Fallen die Heilung der Dranginkontinenz durch die Cervico-bzw.Vagino-Sakropenie, die Otis-Urethrotomie bei Harnröhrenenge und Cholinergika bei Harnverhalt in die Kategorie "Fake news"? Der Frage gingen Experten auf dem Kongress der Deutschen Gesellschaft für Urologie (DGU) in der Messe Dresden nach.
Die Heilung der Dranginkontinenz (UUI) durch die Cervico-bzw. Vagino-Sakropenie (CESA/VASA) fällt nach Einschätzung von Prof. Dr. Thomas Bschleipfer, Klinikum Weiden, in die Kategorie "es ist nicht alles Gold, was glänzt". Die in Studien dargestellten Erfolgsraten müssen mit Vorsicht betrachtet werden. Ohnehin handelt es sich nur bei 10% aller Fälle von Inkontinenz um Dranginkontinenz, in 90% der Fälle ist eine Stressinkontinenz mit dabei. Eine Stressinkontinenz aber ist keine Indikation für eine CESA/VASA.
Die CESA/VASA basiert auf die Annahme, dass die Ursache einer UUI in einem anatomischen Defekt im hinteren Beckenboden liegt bzw. damit assoziiert ist. Die hinteren Haltebänder, so die Hypothese, sind gedehnt oder abgerissen. Eingesetzt werden deshalb Meshs - spezielle Netzimplantate für die operative Behandlung der Beckenbodensenkung und der begleitenden Dranginkontinenz. Durch die Operation, so die Annahme, werde die korrekte und ursprüngliche Anatomie wieder hergestellt.
Auf den ersten Blick sprechen die Ergebnisse aus verschiedenen Studien für eine sehr gute Heilungsrate: Zwischen 71 und 87,5%. In einer Studie mit 133 Patientinnen zeigt sich, dass bei den 32% als geheilt entlassenen Probandinnen eine Rückfallquote von 25 bis 27% auftrat. Die Rückfallquoten nach anschließender TOT-Operation (das Einsetzen eines transobturatorischen Bandes) liegen zwischen 4 und 5%. Noch fehlen Langzeitbeobachtungen, eine absolute Heilung durch die CESA/VASA kann deshalb kaum beurteilt werden. Es stellt sich die Frage, ob nicht schon die weniger invasive TOT-Operation vergleichbare Erfolgsraten gewährleisten kann.
Bschleipfer betont, dass die Ergebnisse mit CESA/VASA differenziert betrachtet werden müssen:
Nicht nur die Beobachtungsräume sind begrenzt, es gibt auch keine Daten, inwieweit die OP bei Therapieversagern erfolgreich ist. Insbesondere bei einer Differenzierung in reine Dranginkontinenz (UUI) und Mischinkontinenz (MUI) muss anhand der vorhandenen Daten genau abgewogen werden, ob die CESA/VASA tatsächlich als neue und allgemein erfolgreiche Therapie eingestuft werden kann.
Ist bei rezidivierenden Harnwegsinfekten infolge einer Harnröhrenenge der Frau die Otis-Urethrotomie eine sinnvolle Behandlungsoption? Nein, stellte Prof. Dr. Mark Goepel, Helios Klinikum Niederberg, fest.
Therapieversuche mittels Bougierungen bei Harnröhrenstrikturen sind bereits aus dem 6. Jahrhundert v. Chr. überliefert. Eine erste Beschreibung einer externen Urethrotomie datiert auf 100 n. Chr. Aus dem 16. Jahrhundert stammen Berichte über interne Urethrotomien, ab 1800 sind Harnröhren-Dehnungen überliefert und ab 1850 endoskopische Instrumente zur internen Urethrotomie von Civiale ua. Ab 1880 wurden endoskopische Instrumente mit Dilatation und Schnitt von Desnous und Otis eingesetzt.
Noch in den 1950er bis 70er Jahren wurde die Otis-Urethrotomie unkritisch bei rezidivierenden Harnwegsinfekten angewandt, gerade auch bei Kindern. Bis dato allerdings gibt es keine wissenschaftliche Evidenz zur Wirksamkeit der Otis-Urethrotomie bei HWI. Auch zu möglichen Komplikationen gibt es kaum wissenschaftliche Untersuchungen.
Goepel betont, dass dem Einsatz bei Kindern ein Unverständnis der multifaktoriellen Genese von rezidivierenden HWI zugrunde liegt. In Anbetracht der möglichen Komplikationen – Inkontinenz, Narbenbildung, Entleerungsstörung – ist die Otis-Urethrotomie in den aktuellen Leitlinien (AWMF, EAU) auch bei Erwachsenen nicht empfohlen. Als Behandlungsoption bei nachgewiesener weiblicher Harnröhrenstriktur weisen hingegen mikrochirurgische Rekonstruktionen mit Inlay-Onlay-Technik gute Ergebnisse auf (Gozzi et al. 2001).
Der Frage, ob Cholinergika bei Harnverhalt eine sinnvolle Behandlungsoption sind ging Prof. Dr. Matthias Oelke, Gronau, nach. Schon die Risikofaktoren für einen Harnverhalt sind vielfältig:
Krankheiten der Prostata:
Benigne Prostatahyperplasie, Prostatakarzinom, Detrusor-Sphinkter-Dyskoordination (DSD)
Krankheiten der Harnröhre:
Striktur, Klappen, Karzinom, Konkremente, Fremdkörper, Phimose
Krankheiten des Nervensystems:
Diabetes mellitus, Beckenoperationen, Detrusor-Sphinkter Dyssynergie und andere neurogene Blasenfunktionsstörungen, Medikamente (Anticholinergika, Neuroleptika)
Allgemeine Risikofaktoren für einen Harnverhalt:
Harnblasenüberdehnung, starke Flüssigkeitszufuhr, Alkohol, sexuelle Aktivität, Bettruhe, Operationen, Vollnarkose
Als therapeutische Mechanismen bei Harnverhalt – zur Erhöhung der Acetylcholin (ACh)-Konzentration an der neuromuskulären Endplatte – werden synthetische ACh (direkte Parasympathomimetika) eingesetzt wie Betanechol oder Carbachol und Inhibitoren der ACh-Hydrolyse (indirekte Parasympathomimetika) wie Distigmin, Pyridostigmin oder Neostigmin. Bei in vitro-Experimenten führen Parasympathomimetika zur Detrusorkontraktion und die Wirkung ist dosisabhängig.
Klinische Effektivität von Parasympathomimetika:
Harnverhalte treten häufig auf, insbesondere bei BPS und nach Operationen. Die Behandlung mit Cholinergika bei bereits vorhandenem Harnverhalt, zur Prophylaxe sowie die Behandlung von Restharn durch Detrusoraktivität kann im Allgemeinen nicht empfohlen werden. Zunächst ist die Suche und Behandlung von auslösenden Faktoren wichtig.
Referenzen:
Kongress der Deutschen Gesellschaft für Urologe, Kongresszentrum Dresden, 26. bis 29. September 2018.