Autoimmunphänomene infolge der Krebstherapie mit Checkpoint-Inhibitoren

Checkpoint-Inhibitoren in der Krebstherapie setzen das stellgelegte Immunsystem wieder in Gang. Doch ein Immun­system, dessen Bremse gelöst wird, richtet sich oftmals auch gegen den eigenen Körper. So treten bei 70% der Patienten Autoimmunitätsphänomene auf.

Viele ausgelöste Arthritiden vermutlich nie als Nebenwirkung erkannt

Checkpoint-Inhibitoren in der Krebstherapie setzen das stellgelegte Immunsystem wieder in Gang. Doch ein Immun­system, dessen Bremse gelöst wird, richtet sich oftmals auch gegen den eigenen Körper und es treten Autoimmunitätsphänomene auf. Wie Prof. Dr. Hendrik Schulze-Koops, Medizinische Klinik und Poliklinik IV des Klinikums der LMU München, beim Kongress der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie im Mannheimer Rosengarten deutlich machte, sind 70% der Patienten davon betroffen.

Charakteristisch für Checkpoints ist, dass sie Regulatoren der Immunaktivierung und Rezeptoren auf der Membran von Z-Zellen sind.

Pro-inflammatorisch sind das:

Anti-inflammatorisch (dämpfen die T-Zell-Aktivität):

Die Grundidee, Tumoren über ein aktiviertes Immunsystem anzugreifen, ist schon alt. 1868 berichteten Busch et al. in der Berliner Klinischen Wochenzeitschrift, dass bei einem Patienten nach Auftreten eines Erysipels eine hämorrhagische Nekrose seines Sarkoms einsetzte. 1882 wurde in derselben Zeitschrift berichtet, dass 3 von 7 Tumorpatienten nach Injektion von Stept. Pyogenes in Remission gingen, allerdings überlebten sie die Therapie nicht. 1893 wurde ein Therapieerfolg mit Coley's Toxin (Kultur von Streptococcus und Serratia) berichtet. 1996 schließlich gelang P. Allison ein erster Therapieerfolg mit Antikörpern gegen CTLA-4.

Derzeit zugelassene Checkpoint-Inhibitoren zur Tumortherapie sind:

 Substanz

 Checkpoint-Target

 Indikationen

 Erstzulassung

 Pembrolizumab

 PD-1

 Nicht-kleinzelliges   Bronchialkarzinom,   Melanom,
 Hodgkin Lymphom

 2015
 2014

 2017

 Nivolumab

 PD-1

 Hodgkin-Lymphom
 Nierenzellkarzinom
 Nicht-kleinzelliges   Bronchialkarzinom
 Melanom
 Kopf-Hals CA

 2016
 2015
 2014

 2013
 2016

 Atezolizumab

 PD-L1

 Urothelkarzinom
 Nicht-kleinzelliges   Bronchialkarzinom

 2016

 2016

 Durvalumab

 PD-L1

 Urothelkarzinom

 2017

 Avelumab

 PD-L1

 Merkelzell-Karzinom

 2017

 Ipilimumab

 CTLA-4

 Melanom (in   Kombination mit   Nivolumab)
 Melanom

 2014

 2011

Unter der Kombinationstherapie Nivolumab plus Ipilimumab zeigen 95,8% der Patienten Nebenwirkungen, 56,5% davon Nebenwirkungen der Grade 3 und 4 (Brahmer JR et al. J Clin. Oncol 2018). Unter Ipilimumab liegen die Nebenwirkungen bei 85,9% und 27% (für Grad 3 und 4) und unter Nivolumab bei 84% bzw. 19,8%. Von den Immunbezogenen Nebenwirkungen können alle Organsysteme betroffen sein. Üblicherweise treten die Autoimmunphänomene 3 bis 6 Monate nach Therapiebeginn auf.

Studien (Cappelli LC et al. Rheum Dis Clin North Am 2017) berichten über Autoimmunitätsphänomene unter Checkpoint-Inhibitoren in folgender Größenordnung:

Arthralgie: 1 bis 43%
Arthritis klinisch: 1 bis 7%
Arthritis Imaging (CT, PET): 3,4%
Myalgie: 2 bis 21%
Sicca Syndrom: 3 bis 24%
Einzelfälle: Vaskulitis, SLE-ähnlich, PMR-ähnlich, Sarkoidose

Schulze-Koops betont, dass vermutlich ein starker Bias hin zum "Underreporting" von Nebenwirkungen vorliegt. Viele Krebs­patienten mit milden Gelenkbeschwerden würden vermutlich gar nicht bei einem Rheumatologen vorgestellt werden.

