medicine (NEJM).1
Beschleunigte Zulassungen erfolgen zuweilen auf Grundlage einarmiger Studien und schneller erhebbarer Surrogatendpunkte. Eine oder mehrere mit der gebotenen Sorgfalt durchgeführte Bestätigungsstudien sind dann erforderlich, um den klinischen Nutzen des Arzneimittels zu bestätigen. Wenn diese Studien dieses Ziel nicht erreichen, sich erheblich verzögern oder gar nicht durchgeführt werden, kann die Zulassung für die betreffende Indikation zurückgezogen werden.
Eine 2019 in der Zeitschrift Nature erschienene Auswertung2 hatte bereits aufgezeigt, dass beschleunigte Zulassungen, insbesondere im Bereich der Immun-Checkpoint-Inhibitoren, teils über lange Zeit bestehen bleiben, auch wenn bestätigende Prüfungen fehlen oder zwischenzeitlich sogar negative Ergebnisse erschienen sind, wir berichteten.
Um nur zwei Beispiele für beide Konstellationen zu nennen: bei Nivolumab zur Therapie des Melanoms betrug die Zeitspanne auf dem US-Markt in Abwesenheit weiterer Daten zur Wirksamkeit nach der Markteinführung knapp vier Jahre (Dezember 2014 bis Oktober 2018).
Atezolizumab erhielt im Mai 2016 eine beschleunigte Zulassung, seit Mai 2017 lagen Ergebnisse aus klinischen Studien vor, die keine Verbesserung des Gesamtüberlebens zeigten, dennoch blieb es für mehrere weitere Jahre für Patienten verfügbar, während der Hersteller, Roche, in anderen Studien und Kombinationen nach einem Benefit suchte. Erst im März 2021 entzog die FDA schließlich die Zulassung.3
In dem damaligen Artikel in der Nature wurden noch viele weitere, ähnlich gelagerte Fälle benannt.2
Ein weiteres Problem besteht darin, dass beschleunigte Zulassungen für "unmet needs" – also ernste oder lebensbedrohliche Erkrankungen, für die noch keinerlei Therapie zur Verfügung steht – gedacht waren, aber bei etlichen der onkologischen Schnellzulassungen lag diese Voraussetzung nicht mehr vor, da Medikamente mit gleichem oder sehr ähnlichem Wirkmechanismus und vergleichbaren Ergebnissen bereits für diese Indikation zugelassen waren.2
Daran appellieren auch die Verfasser des aktuellen Beitrages im NEJM: "Wenn eine Studie keinen Nutzen bestätigt, sollte – bevor über weitere konfirmatorische Studien diskutiert wird – der medizinische Bedarf und die verfügbaren Therapien reevaluiert werden, um festzustellen, ob die Bedingungen für eine beschleunigte Zulassung noch gegeben sind. Während die Bestätigungsstudie läuft, können andere Medikamente für dieselbe Krankheit über das reguläre [also nicht beschleunigte] Zulassungsverfahren zugelassen werden."
Sie führen weiter aus: "In einem wettbewerbsorientierten Feld, in dem mehrere Unternehmen Medikamente für die gleichen oder ähnliche Indikationen entwickeln, können sich die verfügbaren Therapien und die Definition eines "ungedeckten medizinischen Bedarfs" im Laufe einer Bestätigungsstudie oder während der Überprüfung eines Antrags auf beschleunigte Zulassung ändern".
Auf die vier oben erwähnten zurückgezogenen Indikationen traf dies zu: Wettbewerber (andere Antikörper in der gleichen Klasse) erhielten für dieselbe Erkrankung auf regulärem Wege die Zulassung.1
In den letzten 6 Jahren hat die FDA sechs Antikörper gegen PD-1 oder PD-L1 für mehr als 75 Indikationen zugelassen. Von den ersten 76 Zulassungen nahmen 35 den beschleunigtem Weg. Für 10 der Indikationen, von denen sich einige wiederholten oder ähnelten, konnten die geforderten Studien am Ende keinen Nutzen bestätigen, dennoch blieb die Zulassung bestehen; diese Zulassungen werden als "dangling" accelerated approvals bezeichnet.1
Von den zehn "in der Schwebe" befindlichen beschleunigten Zulassungen erfolgten neun auf Basis einarmiger Studien, deren Endpunkte die Ansprechrate und die -dauer waren. Sieben dieser Studien zeigten Ansprechraten von 10 bis 20%, aber erhielten aufgrund der langen Dauer des Ansprechens dennoch die Zulassung. Insbesondere bei Anti-PD-1- und Anti-PD-L1-Antikörpern hat die Erfahrung aber inzwischen gezeigt, dass die so gewonnenen Daten doch keinen so guten Vorhersagewert für einen letztendlichen klinischen Vorteil (Verlängerung des Überlebens) hatten. Dies "wirft Fragen zu den marginalen Ansprechraten auf, die in einarmigen Studien für beschleunigte Zulassungen für diese Medikamentenklasse beobachtet wurden", äußern die Autoren im NEJM.1
Referenzen:
1. Beaver, J. A. & Pazdur, R. “Dangling” Accelerated Approvals in Oncology. New England Journal of Medicine 0, null (2021).
2. Gill, J. & Prasad, V. A reality check of the accelerated approval of immune-checkpoint inhibitors. Nat Rev Clin Oncol 1–3 (2019) doi:10.1038/s41571-019-0260-y.
3. Atezolizumab Indication in US Withdrawn for Previously Treated Metastatic Urothelial Cancer. Cancer Network https://www.cancernetwork.com/view/atezolizumab-indication-in-us-withdrawn-for-previously-treated-metastatic-urothelial-cancer.