Sektorenübergreifende Versorgung in der Psychiatrie

Die Übergänge zwischen den Sektoren möglichst reibungslos zu gestalten, ist ein Dauerbrenner in der gesundheitspolitischen Diskussion. Der Fokus liegt auf den somatischen Erkrankungen, doch ein Blick auf die psychiatrische Versorgung kann lohnen; denn die Ausrichtung auf eine gemeindenahe koordinativ abgestimmte Versorgung wurde bereits in der Psychiatrie-Enquete 1975 verankert. Heute geht es auch darum, das Erfahrungswissen der Patienten strukturell einzubinden.

Die Übergänge zwischen den Sektoren möglichst reibungslos zu gestalten, ist ein Dauerbrenner in der gesundheitspolitischen Diskussion. Der Fokus liegt auf den somatischen Erkrankungen, doch ein Blick auf die psychiatrische Versorgung kann lohnen; denn die Ausrichtung auf eine gemeindenahe koordinativ abgestimmte Versorgung wurde bereits in der Psychiatrie-Enquete 1975 verankert. Heute geht es auch darum, das Erfahrungswissen der Patienten strukturell einzubinden. 

Dieser Blog greift keine Verbesserungspotenziale in der psychiatrischen Versorgung auf, sondern die strukturellen Besonderheiten gegenüber der somatischen Versorgung. So wurden mit der Psychiatrie-Enquete Psychiatrische Institutsambulanzen (PIA) auf den Weg gebracht, die den Fachkliniken und Allgemeinkrankenhäuser mit psychiatrischer Fachabteilung angegliedert sind (§ 118 SGB V). Mittlerweile existieren sie flächendeckend. PIA richten sich an Patienten mit schweren psychischen Erkrankungen. Sie ermöglichen eine krankenhausnahe Nachsorge und sollen "unnötige" (Wieder-)Aufnahmen vermeiden. Teils werden sie aufsuchend tätig. Ihre Finanzierung erfolgt außerhalb des kassenärztlichen Versorgungsauftrags.

Derzeit verhandeln der GKV-Spitzenverband, die Kassenärztliche Bundesvereinigung und die Deutsche Krankenhausgesellschaft über psychosomatische Institutsambulanzen (PsIA). Basis ist das Gesetz zur Weiterentwicklung der Versorgung und Vergütung für psychiatrische und psychosomatische Leistungen (PsychVVG) von 2016. Mit dem Gesetz wurde zudem die Möglichkeit einer stationsäquivalenten Krankenhausbehandlung geschaffen (§ 39 Abs. 1 SGB V). Dies bedeutet, dass ein mobiles, ärztlich geleitetes multiprofessionelles Behandlungsteam den psychiatrischen Patienten im häuslichen Umfeld behandeln darf (§ 115d SGB V). Eine Option, die laut MDK-Magazin rund 20 Krankenhäuser im ersten Quartal 2019 nutzten.

Im Unterschied zur Institutsambulanz erfordert die stationsäquivalente Behandlung keine Ermächtigung durch den Zulassungsausschuss für die vertragsärztliche Versorgung, sondern ist Teil der Krankenhausbehandlung. Um das Home-Treatment zu realisieren, kann das Krankenhaus u.a. niedergelassene Psychiater und Psychotherapeuten einbeziehen (§ 115d SGB V).

Für die Behandlung ist das biopsychosoziale Krankheitsmodell wegweisend. Im Prinzip gilt dies für alle Krankheiten, doch erfahren die psychosozialen Faktoren in der Psychiatrie höheres Gewicht. Die Kommunen sind mit niederschwelligen Angeboten der Sozialpsychiatrischen Dienste und der Psychiatriekoordination i.d.R. aktiv in das Versorgungsgeschehen eingebunden, einschließlich der Hilfeplanung für schwer erkrankte und behinderte Menschen. Ihre Leistungen sind Teil der Daseinsvorsorge, um die gemeindespsychiatrische Versorgung zu sichern und zu steuern.

Im neuen ICD 11, der im Mai 2019 von der WHO verabschiedet wurde, werden soziale Faktoren insgesamt stärker berücksichtigt (Kapitel V: Supplementary section for functioning assessment. Krankheitsunabhängig können künftig Funktionsprofile eines Patienten erstellt werden, die u.a. auf kognitive Fähigkeiten, Teilhabe und Lebensaktivitäten Bezug nehmen. Der ICD 11 soll ab 2022 gelten.

Als "sprechende" Medizin stützt sich die Psychiatrie auf den Dialog mit Patienten. Sie sind Experten in eigener Sache. Im Trialog wird zusätzlich die Perspektive der Angehörigen einbezogen. Aus dem Ansatz, das Erfahrungswissen der Betroffenen in die Behandlung zu integrieren, hat sich ein neues Berufsbild entwickelt: Genesungsbegleiter sind ehemalige Patienten, die psychisch erkrankten Menschen helfen. Sie zeigen Verständnis, bieten Orientierung im professionellen Hilfesystem und machen anhand ihres eigenen Beispiels deutlich, dass es Wege aus der Krise gibt.

Voraussetzung, um als Genesungsbegleiter gegen Entgelt in einer Einrichtung tätig werden zu können, ist eine EX-IN-Ausbildung (experienced-involvement). Die Refinanzierung erfolgt oft aus Projekt- und Fördermitteln, beispielsweise über Kooperationsverträge (Modellprojekte) mit den Krankenkassen. "Ziel sollte jedoch eine geregelte Finanzierung sein, ähnlich wie bei anderen Ausbildungsberufen", sagt Professor Andreas Heinz, Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie an der Charité Berlin und Präsident der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN), denn nur so lasse sich die Begleitung konsequent in das Behandlungskonzept integrieren. Inwieweit es tatsächlich zu einer Änderung kommt, ist offen. Die Psychiatrie-Personalverordnung wird derzeit im Gemeinsamen Bundesausschuss überarbeitet.

Praxisbeispiele zur Genesungsbegleitung, z.B. in:
Steinhart I, Wienberg G (Hrsg.): Rundum ambulant. Funktionales Basismodell psychiatrischer Versorgung in der Gemeinde, 2017