Durch Checkpoint-Inhibitoren ausgelöste Arthritiden:

Männer und Frauen sind von Arthritiden, die durch Checkpoint-Inhibitoren ausgelöst werden, gleich häufig betroffen.

Rheumabehandlung unter Checkpoint-Inhibitor-Therapie

Tatsächlich weisen die Patienten, die gut auf die Checkpoint-Inhibition ansprechen, häufig verstärkt Autoimmunphänomene auf (Kostine M et al. EULAR 2018). Die bundesweite, retrospektive Studie von Tison et al. (EULAR 2018) bezog Patienten ein, die trotz präexistierender Autoimmunerkrankung (PAD) Checkpoint-Inhibitor-Therapie (ICI) erhielten.

Eingeschlossen waren 112 Patienten: 64 Männer (57,1%), mittleres Alter 66,5 Jahre. Die meisten Patienten erhielten ein Anti-PD1- oder Anti-PD-L1-Medikament (84,8%). Die wichtigsten Krebsarten waren Melanom (n=66, 58,9%) und nicht-kleinzelliges Lungenkarzinom (NSCLC) (n=40; 35,7%). Die mediane Nachbeobachtung betrug 8 Monate.

Die häufigsten PAD waren Psoriasis und Psoriasis-Arthritis (27,6%), Rheumatoide Arthritis (17,8%), entzündliche Darmerkrankungen (12,5%), Spondyloarthritis (4,5%), Lupus (6,3%), Polymyalgia rheumatica und/oder Riesenzellarteriitis (6,3%). 24 Patienten (21,6%) erhielten bei der ICI-Initiation eine immunsuppressive Therapie (IS) (einschließlich Steroide bei 15, sDMARD bei 10 und Rituximab bei 1). 37 Patienten (33%) hatten eine aktive Erkrankung. PAD-Flares waren häufig (n=47; 42%) und 30,4% von ihnen waren schwer (Grad CTCAE 3-4).

Multidisziplinäres Management von Autoimmunphänomenen ist notwendig

Was die antitumorale Reaktion betrifft, so betrug die Gesamtansprechrate (ORR) 48,3% für das Melanom und 53,8% für das NSCLC. Der Median des progressionsfreien Überlebens (PFS) betrug 12,4 Monate für Melanome und 9,7 Monate für NSCLC. Das mediane Gesamtüberleben (OS) wurde in keiner Gruppe erreicht. PFS und OS waren bei Patienten, die bei der ICI-Initiation eine immunsuppressive Therapie (IS) erhielten, kürzer (p=0,007). PFS und OS waren bei Patienten, die eine PAD-Flare oder eine andere IRAE hatten, länger, aber dieser Gewinn ging verloren, wenn eine IS zur Behandlung der Flare/Autoimmunphänomene verwendet wurde.

PAD-Flares und andere IRAEs waren während der ICI-Therapie häufig und können schwerwiegend sein. Das mediane Gesamtüberleben, das ORR und das progressionsfreie Überleben scheinen bei Patienten mit PAD hoch zu sein. Das Auftreten eines Flare bzw. eines Autoimmunphänomens ist mit einem besseren Ergebnis der Tumortherapie verbunden. Wird eine immunsuppressive Therapie eingesetzt, geht dieser Gewinn verloren. Eine Unterbrechung der ICI wiederum hat keinen Einfluss auf das progressionsfreie Überleben. Weitere prospektive Studien sind notwendig, um unsere Ergebnisse zu bestätigen.

Ein optimales multidisziplinäres Management von Autoimmunphänomenen ist notwendig, um positive Reaktionen bzw. das Ansprechen auf die Tumortherapie aufrechtzuerhalten. Eine Monarthritis z.B. wird deshalb mit NSAID, Glukokortikoiden oder MTX behandelt, eine Oligo-oder Polyarthritis mit NSAID und/oder systemischen Glukokortikoiden, MTX - wenn notwendig wird ein TNF-Inhibitor eingesetzt.

Referenzen:
"Immunologische Checkpoints: Kontrollstellen der Toleranz-und Autoimmunitätsentstehung", Kongress der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie, Congress Center Rosengarten, Mannheim, 19. bis 22. September 2018.